Moderne Teppiche – Kunst und Design

Autor/en: Christopher Farr, Matthew Bourne Fiona Leslie
Verlag: Stiebner Verlag
Erschienen: München 2002
Seiten: 208
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: EUR 49,80
ISBN: 3-8307-0828-9
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Das Buch ist zunächst schwer einzuordnen. Nach einer fundierten Einführung in die Geschichte und Entwicklung des europäischen Teppichs der vergangenen einhundert Jahre, geschrieben von Fiona Leslie, Kuratorin für Design im Victoria & Albert Museum, folgt ein Katalogteil, mit dem 127 moderne Teppiche, alphabetisch geordnet nach den Namen der Künstler oder Designer, die sie entworfen haben, vorgestellt werden.Es sind handgeknüpfte und handgewebte Teppiche und Kelims, einige auch im maschinellen Tufting-Verfahren hergestellt, und alle sind in den letzten 10 Jahren entstanden, weitaus die meisten in Großbritannien. Es ist ein damit sehr enger Blick auf den modernen Teppich und erst ein Hinweis im Klappentext klärt auf: Die Mitautoren und Herausgeber Farr und Bourne werden dort als die einflussreichsten Pioniere in der Gestaltung moderner Teppiche genannt sowie als Teilhaber der bekannten Londoner Teppichfirma Christopher Farr, die Teppiche entwirft und produziert. Allerdings wäre es ungerecht, das im Original in London und in englischer Sprache erschienene Buch als Firmenkatalog zu bezeichnen. Dafür ist der Überblick über die aktuelle Szene des modernen Teppichdesign, der neben zahlreichen Arbeiten von Christopher Farr und vielen anderen britischen Künstlern auch Werke von Designern aus USA, Japan und vielen europäischen Ländern zeigt, doch wieder zu breit geraten. Und es ist – bei aller Subjektivität und Auswahl – ein äußerst interessanter Überblick über eine wenig bekannte Ausdruckweise moderner Kunst. Die Technik des Knüpfens, die eine ähnliche Freiheit der Gestaltung gewährt wie die Arbeit mit dem Pinsel auf leerer Leinwand, setzt der Kreativität kaum Grenzen. Dementsprechend vielfältig und individuell im Sinne der ganz persönlichen Handschrift der Künstler sind die geknüpften Bilder. Es ist allerdings eine reproduktive oder serielle Kunst, denn weit überwiegend wurden die Teppiche nach Entwürfen der Künstler in Knüpfwerkstätten in limitierter Auflage hergestellt. Gleiches gilt für die meist in Kelimtechnik hergestellten Flachgewebe. Damit aber ist zugleich festgestellt, dass es sich hier weniger um ein Buch über Teppiche und Kelims im traditionellen Verständnis handelt, sondern um ein Buch über moderne Kunst. Und dennoch: Das am Orientteppich und am Kelim geschulte Auge entdeckt immer wieder Parallelen zum klassischen Teppich und zum traditionellen Textildesign. Manche dieser Parallelen sind gewollt, etwa der bei den Flachgeweben bewusst eingesetzte Abrasch, das Design eines Teppichs mit Cintamani-Muster oder Form- und Farbkompositionen, die eine enge Verwandtschaft mit manchem Gabbeh zeigen. Die verblüffende Parallele eines modernen mit „Wellen“ bezeichneten Flachgewebes zu der berühmten Louvre-Wirkerei „Fische“ aus dem Ägypten des 2/3. Jahrhunderts, das an abstrakte tibetische Tigerteppiche erinnernde Muster eines handgeknüpften Teppichs von Kate Blee, oder auch Streifendesigns, die anatolischen Kelims oder persischen Jajims nachempfunden erscheinen, wirken eher als zufällig und beweisen nur die Zeitlosigkeit mancher Muster aus längst vergangener Zeit. Trotz dieser Gemeinsamkeiten liegen die Wurzeln moderner westlicher Teppichkunst nicht im Orient sondern im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ohne William Morris, dem Begründer und Führer der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung wäre die damals begründete und bis heute fortbestehende Übung auch bedeutender Künstler, das Knüpfen und Weben als Ausdrucksmittel künstlerischer Kreativität anzusehen, nicht denkbar. Doch schon Morris, der den Orientteppich natürlich kannte, liebte und selbst persische Teppiche aus klassischer Zeit besaß, grenzte sich von ihm ab: „Die im Westen handgeknüpften Teppiche müssen dem orientalischen Teppich in Material und Qualität möglichst nahe kommen, sie aber keineswegs in der Gestaltung nachahmen, sondern sie müssen sich eindeutig als Produkt moderner westlicher Ideen zu erkennen geben“. Walter Crane, C.F.A.Vovsey, Rennie Machintosh und natürlich William Morris entwarfen nach dieser Devise Teppiche, deren Einfluß bis tief ins 20. Jahrhundert wirkte. Die Wirkung blieb nicht auf England beschränkt sondern gewann Einfluss in ganz Europa und in den USA. Henri von de Velde, Richard Riemerschmid, Peter Behrens wären hier zu nennen oder die Künstler der Wiener Sezession Koloman Moser, Otto Wagner und Josef Hoffmann. Auch die deutsche Bauhaus-Bewegung, hier vor allen anderen Gunta Stölzl und Ida Kerkovius, widmete sich dem Teppichdesign. In USA war es vor allem Frank Lloyd Wright, der in seine architektonischen Gesamtkunstwerke selbst entworfene Teppiche integrierte. In der Folge waren es dann nicht nur Entwerfer, Architekten und Designer, die sich dieses Mediums bedienten, sondern auch Künstler, die eher als Maler, Bildhauer oder Grafiker bekannt geworden sind. Paul Klee, Hans Arp, Joan Miró, Alexander Calder und Pablo Picasso, um nur einige zu nennen, bedienten sich der Knüpftechnik als bildnerisches Medium. Diese Entwicklung wird von Fiona Leslie in ihrem Beitrag über 100 Jahre Teppichdesign knapp, etwas englandlastig und mit leider zu wenigen Bildbeispielen nachgezeichnet. Dass sie bis heute anhält beweisen nicht nur der Katalog mit seinen vielen zeitgenössischen Teppichen, sondern auch – im Buch nicht erwähnt – Teppiche von Keith Haring, David Hockney oder Philippe Starck. Als Fazit ist also festzustellen, dass sich Knüpfen und Weben als Darstellungsmittel freier Kunst seit über einem Jahrhundert im Westen etabliert und durchgesetzt haben. Die eher geringe Beachtung mag durch dieses Buch eine verdiente Aufwertung erfahren. (- mb -)

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