Magische Ornamente – Silberschmuck der Tuareg

Autor/en: Gerhard Göttler (Text) und Adrian Fritschi (Objektfotos)
Verlag: Museum Rietberg
Erschienen: Zürich 2003
Seiten: 84
Ausgabe: Broschur
Preis: CHF 34 (nach Ende der Ausstellung: CHF 40.–)
ISBN: 3-907077-12-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2003

Besprechung:
Aus dem Olymp geworfen, hinkend, verschlagen und arglistig und doch machtvoller Gebieter über das Feuer und über zauberische Künste – schon unter den Göttern der Griechen und Römer war der Schmied eine zwiespältige Figur, verachtet und bewundert zugleich, gefürchtet ob seiner magischen Kräfte, begehrt wegen der von ihm geschaffenen Kunstwerke. Der griechische Hephaistos, Vulcan bei den Römern, war schon in der göttlichen Gesellschaft ein Outcast, dem stets etwas Verhängnisvolles anhaftete, dem Zauberei und Arglist zugeschrieben wurden und doch von allen bewundert wegen der Kostbarkeiten, der glänzenden Waffen und der herrlichen Schmuckstücke, die unter seinen ungeschlachten Händen entstanden. In vielen traditionellen und ursprünglichen Gesellschaften hat sich diese eigenartige Rolle des Schmieds bis heute bewahrt, etwa bei den Tibetern, wo er als Verarbeiter von Erzen die heilige Erde entweiht und dennoch feinstes Gerät für das religiöse Ritual erzeugt. Besonders ausgeprägt ist diese Sonderrolle der Schmiede bei den nomadischen Tuareg der südlichen Sahara und des Sahel. Der Schmiede Geschick im Umgang mit dem Feuer verleiht ihnen den Ruf, mit den teuflischen Mächten im Bunde zu sein und über Hexen- und Zauberkräfte zu verfü-gen. Sie stehen im sozialen Abseits, leben außerhalb der hierarchischen Stammesordnung und genießen doch manche Privilegien. Wird etwa ein Tier geschlachtet, so hat der Schmied ein Recht auf ein bestimmtes Stück Fleisch, denn ohne sein Messer, das Schlachtwerkzeug, gäbe es kein Fleisch. Ohne ihr Können gäbe es auch nicht den Schmuck, der in der Tracht der Tua-regfrauen gleich mehrere traditionelle Funktionen hat: Dekoration, werthaltige Kapitalanlage und magischer Schutz vor dem bösen Blick. Diesem Silberschmuck der Tuareg ist eine Ausstellung im Züricher Rietberg Museum (bis 11.01.2004) und ein wunderschöner kleiner Kata-log gewidmet. Über 200 Schmückstücke aus einer großen Schweizer Privatsammlung und aus der Sammlung des Autors, Arm-, Hüft- und Halsketten, Schutzamulette, üppiger Haar-schmuck, gegossenen Fingerringe, Armspangen, Ohrgehänge und die über die Grenzen der Tuareg hinaus bekannt gewordenen Silberkreuze offenbaren Sorgfalt und Geschick der Schmiede im Umgang mit dem edlen Material. War Silber als Material durch die zu ihm ge-hörigen positiven Eigenschaften gleichsam schon gesegnet, mußten es die Schmiede nur noch in die richtige Form bringen, in eine Form, der ihrerseits positive Eigenschaften zu eigen sein sollten. Die Formensprache dieses Schmucks besteht aus einer Abstraktion und Geometrisie-rung weniger Grundformen. Der Formenkanon der Tuareg beruht auf einfachen geometrischen Elementen und zeichnet sich durch Klarheit, Strenge und Sparsamkeit aus: Gerade Linien, Punkte, Kreise oder Kreisabschnitte und, als wichtigste Grundform, gleichseitige Dreiecke. Form und Dekor des Schmucks werden aus diesen wenigen Elementen gebildet und bilden eine gegenüber anderen berberischen Gesellschaften Nordafrikas durchaus eigenstä-dige und ästhetisch eindrucksvolle Schmucktradition. Der schmale und doch inhaltsreiche Katalog ist vorbildhaft und an gestalterischer Qualität kaum zu übertreffen. Die Abbildungen sind in ihrer fotografischen Perfektion und der farblichen Zurückhaltung, die dem kühlen Glanz des Silbers perfekt gerecht wird, nicht zu übertreffen. Ein einleitender Essay informiert knapp aber vollständig nicht nur über die Rolle der Silberschmiede in der nomadischen Ge-sellschaft der Tuareg, sondern auch über die Welt, in der sie leben, eine Welt aus Sand, Fels und Licht, eine Welt, in der Leben oft in der Kunst des Überlebens besteht. Wir erfahren über die Rolle der Frauen, die traditionell Eigentümerinnen der Zelte sind, über die wirtschaftliche Grundlage der Tuareg, von den Kamelkarawanen, die einst mit Gold und Sklaven handelten und heute nur noch Salz und Datteln durch die Sahara tragen und schließlich von der kargen Nahrung, zu der beizeiten auch Heuschrecken gehören. Im Zentrum aber steht der Schmuck, die Werkzeuge und die Techniken zu seiner Herstellung, die Herkunft des Materials – vom 18. Jahrhundert bis heute ist fast immer der legendäre Maria Theresia Thaler der Ausgangspunkt der Schmuckherstellung -, seine Magie und schließlich die Bedeutung der vielfach verwendeten geheimnisvollen Schriftzeichen und Ideogramme. Auch hier genießen die Schmiede wieder eine Sonderstellung. Als Beherrscher der Schrift vermögen sie es, Amulette mit Inschriften und magischen Zahlenquadraten zu versehen und damit Schutz vor Krankheit, Unglück, Tod und gegen das übernatürliche Wirken von Dämonen und anderen Geisterwesen zu gewähren. Schließlich demonstrieren Bilder von Mädchen und Frauen der Tuareg, daß ihr Silberschmuck noch heute ein unersetzlicher Bestandteil ihrer Tracht ist, die mit Selbstver-ständlichkeit und Selbstbewußtsein getragen wird.

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