Asien – Stämme, Kulte, Rituale

Autor/en: Robert Schmid, Fritz Trupp
Verlag: Verlag Christian Brandstätter
Erschienen: Wien 2003
Seiten: 320
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: EURO 69.–
ISBN: 3-85498-073-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2004

Besprechung:
Im Jahre 2050 – so war kürzlich zu lesen – werden 30 Milliarden Menschen auf dieser Erde leben und beinahe alle werden über Medien miteinander kommunizieren können, die das moderne Internet als mittelalterliche Wandzeitung erscheinen lassen. Dies und weitere konkrete Vorhersagen über Umwelt, technische Entwicklung und Lebensqualität im Jahre 2050 erscheinen oft als reine Spekulation, doch eines ist heute schon sicher: Die Entfernung des Menschen von der Natur wird noch größer sein. Schon heute ist ein Leben in Harmonie mit der Natur für den modernen Menschen bloße Fiktion, ein Ideal, für das wir, wäre es denn erreichbar, gar nicht mehr geeignet sind. Und doch gibt es sie noch, Menschen, die im harmoni-schen Einklang mit der sie umgebenden Natur leben, wissend, daß sie es ist, die ihnen das Überleben sichert, die ihnen Nahrung, Obdach, Medizin und Kleidung gibt. In den unzugänglichen Dschungeln des Amazonas, im Inneren Afrikas und vor allem in Asien haben Naturvölker den sie bedrängenden Zivilisationen widerstanden, den materiellen Verlockungen, mis-sionarischen Bekehrungsversuchen und dem drohenden Raub ihres Lebensraumes. Sie haben sich die harmonische Beziehung zur Natur erhalten. Zu einer Natur, wo uns ein Leben eigentlich unmöglich erscheint, im ewigen Eis Sibiriens, in den glühenden Sanddünen der Wüste Gobi und in den subtropischen Regenwäldern Hinterindiens. Den Stämmen und Naturvölkern in den Rückzugsgebieten Asiens ist ein Buch gewidmet, das vor allem durch seine großartigen Fotografien von Ritualen und Opferszenen, von Landschaften und Dörfern, von Schmuck und Textilien beeindruckt und das in eindrucksvollen Portraits tiefe Einblicke in die fremde, faszinierende und geheimnisvolle Welt dieser Naturvölker gewährt. Ob es sich dabei um die letzten nomadischen Beduinen Arabiens handelt oder um die Tsaatan, die mit ihren Rentier-herden durch die sibirische Tundra ziehen, um die Adivasi, die letzten Ureinwohner des indi-schen Subkontinents oder um die silbergeschmückten Akha aus dem Goldenen Dreieck zwischen Burma, Thailand und Laos, allen gemeinsam ist der Glaube an die gleichzeitige Exis-tenz verschiedener Welten und an unsichtbare Wesen, die sie bevölkern, an Geister, Götter und spirituelle Dimensionen. Diese naturreligiösen Vorstellungen sind Bestandteil der Naturnähe dieser Stämme. Deren Bedürfnis, mit diesen anderen Welten und Wesen zu koexistieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sich gegen sie zu behaupten und sie sich zunutze zu machen, ist Ursprung und Erklärung der phantastischen Rituale und Zeremonien, der phantasie-vollen und farbenprächtigen Schmuck- und Kleidungstraditionen und von Körperbemalung und Tätowierung. Die Vielfalt asiatischer Naturvölker und ihrer ästhetischen Ausdrucksform-nen, wie sie der prächtige Band in großem Format mit ca. 300 Farbaufnahmen präsentiert, ist beeindruckend und das Ergebnis von 15 Jahren Feldforschung der beiden Ethnologen Fritz Trupp und Robert Schmid. So sind denn auch die begleitenden Texte bei aller Knappheit voller präziser und erlebter Information über Lebensgewohnheiten und Lebenspraktiken dieser Menschen. Mögen die Rituale und Kulte noch so ungewöhnlich und geheimnisvoll erscheinen, mag der Kopf- und Körperschmuck mancher Männer und Frauen noch so spektakulär, unerklärlich und kaum tragbar erscheinen, stets gibt es überlieferte, in Mythen aber auch in praktischen Bedürfnissen begründete Erklärungen. Es können Hinweise sein auf die Stammeszugehörigkeit oder Zeichen von Reichtum und sozialem Status. Schmuck und Körperbe-malung vermögen gegen den bösen Blick zu schützen oder Unheil fernzuhalten sowie die Verbindung zu den Ahnen und Göttern herzustellen. So etwa der spektakuläre Halsschmuck der Padaung-Frauen. Ein Turm glänzender Messingspiralen um den Hals scheint den Hals dieser auch „Giraffenfrauen“ genannten Padaung aus den burmesischen Bergen zu verlängern. Schutz vor Tigerbissen oder Abschreckung für Sklavenhändler glaubten frühe Reisende. Doch die Erklärung liegt in der Stammesmythologie der Padaung verborgen. Sie sahen sich als Nachkommen von Schlangen- und Drachengeistern. Hieraus ist irgendwann vor langer Zeit der Brauch erwachsen, die Hälse von Mädchen und Frauen mit Messingringen nach und nach so zu strecken, daß eine Übereinstimmung mit den Hälsen der Schlangen und Drachen zustande kam. Durch die Spiralen huldigten und imitierten sie ihre Vorfahren. Diese mythische Bedeutung ist längst vergessen. Für die Padaung hat der Schmuck nur noch eine Bedeutung: Sie finden ihn schön. Er ist weder Teil eines Ritus noch hat er eine religiöse Funktion. Und die Geschichte vom Verlust an Tradition und Identifikation geht weiter: Einige Padaung sind vor dem Regime in Burma geflüchtet und haben sich im thailändischen Grenzgebiet niedergelassen, wo sie sich als Fotomodelle dem zunehmenden Tourismus zur Schau stellen, um sich damit ihr Auskommen zu verdienen. So scheint es nur eine Frage der Zeit, daß die Kulte und Rituale der Naturvölker Asiens der immer schneller verlaufenden Globalisierung zum Opfer fallen. Die Feststellung des Verlages, daß viele der in dem Buch beschriebenen und gezeigten Rituale, Kulte und Objekte wertvolle Zeugnisse vergehender oder bereits verschwundener Kulturen sind, ist daher gewiß richtig und zugleich beängstigend. Das Buch über die Natur-völker Asiens ist damit nicht nur schön und faszinierend sondern eine einzigartige und unwiederholbare Dokumentation vieler vom Untergang bedrohter Traditionen.

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