Living Fabric – Weaving among the Nomads of Ladakh Himalaya

Autor/en: Monisha Ahmed
Verlag: Orchid Press
Erschienen: Bangkok 2002
Seiten: 192
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 50.–
ISBN: 974-8304-87-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2003

Besprechung:
Wolle, Weben und Webstuhl sind Begriffe, die bei den tibetischen Nomaden genauso mit Mythen und Legenden besetzt sind wie ihre Yaks, Schafe und Ziegen, von denen sie leben. Eine dieser Legenden berichtet von Duguma, der göttlichen Frau des tibetischen Nationalhelden Gesar Ling. Duguma, so heißt es, webt an einem Stoff, seit unvordenklichen Zeiten und immer nur eine Reihe im Jahr, aber wenn der Stoff fertig ist, dann ist das auch das Ende der Zeit. Nichts kann die Bedeutung des Webens im Leben der Nomaden besser symbolisieren als diese Geschichte. Weben, das ist einfach ein Bestandteil des Lebens, es ist das Leben und es wurde – so eine andere Legende – von den Göttern zu den Menschen gebracht, wie das Leben selbst. Diese Legenden erzählen uns auch, daß die Webtradition tibetischer Nomaden so alt ist, wie ihr Nomadentum. Und doch gab es bisher keine fundierte Untersuchung dieser Tradition. Die Weberzeugnisse tibetischer Nomaden sind so gut wie unbekannt, sieht man mal von ihrem auffälligsten Webprodukt, dem schwarzen Zelt aus Yakhaar ab. Stoffe für Chubas und Umhänge, Decken, Behältnisse für Nahrung, wertvolle Kultgegenstände und andere Familienschätze, Satteltaschen, Transportsäcke für Salz, Wolle und Gerste, Pferdedecken und schließlich Teppiche – in der Vielfalt textiler Produkte stehen tibetische Nomaden ihren turkmenischen, anatolischen oder persischen Brüdern und Schwestern in nichts nach, und die verschiedenen Herstellungs-, Zier-, Färbe- und Dekorationstechniken eröffnen ein neues Forschungs- und Sammelgebiet. Das erste Buch zum Thema behandelt ein sehr enges geographisches Gebiet, das zu Ladakh gehörende Rupshu, eine wüstenhafte Hochgebirgsregion von knapp über 6000 qkm, in Höhen zwischen 4000 und 5300 Metern, mit nur wenigen hundert Einwohnern, die dort in einigen Dutzend Zelten leben. Sie sind alle Nomaden, haben im Jahreslauf Temperaturen von -50 bis +40 Grad zu ertragen und sind auf Gedeih und Verderb vom Wohlergehen und Überleben ihrer Tiere und von deren Produkten abhängig. Auch von deren Wolle, die ihnen Wohnung und Kleidung gibt, und die Wärme und Farbe in ihr Leben bringt. Das Buch entstand aus einer Dissertation der Anthropologin Monisha Ahmed, der mehr als 10 Jahre Feldforschung in Rupshu zugrunde liegen. Es ist eine ungemein sorgfältige, reich illustrierte (knapp 200 Farbabbildungen, Karten, Zeichnungen von Webstühlen, Tabellen) Studie, die einen Blick in eine bisher unbekannte textile Welt öffnet, eine textile Welt, deren Tradition bis heute keine Unterbrechung erfahren hat und in der Männer und Frauen ihre textilen Produkte, wie seit jeher, ausschließlich für ihren eigenen Bedarf herstellen. Natürlich hat sich auch hier manches geändert, die Bekleidungsgewohnheiten von Männern oder Kindern etwa, oder die Verwendung gekaufter, bunter, synthetischer Garne. Die tiefgreifendste und schon lange vollzogene Änderung ist aber wohl der Verlust alter Färbetechniken durch das Aufkommen preiswerter, chemischer Färbesubstanzen Nur die einfachsten aller Textilien, die Packsäcke für Schafe und Yaks, dürften noch ihr ursprüngliches Aussehen und ihre Herstellung ausschließlich aus der braunen, weißen und schwarzen Naturwolle bewahrt haben. Eine kleine Sensation ist schließlich, daß Monisha Ahmed dem Vorurteil ein Ende bereitet, daß tibetische Nomaden keine Teppiche geknüpft haben. Jedenfalls die Nomaden von Rupshu stellen noch heute aufregende Teppiche her, zusammengesetzt aus schmalen geknüpften Streifen, mit unsymmetrischen, geometrischen Mustern, dekoriert mit Swastika, Vajra und unendlichem Knoten, eingefaßt von mäandernden oder tibettypisch einfarbigen roten Bordüren. Es sind ursprüngliche, ausdrucksstarke, fellartige Nomadenteppiche, wie man sie bisher nicht gesehen hat. Die Verwandtschaft zu den Tülü, Gabbeh oder Dschulchir anderer Nomadenstämme ist unverkennbar. Es ist nun kaum anzunehmen, daß sich diese bis heute gepflegte Tradition auf die Nomaden des kleinen Rupshu beschränkt, zumal auch der Rezensent bereits in Westtibet, im Changtang und sogar auf dem Markt in Lhasa wiederholt solche Nomadenteppiche gesehen hat. Diese Teppiche tibetischer Nomaden können getrost als eine neue und wichtige Entdeckung bezeichnet werden. Living Fabric ist aber nicht nur ein Buch über interessante Textilien und ungewöhnliche Teppiche, sondern auch ein Buch über die Menschen, die sie herstellen. Wolle und Weben sind Bestandteil des Lebens der Nomaden, steht am Anfang dieser Rezension, und mit diesem Bild soll sie auch schließen. Kette und Schuß sind in der Vorstellung der Nomaden von Rupshu Symbole für Mann und Frau, für Mutter und Kind, sie verbinden die Ahnen, Eltern und Kinder mit der Zukunft in einem lebendigen Gewebe. Weben in Rupshu erfaßt alle Lebensbereiche und alle Mitglieder der Gesellschaft. Männer, Frauen, Kinder, selbst Mönche und Nonnen sind mit der Produktion von Wolle und Textilien befaßt. Living Fabrics ist eine einfühlsame, liebens- und lesenswerte Studie über eine ursprüngliche nomadische Gesellschaft, ein ganz persönlicher Bericht über eine Nomadenfamilie, die wir über einen langen Zeitraum begleiten und denen wir uns schließlich sehr nahe fühlen.

Print Friendly, PDF & Email