Samit and Lampas – Motifs Indiens – Indian Motifs

Autor/en: Krishna Riboud (Hrsg)
Verlag: A.E.D.T.A.
Erschienen: Paris 1998
Seiten: 216
Ausgabe: broschiert / Leinen mit Schutzumschlag
Preis: FFR. 450.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 1998

Besprechung:
Wieder einmal haben in Tibet gefundene Seiden die Geschichte früher Textilien um ein faszinierendes Kapitel erweitert. Bis in die 80er Jahre galt Indien als eine Hochburg feinster aber ausschließlich flacher Baumwollgewebe in relativ einfacher Technik. Komplizierte Webstrukturen also etwa Seidengewebe in Samit- oder gar in Lampas-Webtechnik waren in der indischen Textilgeschichte vollkommen unbekannt. Dann tauchten ungewöhnliche und rätselhafte Textilien auf, die bis heute immerhin ein Gruppe von knapp einhundert Exemplaren bilden und die mit wenigen Ausnahmen in den letzten 15 Jahren aus Tibet kamen. Hinreißende Textilien in ästhetischer und historischer Sicht, intuitiv zwar dem Subkontinent zugeordnet, blieben Herkunft und Datierung bisher aber doch weitgehend Spekulation. Die A.E.D.T.A hat nun mit diesem Buch eine Forschungsarbeit vorgelegt, in der die namhaftesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet sich mit den Mustern, der Technik und den Farben dieser Gruppe befassen und deren indische Herkunft zu belegen versuchen. Gegenstand der Untersuchung sind 16 Stücke aus der Sammlung der A.E.D.T.A und 5 weitere aus dem Calico Museum of Textiles, Ahmedabad/Indien. Eine rein ikonographische Betrachtung gestattet zunächst die Bildung von 8 verschiedenen Gruppen, etwa „Krieger auf Elefanten“, „hybride Tiere in Medaillons oder floralem Gitterwerk“, „Lotos-Bordüren“ oder „Szenen aus dem Leben Krishnas“, um nur einige zu nennen. Obwohl dieses ikonographische und dekorative Repertoire zunächst verwirrend und gar zu vielseitig oder unterschiedlich erscheint, ergeben sich doch gegenüber bekannten Webarbeiten aus dem safawidischen Persien und der osmanischen Türkei Gemeinsamkeiten in der Technik, im Material und vor allem in der Farbpalette, die diese Motivgruppen als zusammengehörig erscheinen lassen. Die reiche aber doch zurückhaltende Farbgebung unterscheidet sie deutlich von der bunteren, an die Malerei der Zeit angelehnten Farbpalette safawidischer Arbeiten und es fehlt ihnen auch die durch Metallbroschierungen unterstützte Üppigkeit osmanischer Beispiele. Dennoch sind Einflüsse aus diesen bekannten, aus weniger bekannten und aus bis heute möglicherweise noch gar nicht bekannten Webzentren unübersehbar, und das macht die Lokalisierung dieser Stücke so schwierig. Die kleine Gruppe der Zeltbehänge mit der Darstellung einer einzelnen blühenden Pflanze unter einer Nische, naturalistisch zwar aber doch formal präzise, ist zwar klassischer, perfekter Moghul-Stil, jedoch gibt es keine Hinweise, ob die dafür erforderlichen höfischen Webzentren in Lahore, in Agra oder in Fatehpur Sikri wirklich existierten. Die Gewebe mit dem Formenkanon des Wischnuismus, mit den epischen Legenden des Ramayana oder den Beschwörungsszenen aus dem Leben Krishnas gehören wohl in den Nordosten Indiens, Bengalen oder Assam. Was aber ist mit den geheimnisvollsten, interessantesten und wohl auch frühesten (15./16. Jhrdt.) Stücken anzufangen, Tier- und Reiterdarstellungen in Medaillons oder Rautengittern? Sind hier Einflüsse aus Zentralasien wirksam? Sogdische und sassanidische Vorbilder sind unübersehbar, es führen aber auch stilistische Spuren zu chinesischen Quellen der Yuan- und Ming-Dynastien, sogar solche nach Italien, ist doch aus der alten Reiseliteratur bekannt, daß portugiesische Kaufleute spätestens seit dem 15. Jahrhundert italienische Brokate, Samte und Damaste in großen Mengen nach Indien brachten. Wenn auch viele Fragen offen bleiben, so kann Jedoch als gesichert gelten, daß es bereits zu Beginn der Moghulzeit in Nordindien zwei oder mehr Webzentren gab, die in der Lage waren hochkomplizierte Seidengewebe, Samit und Lampas, herzustellen. Wie gewohnt läßt die Qualität dieser AEDTA-Forschungsarbeit keine Wünsche offen. Detaillierte Strukturanalysen und Farbuntersuchungen sind eine Selbstverständlichkeit. Die komplizierten Webtechniken werden nicht nur in ihrer historischen Entwicklung sondern in Makrophotos und in Konstruktionszeichnungen vorgestellt. Da sich das Ganze auch noch spannend liest, ist Samit & Lampas eine beispielhafte und kaum zu übertreffende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet historischer Textilien. (Autoren: Amina Okada, Rahul Jain, Marie-Helene Guelton, Gabriel Vial, Jan Wouters, Alexandra Lorquin).

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