Azerbaijan Carpet

Autor/en: Roya Tagiyeva
Verlag: Azerbaijan State Museum of Carpets and Handicrafts
Erschienen: Baku 1999
Seiten: 406
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 150.–
ISBN: 5-8066-1013-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2000

Besprechung:
Nationalbewußtsein und Stolz auf die junge Eigenstaatlichkeit von Aserbaidschan prägen dieses Buch, machen es zugleich liebenswert aber auch durchaus problematisch. Nicht nur einmal, nein immer wieder, betont die Autorin, daß Teppiche, die man bisher fälschlich als „kaukasisch“ bezeichnet hat, nunmehr korrekt aserbaidschanische Treppiche genannt werden müssen. Mehr noch: Auch Teppiche aus Täbris oder Heris sind nicht länger „persisch“, sondern ebenfalls Teppiche aus Aserbaidschan. So werden sogar die berühmten Ardebil-Teppiche aus London und Los Angeles oder der Jagd-Teppich aus dem Museum Poldi Pezzoli in Mailand von Tagiyeva als aserbaidschanisch vereinnahmt. Was aber ist Aserbaidschan? Ist das eine korrekte Herkunftsbezeichnung, ist sie richtiger als „kaukasisch“? Ich meine nein. Sowohl das heutige Aserbaidschan wie auch die aserbaidschanische sozialistische Sowjetrepublik sind bzw. waren künstliche politische Gebilde, deren Grenzen weder geographisch noch ethnisch noch kulturell begründet sind. Aserbaidschaner leben in Aserbaidschan aber auch in Georgien, in Armenien, in Daghestan, vor allem aber in Nordwest-Iran, wo sogar eine ganze Landschaft Aserbaidschan heißt. Das deckt sich durchaus mit dem von der Autorin umfassend verstandenen Begriff aserbaidschanischer Herkunft von Teppichen. Doch übersieht sie, daß in dieser Region seit jeher ein Völkergemisch siedelt, wie es bunter und vielgestaltiger kaum sein könnte. Die Region zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer, diese Landbrücke zwischen Ost und West, war immer schon ein Ort, wo die Eroberungsgelüste von Großmächten aufeinanderprallten, wo politische und kulturelle Einflüsse schneller wechselten als irgendwo anders. Die Seidenstraße, die hier ihren Weg nahm, brachte Reichtum, war aber auch Anlaß für viele Völker und Stämme, sich hier niederzulassen, zu erobern, zu unterwerfen. Hohe Berge, unzugängliche Täler taten ein weiteres dazu, daß in dieser Region eine Vielfalt von Völkern, Rassen Sprachen und Religionen vertreten ist wie kaum sonstwo. Und die meisten, nicht nur die Aserbaidschaner, knüpften Teppiche, betrachteten und betrachten Geknüpftes und Gewebtes als ihr wichtigstes Kulturgut. Daher sollten wir es bei dem zwar unscharfen aber zutreffend rein geographisch gebildeten Begriff der kaukasischen Teppiche wohl besser belassen. Gleichwohl: Azerbaijan Carpet ist ein erstaunliches und faszinierendes Buch über den kaukasisch/aserbaidschanischen Teppich, eine Fundgrube bisher nicht bekannten Materials in Wort und Bild. Roya Tagiyeva, Direktorin des Museums für Teppiche und Handwerk in Baku, seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit dem Thema befaßt, kann auf reiche Bestände des eigenen Museums vom 18. bis zum 20. Jahrhundert zurückgreifen und sie verwertet bei ihrer historischen, geographischen und künstlerischen Klassifikation der kaukasischen/aserbaidschanischen Teppiche vor allem die äußerst umfangreiche, westlichen Lesern oder Wissenschaftlern so gut wie unzugängliche russische Fachliteratur. 80% der zitierten Fachliteratur sind russische Quellen, die hier erstmals für ein Buch über kaukasische Teppiche erschlossen werden. Es sind Informationen und Denkanstöße, die Beachtung verdienen und die zweifellos ein neues Kapitel über den kaukasischen Teppich aufschlagen werden. Opulent auch die optische Ausstattung des Buches, das von der UNESCO und internationalen Ölgesellschaften gesponsort wurde und das in Papier- und Druckqualität westlichem Standard entspricht. Mindestens 360 Abbildungen von Teppichen, Klassiker wie unbekannte Schätze aus dem Museum in Baku, die Hälfte davon auf ganzseitigen Tafeln, Detailaufnahmen, Teppiche auf frühen Bildern, großartige Fotos von aserbaidschanischen Nomaden in kaukasischen Gebirgslandschaften bei der Herstellung von Wolle, beim Färben und Knüpfen, zahlreiche instruktive Karten und ungezählte Skizzen mit technischen Details, Musterlementen, Vergleichsbeispielen aus Keramik und Architektur versöhnen mit dem manchmal schwer lerbaren Text. Ein umfangreicher Anhang mit Strukturanalysen, Glossar und der schon erwähnten, wertvollen Bibliographie machen Azerbaijan Carpet zum Teppichbuch des Jahres. (- mb -)

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