The Great Embroideries of Bukhara

Autor/en: Michael Franses
Verlag: Textile & Art Publications Ltd
Erschienen: London 2000
Seiten: 104
Ausgabe: Leinenkasette im Großfolio-Format mit 22 Tafeln u. broschiertem Begleitband
Preis: 165.– engl.Pfund
ISBN: 1-898406-35-9
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Die Geschichte der Großmedaillon-Susani ist zunächst die Geschichte ihrer wundersamen Vermehrung. Als 1975 in London die wohl erste Susani-Ausstellung gezeigt wurde, waren diese ungewöhnlichen Stickereien mit zwei Exemplaren vertreten. Ihr besonderes Design war für die Fachwelt aufregend genug, um sich näher mit ihnen zu beschäftigen und 1978 veröffentlichten Robert Pinner und Michael Franses im zweiten HALI-Heft eine erste Studie zu den „Large Medallion Suzani“ und gaben ihnen damit ihren Namen. Nur acht waren damals weltweit bekannt. Acht Jahre später hatte sich ihre Anzahl verdoppelt und 1991 berichtete Daniel Shaffer in HALI von mittlerweile 23 Exemplaren. Heute kennt man 54, und gewiß werden weitere entdeckt werden. Dies aber wohl nicht in ihren Herkunftsgebieten, den ehemaligen Emiraten von Buchara und Kokand, sondern in bisher unbekannten privaten Sammlungen und Museumsdepots der westlichen Welt. Denn so gut wie alle bekannten Großmedaillon-Susani sind seit mehr als einem Jahrhundert in russischen oder westlichen Sammlungen und so sind diese prachtvollen Stickereien, die wohl alle vor 1850 entstanden sein dürften, nicht nur ein Zeugnis einer einzigartigen Tradition und Handwerkskunst sondern auch Symbol vom Verlust, Untergang und Ausverkauf dieser Werte. Als Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Erstarken des russischen Einflusses im fernen Zentralasien die ersten westlichen Händler und Reisenden diese entlegenen Regionen erreichten, mögen sie den Charme und die Schönheit dieser „Bettdecken“ und „Wandbehänge“ entdeckt haben. In Wahrheit waren es aber keine Bettdecken sondern die Prunkstücke des Brautschatzes ohne eine andere Funktion als Träger von Hoffnungen und Erwartungen für die Zukunft der Braut, Träger von Symbolen und Amuletten mit tiefer Bedeutung, Symbole der Liebe schließlich. In der traditionellen Gesellschaft der Emirate waren die Susanis zwar von großem ideellen Wert für die Braut, aber sie waren kein Handelsgut, sie hatten keinen materiellen Wert, sie wurden nicht gekauft sondern gemacht. Sie wurden weggepackt und sorgsam als persönlicher Schatz und Erinnerung verwahrt. Erst durch die westliche Nachfrage wurden diese Familienstücke verkäuflich und man trennte sich leicht von den alten Stücken, die von der Mutter oder Großmutter verwahrt worden waren. Wenige Jahre dürften damals für den Ausverkauf dieser alten Susanis gereicht haben. Zwar setzte sich die Tradition der Nadelarbeiten als Brautgeschenk bis ins 20. Jahrhundert fort, doch ließen synthetische Farben, maschinell hergestellte Stoffe, vor allem aber neue Ideen in den Köpfen eine uralte Tradition innerhalb weniger Generationen für immer untergehen. Umso wichtiger ist die Bewahrung und Bearbeitung der wenigen erhaltenen Stücke. 54 heute bekannte Großmedaillon-Susanis waren für Michael Franses Anlaß für die vorliegende Studie und deren Veröffentlichung in einer Luxus-Publikation, deren Größe, Sorgfalt, Druckqualität und Schönheit dem Anspruch und der Bedeutung dieser geheimnisvollen Gruppe gerecht wird. Die Tafeln im Format 42.5 x 65 cm zeigen 12 Exemplare aus den insgesamt 10 von Michael Franses gebildeten Untergruppen sowie zwei Unikate, die in keine dieser Gruppen passen. Auf 8 weiteren Tafeln mit Detaildarstellungen in natürlicher Größe können Techniken und Muster – fast wie am Original – studiert und bewundert werden. Natürlich gibt es bei Susanis anderer Gruppen oder anderer Herkunftsgebiete – die Großmedaillon-Susani werden durchweg der Region Buchara zugerechnet – Stücke von nicht minderer künstlerischer und handwerklicher Qualität und Schönheit – und doch sind diese Großmedaillon-Susani etwas Besonderes. Sie sind zweifellos ästhetisch ungemein spektakulär und haben mit ihrem mächtigen Mittelmedaillon mit innerer Rosette, der strahlenförmigen Gliederung und der kraftvollen Farbigkeit des Musters, das den Grundstoff völlig verdeckt, eine unmittelbare und tiefe Wirkung. Nahezu alle sind von ausgewogener Komposition und trotz der offenbar bewußten Unregelmäßigkeiten von einer intuitiv erfaßbaren inneren Harmonie. Obwohl sie, wie alle Susanis, ganz offensichtlich auf floralen Motiven basieren, treten diese in den Hintergrund, und in Komposition und Musterung dominieren abtrakt-geometrische Formen. Immer wieder eingestreute Vögel, Wasserkannen, Botehs, Widderhörner und anderes mehr, allesamt Motive mit amuletthafter Bedeutung, sind erkennbarer Ausdruck einer wohl viel tiefergehenden, geheimnisvollen Symbolik. Die archaische Anmutung dieser Susanis, ihre ausgereiften Kompositionen, lassen sie als Endpunkt einer jahrhundertelangen Entwicklung erscheinen. Die Idee von der Darstellung eines mythischen Universums, beherrscht von Sonne und Mond, liegt nahe und verweist auf den möglichen Ursprung der Muster in altorientalischen Kultvorstellungen. Es spricht für die Souveränität des Autors, des unbestritten besten Kenners von Susanis schlechthin, daß er mehr Fragen offen läßt als er beantwortet. Das gilt für Ursprung und Bedeutung der Muster, für die ethnische Herkunft der Frauen, die diese Kunstwerke schufen und für das Alter der erhaltenen Stücke. Daß sie vor der Mitte des 19. Jahrhunderts enstanden sind, kann als sicher gelten, daß einige oder mehrere ins 18. Jahrhundert datieren ist wahrscheinlich. Michael Franses stellt die Frage, ob nicht das eine oder andere Stück noch erheblich älter sein könnte. Seit der bei turkmenischen Knüpferzeugnissen aufgrund der C-14-Methode gewonnenen Erkenntnis, daß Mustertraditionen oft über Jahrhunderte unverändert erhalten blieben, ist diese Frage legitim. Beantworten können wir sie heute noch nicht. Bis das vielleicht einmal geschieht können wir uns aber dank der großartigen Publikation von Michael Franses an der Kraft und Schönheit dieser Großen Stickereien von Buchara erfreuen und begeistern. (- mb -)

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