Lebensbaum und Kalaschnikow – Krieg und Frieden im Spiegel afghanischer Kriegsteppiche

Autor/en: Jürgen Wasim Frembgen, Hans Werner Mohm
Verlag: Gollenstein Verlag
Erschienen: Blieskastel 2000
Seiten: 152
Ausgabe: gebunden
Preis: DM 38.–
ISBN: 3-93389-31-3
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Im Mittelpunkt der sehenswerten Ausstellung „Afghanistan – Krieg und Frieden“ im Münchner Museum für Völkerkunde (bis 29.10.00) stehen 47 Teppiche mit Kriegsmotiven. Nach der lieb- und kommentarlosen und daher kaum beachteten Präsentation solcher Teppiche anläßlich der IX.ICOC in Mailand im Herbst 1999 ist die glänzend gemachte Münchner Schau von einer Publikation begleitet, die diese erstaunlichen Teppiche erstmals in einem kunst- und kulturhistorischen Zusammenhang darstellt. Diese Bildteppiche mit martialischen Kriegsmotiven entsprechen zwar mitnichten den formal-ästhetischen Kriterien von Teppichsammlern. Westliche Sehgewohnheiten werden durch die Thematik vielmehr irritiert. Und doch – im Hinblick auf die ästhetische Qualität dieser Teppiche ist ein erstaunlich sicheres Form- und Farbempfinden bei der Umsetzung neuer gegenständlicher und figürlicher Motive festzustellen. Die Teppiche offenbaren damit die Fähigkeit ihrer Knüpfer und Knüpferinnen, Motive und Szenen nach den Gesetzen der Fläche darzustellen. Sie erweisen sich so als eine genuine und in ungebrochener Tradition stehende Volkskunst. Auch der 10 Jahre währende Freiheitskampf der afghanischen Bevölkerung gegen die sowjetische Militärmacht und der seit 1989 bis heute anhaltende Bürgerkrieg haben der Web- und Knüpftradition Afghanistans, dem für das Land bedeutendsten Handwerkszweig, nur wenig anhaben können. Die Motive dieser Kriegsteppiche, Panzer, Kampfhubschrauber, Jagdbomber, Kalaschnikows sowie, als Streu- und Füllmotive, Minen, Bomben und Handgranaten, stehen sowohl für die Erfahrungen eines grausamen Krieges wie auch für einen außergewöhnlichen Unabhängigkeitswillen und für afghanisches Kriegertum mit seinen Idealen von Mut, Tapferkeit und heldenhafter Verteidigung des wahren Glaubens, mag er nun durch Briten, Sikhs oder Russen bedroht sein. Die Kriegsmotive sind Aufschrei, sind Mahnmal für die Zukunft, sie stehen aber vielfach neben hoffnungsvollen Symbolen des Friedens, neben Wasserkannen, Lebensbäumen und Tierdarstellungen, neben traditionellen Füll- und Streumotiven wie Amuletten, Kreuz-, Haken- und S-Formen. Es bleibt indes offen, ob diese Symbole in die Vergangeheit oder in die Zukunft weisen. Afghanische Kriegsteppiche sind visualisierte Geschichte, sind einzigartige geknüpfte Zeitdokumente und sie zeigen, daß Tradition niemals etwas Statisches und Unveränderliches ist sondern äußerst dynamisch und flexibel auf historische Veränderungen reagieren kann. In Lebensbaum und Kalaschnikow versucht der Autor zeitliche, ethnische und stammesspezifische Zuordnungen dieser einzigartigen Volkskunst und stellt fest, daß es sich bei dieser „Kunst im Widerstand“ um ein bereits abgeschlossenes Kapitel handelt. Als Wissenschaftler und Sammler vor wenigen Jahren begannen, sich mit dieser Thematik zu befassen, war es für sinnvolle Feldforschung bereits zu spät. Der Kommerz des ausgehenden 20. Jahrhunderts hatte sich längst dieses Produkts bemächtigt. Afghanische Kriegsteppiche sind damit ein Spiegel der Realität des Schrekens aber auch des Geschäfts mit dem Krieg. Trotz des kleinen Formats ein wichtiges Buch über Teppiche, die, auch wenn von geringem Alter, als durchaus sammelnswert einzustufen sind. (- mb -)

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