The Classical Tradition in Anatolian Carpets

Autor/en: Walter B. Denny
Verlag: Textile Museum and Scala Publishers
Erschienen: Washington und London 2002
Seiten: 128
Ausgabe: broschiert
Preis: ca. US-$ 25,–
ISBN: 1-85759-283-2
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
George Hewitt Myers, der Gründer des Textile Museum in Washington muss ganz sicher in einem Atemzug mit den großen Teppichsammlern des 20 Jahrhunderts genannt werden, mit James Ballard etwa oder Joseph McMullan in den USA oder mit Wilhelm von Bode und Ernst Kühnel in Europa. Als G. H. Myers 1957 im Alter von 82 Jahren starb, umfasste seine Sammlung nahezu 500 Teppiche und mehr als 3.500 Textilien. Knapp 50 Jahre zuvor, am Anfang des 20. Jahrhunderts, hatte Myers seinen ersten Teppich erworben, also zu einer Zeit, als der Teppich, obwohl schon seit Jahrhunderten Bestandteil des westlichen Kultur, gerade erst als Kunstwerk und als Gegenstand der Forschung erkannt worden war. So war es dann, neben der Freude Myers am Sammeln und an der Ästhetik des Teppichs vor allem sein Anliegen, anderen den Zugang zu dieser neuen Welt zu eröffnen, einen eigenen Beitrag zu dieser neuen Wissenschaft zu leisten und möglichst viele an seiner Begeisterung und Liebe teilhaben zu lassen. Die Gründung des Textile Museum im Jahre 1925 war die Konsequenz dieser Einstellung und ein Glücksfall für die damals noch wenig beachtete Welt der Textilien. Denn obwohl die textile Gestaltung eine der fundamentalsten Ausdrucksformen des Menschen darstellt, stand sie im Schatten anderer Ausdrucksmittel, der Malerei etwa oder der Skulptur. Das Textile Museum in Washington hat wesentliche Beiträge dazu geleistet, dass das heute anders ist. Diese Beiträge waren Ausstellungen und Publikationen, weitere wichtige Öffentlichkeitsarbeit und – ganz einfach -, dass es da ein Museum gibt, das sich des textilen Erbes annimmt. So gelangten im Lauf der Jahrzehnte zahlreiche Vermächtnisse und Schenkungen in das Museum, das heute daher nicht nur die Sammlung Myers beherbergt, sondern zu den bedeutendsten Institutionen seiner Art gehört. Das Interesse Myers an Teppichen kannte keine Grenzen: Myers sammelte Teppiche der Mamluken und Safawiden, Teppiche aus dem Kaukasus ebenso wie aus Spanien oder aus Zentralasien, Teppiche aus der Zeit der Mogul-Herrscher Indiens oder aus dem China der Ming- oder Qing-Kaiser. Alle von Myers gesammelten Teppiche sind von exzeptioneller Qualität und damit ein Beweis für sein sicheres Auge und seinen untrüglichen Sinn für ihren ästhetischen Wert. Einen deutlichen Schwerpunkt der Sammlung bilden anatolische Teppiche, denen die aktuelle Ausstellung des Textile Museum (bis 16. Februar 2003) und der begleitende Katalog gewidmet ist. Gegenstand der Untersuchung des Kunsthistorikers und Tapitologen Walter B. Denny ist aber nicht der anatolische Teppich schlechthin, sondern es ist der Versuch, die Wurzeln der anatolischen Teppichtradition zu ergründen und die Quellen aufzuzeigen, die vier Jahrhunderte anatolischer Teppichproduktion gespeist haben. Nach Denny sind es vier dominante Einflüsse, die, mehr oder weniger stark, den anatolischen Teppich prägen: Es sind zunächst die uralten, vermutlich nomadisch begründeten Traditionen geometrischer Muster, wie sie in den seldschukischen Teppichen oder in den Teppichen mit Holbein-Muster oder Crivelli-Stern weiterleben. Hinzu kommt der Einfluss kostbarer Seidengewebe aus Zentralasien und China mit meist floralen Mustern im unendlichen Rapport, wie wir sie in einigen klassischen Teppichen mit Rautengitter und eingeschriebenen Blüten wieder finden. Etwas später entwickelten professionelle Künstler am osmanischen Hof gänzlich eigenständige Muster, die später Eingang auch in städtische und gar dörfliche Teppichproduktionen fanden. Das „Doppelsäulen-Design“, vielfach von anatolischen Weberinnen kopiert und variiert, ist hierfür ein Beispiel. Parallel zu diesem höfischen Einfluss wirkte die Kreativität kommerzieller Werkstätten, allen voran in Ushak, die nach neueren Erkenntnissen schon im ausgehenden 15. Jahrhundert florierten und ebenfalls starken Einfluss ausübten. Das im Buch gezeigte Beispiel, ein im kleinen Format extrem seltener Medaillon-Uschak aus dem 18. Jahrhundert ist eindrucksvoll und überzeugend zugleich. Das gilt aber auch für alle anderen der 52 vorgestellten Teppiche, die aus der Sammlung Myers und aus einigen bedeutenden Privatsammlungen stammen etwa aus der Kollektion von Marshall und Marilyn Wolff oder von Jon und Deborah Anderson. Die frühen Beispiele der klassischen Tradition des anatolischen Teppichs vom 15. bis zum 17. Jahrhundert sind meist Ankäufe Myers aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und zu ihnen gehören einige der bedeutendsten Stücke, die wir heute kennen, etwa der prachtvolle Schachbrett- oder Damaskus-Teppich aus dem 16. Jahrhundert. Die meist späteren Stücke aus den erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts aufgebauten, privaten Sammlungen belegen die Fortwirkung der klassischen anatolischen Teppichtradition und die Lebendigkeit uralter Muster auch in dörflichen oder nomadischen Teppichen des 19. Jahrhunderts. Das Buch ist damit weit mehr als eine bloße Anthologie des anatolischen Teppichs, sondern ein interessanter und zweifellos gelungener Versuch, die Diskussion über die Herkunft und Entwicklung der Muster im orientalischen Teppich zu beleben. Walter Denny kommt zu dem Schluss: „In diesen Teppichen sehen wir den Beweis, dass zwischen Originalität und Tradition kein wesentlicher Konflikt besteht, sondern vielmehr die Möglichkeit einer tiefen und fruchtbaren Synthese.“ (- mb -)

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