Carpets and Textiles – The Thyssen-Bornemisza Collection

Autor/en: Friedrich Spuhler
Verlag: Philip Wilson Publishers
Erschienen: London 1998
Seiten: 292
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 95.– engl.Pfund
ISBN: 0-85667-4966
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Die Neunte Internationale Konferenz über den Orientteppich (IX.ICOC) in Mailand und Florenz hat den klassischen Teppich wieder in den Vordergrund gerückt. Kein Wunder, war doch Italien das Land Westeuropas, das dem alten Orient am nächsten lag und dessen Kaufleute immer schon einen regen Handel mit den östlichen Ländern trieben. So konnten im Herbst 1999 in Mailand, Florenz und Venedig überraschend viele klassische Teppiche aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert bewundert werden. Und nicht nur das. Die weltberühmten italienischen Galerien, die Brera, die Uffizien und die Accademia besitzen einen Schatz früher Gemälde mit Teppichdarstellungen, der anläßlich der IX.ICOC ebenfalls besichtigt werden konnte. So kommt die wichtige Publikation über die Teppiche und Textilien in den Kunstsammlungen der Familie Thyssen-Bornemisza gerade zur rechten Zeit um dieses Interesse zu vertiefen, denn die Sammlung Thyssen-Bornemisza wird, was die safawidischen Teppiche aus Persien oder die Mogul-Teppiche aus Indien anlangt, von keiner anderen privaten Sammlung übertroffen. Schon einmal, 1972, war die Sammlung Gegenstand eines Kataloges. Damals beschrieb May Beattie aber nur eine Auswahl von 18 Stüken während der nun vorliegende Katalog von Friedrich Spuhler 70 Teppiche und 9 Textilien umfaßt. Der Kern der von Baron Dr. Heinrich von Thyssen-Bornemisza (1875 – 1947) begründeten Sammlung – vorwiegend persische und kaukasische Teppiche – ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten vom Sohn Hans-Heinrich ausgebaut worden und schließt heute türkische, ostturkestanische, chinesische und spanische Teppiche ein und deckt mit einem Hauptteppich der Saryken auch die turkmenische Provenienz ab. Die der klassischen geographischen Gliederung folgenden, einführenden Kapitel, von der Türkei bis China, geben damit eine vollständige und aktuelle Übersicht über den klassischen Teppich. Besonderes Interesse verdient die Einführung, eine kurze Geschichte der Datierung von Teppichen anhand früher Gemälde, hier anhand von Bildern aus der Sammlung von Thyssen-Bornemisza. Diese wichtige Datierungshilfe hat eine alte Tradition und geht auf Wilhelm von Bode, Ernst Kühnel und Kurt Erdmann zurück, kurz auf die „Berliner Schule“ der Teppichwissenschaft, der auch Friedrich Spuhler zuzurechnen ist. Ein Bild von Giovanni di Paolo, um 1460 entstanden, zeigt einen frühen anatolischen Tierteppich mit der Darstellung eines stilisierten Falken oder Adlers, verwandt mit Darstellungen auf byzantinischen oder sogdischen Seiden. Ein weiteres Bild, etwa 1510 bis 1512 von Sebastiano del Piombo gemalt, läßt einen sogenannten „kleingemusterten Holbein“ erkennen, und das Porträt eines jungen Mannes von Hans Memling, wohl der linke Seitenflügel eines im übrigen verschollenen Triptychons, zeigt im Hintergrund unverkennbar die sorgfältig ausgeführte Kufi-Bordüre eines wohl sehr großen Teppichs. Es liegt nahe, zu vermuten, daß auf der verschollenen Haupttafel dieses Triptychons weitere Teile dieses geheimnisvollen Teppichs zu sehen wären. Auf die Rückseite dieses Tafelbildes schließlich hat Memling das in der Teppichwissenschaft berühmte Bild gemalt, das einer ganzen Mustergruppe seinen Namen gegeben hat, wobei als Kuriosität zu vermerken ist, daß die von Memling dargestellte Bordüre auf keinem einzigen der überaus zahlreichen bekannten Teppiche mit Memling-Güls zu finden ist. Unter den klassischen Teppichen aus der Türkei, allesamt höfische Stücke, finden wir neben drei vorzüglichen frühen Medaillon-Uschaks – keine Sammlung sonst bietet solche Vergleichsmöglichkeiten – ein ebenfalls aus Uschak stammendes Teppichfragment mit seltenem Wolkenbandmuster. Höhepunkt und zugleich Schwerpunkt vom Sammlung und Buch sind berühmte Stücke aus dem goldenen Zeitalter persischer Teppichkultur aus dem 16. und 17. Jahrhundert, zum großen Teil berühmte Teppiche, die die Teppich-Literatur seit ihren Anfängen im vergangenen Jahrhundert begleiten. Sie gehörten einst bekannten Sammlern wie Albert Figdor oder Kennern wie Wilhelm von Bode oder Kurt Erdmann, alles Pioniere des Teppichsammelns in Europa. Es sind Teppiche, die schon vor langer Zeit den Westen erreichten und die sämtliche von berühmter Provenienz sind. Der Sanguszko Teppich der Countess von Béhague, der Jagdteppich der Fürstin von Béarn, der Spiralranken-Teppich des Fürsten von Enzenberg oder der Braganza Teppich sind feststehende Begriffe in der Teppichwelt. Jedes einzelne Stück wird diskutiert und beschrieben und die Fortschritte der Teppichwissenschaft zeigen sich vor allem darin, daß von Beattie noch als Problemstücke angesehene oder als nicht sicher einzuordnende Teppiche heute kaum noch große Rätsel aufgeben. Der Béarn-Teppich ist solch ein Beispiel: Für Beattie war es mangels ausreichender Vergleichsstücke ein Produkt des 19. Jahhunderts, während Spuhler ihn überzeugend in Isphahan in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstehen läßt. Der von Pannwitz-Teppich, von Beattie mit Fragezeichen als türkisch-höfisches Produkt aus dem 19. Jahrhundert angesehen, ist für Spuhler Anlaß, sich mit dem Problem der sogenannten Salting Teppiche zu bafassen und er meint zu Recht, daß es eine solche Gruppe vom wissenschaftlichen Standpunkt gar nicht gibt, daß vielmehr jeder Teppich seine individuelle Beurteilung erfahren muß. Der von Pannwitz-Teppich wurde mit Hilfe der Radiokarbon-Methode untersucht und das kalibrierte Alter von 1477 bis 1669 ist eine glänzende Rechtfertigung für diesen prachtvollen safawidischen Teppich. Der Drachen-Teppich von Cassirer und andere frühe Kaukasen, Seiden-Teppiche aus Kaschgar, frühe chinesische Stücke aus Ninxia und äußerst seltene spanische Teppiche, runden das Bild und machen Spuhlers Buch zu einem unentbehrlichen Standardwerk für Liebhaber und Sammler von Teppichen. Dies umso mehr als die Familie Thyssen-Bornemisza die Teppiche als dekorative Ausstattung ihrer Wohnsitze betrachtet und sie daher der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. So konnten auch die Teilnehmer der IX.ICOC in der Villa Favorita in Lugano nur einen ganz kleinen Teil der Sammlung im Original sehen und sich von Friedrich Spuhler temperamentvoll und wissend erläutern lassen. Doch kein Lob ohne Tadel: Die Farbwiedergabe vieler der Teppiche entspricht nicht dem Stand der Technik und das Buch von Beattie, inzwischen mehr als ein Vierteljahrhundert alt, kann in dieser Hinsicht neben der Neuerscheinung glänzend bestehen. (- mb -)

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