Shasavan Jajim

Autor/en: Taher Sabahi
Verlag: Cato Textile – Art Publications
Erschienen: Turin 1998
Seiten: 144
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 150
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 1999

Besprechung:
Von Anfang an waren es vor allem Teppiche als Symbole orientalischer Lebenskultur, die den Westen faszinierten und erfreuten. Seit den Kreuzzügen begehrt und geliebt, schließlich zum Gegenstand bürgerlicher Wohnkultur geworden, wurden sie in den orientalischen Ursprungländern schon früh zur Handelsware. Ganz anders die flachgewebten Gebrauchstextilien, die bis über die Mitte dieses Jahrhunderts unbeachtet blieben, die vielleicht – als Verpackungsmaterial eines Teppichballens in den Westen gelangt – die Wände eines Künstlerateliers zierten oder die Sitz- und Rückenfläche eines aufgepolsterten Sessels. Den Anfang der Entdeckung orientalischer Flachgewebe machten in den frühen Siebzigern die anatolischen Kelims und es folgten viele weitere flachgewebte Textilien in zahlreichen Techniken für die unterschiedlichsten Gebrauchszwecke aus Anatolien, Kurdistan und Persien. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Taschen der Shasavan ein, kostbare kleine Kunstwerke aus Wolle und Farbe, bestechend durch den Variationsreichtum der Muster, inzwischen hochbegehrte Sammlerstücke. Die letzte Entdeckung auf diesem Feld sind Jajims, in den meisten Ländern des Orients gewebte Textilien mit einem Dekor aus schmalen bunten Streifen, bis heute in vielfältigem Gebrauch, vom Bodenbelag bis zum Bettbezug, vom Kissen bis zur Satteldecke. Die schönsten Jajims stammen von den Shahsavan und von diesen, von den Jajim und ihren Herstellern, handelt das neue Buch von Taher Sabahi. Es ist ein mit dem Herzen geschriebenes Buch, dessen Ausgangpunkt nicht die Textilien sind, sondern die Menschen, die Nomaden, die Frauen, die diese schönen bunten Tücher gewebt haben. Kein Wunder, ist doch der Autor in der Region geboren und mit diesen traditionellen Textilien groß geworden. So steht auch am Anfang die Geschichte von der Großmutter Zuleikha, von ihrem feinen seidenen Jajim, auf dem sie ihre Gebete verrichtete und von ihren schaurigen Erzählungen von den gefürchteten, stolzen und freiheitsliebenden Shasavan, Geschichten, die wohl der Auslöser dafür waren, daß Taher Sabahi mehr über dieses Nomadenvolk wissen wollte. Ergebnis seiner intensiven Feldforschung sind nicht nur die 42 begeisternd schönen, im Buch abgebildeten und genau beschriebenen Jajims aus einer über 100 Stück umfassenden Sammlung, sondern die detaillierte und kenntnisreiche Schilderung der Geschichte und des Lebens der Shasavan von ihrem im Dunkel der Geschichte liegenden Aufbruch aus den Weiten der zentralasiatischen Steppe bis in den Iran von heute. Das harte nomadische Leben unter den extremen klimatischen Verhältnissen Innerasiens ließ die Turkvölker immer wieder im Süden fruchtbares Weideland suchen, eine über Jahrhunderte zu beobachtende Folge von erobernden Invasionen. Diese Nomaden waren harte Krieger und der safawidische Schah Abbas I, der Große Schah (1589 -1629) verdankte seine Macht und Größe diesen Reiterscharen, die sich seither „die Getreuen des Schah“, Shasavan nennen. Schah Abbas gestattete ihnen die Ansiedlung im Nordwesten seines Reiches; die Konföderation der Shasavan war geboren. Sie leben noch heute dort, vorwiegend in der Moghan-Steppe, in den Regionen von Hamadan, Khamseh, Gazvin und Veramin. Das zwanzigste Jahrhundert hat große Umwälzungen gebracht. Die Industrialisierung, der Ölboom in der Region und die Dynastie der Pahlevi, die das Nomadentum zu unterdrücken versuchte, machte einen Großteil der Shasavan zu Halbnomaden, gar zu seßhaften Ackerbauern und Industriearbeitern. Nach der Abdankung von Reza Schah im Jahre 1941 kehrten nur wenige Stämme zum nomadischen Leben zurück. Diese wenigen aber wandern wie seit Jahrhunderten im Herbst von den Sommerweiden an den Hängen und in den Tälern der schneebedeckten Sabaian, Sahand und Demavend in die fruchtbaren Ebenen von Moghan und Haschtrud, oft ein Weg von hunderten von Kilometern. Diese wenigen pflegen auch heute noch jahrhundertealte textile Traditionen, von denen die der Jajims sicher zu den ältesten und ursprünglichsten gehört. Wir kennen zwar keine Jajims, die vor dem 19. Jahrhundert entstanden sind, aber wir haben aus persischen Miniaturen aus dem 15. und 16. Jahrhundert den bildlichen Nachweis, daß Jajims damals schon genauso aussahen wie heute und daß sie vielfältig in Gebrauch waren. Zauberhaft etwa eine Liebesszene aus dem Gulestan des Sa’di, eine Miniatur aus Herat aus dem Jahr 1426, heute in der Chester Beatty Library in Dublin, mit einer verschwenderischen Fülle verschiedener Jajims. Diesen spannenden Entdeckungsreisen in die Geschichte der Shasavan und ihrer Textilien folgen exakte Darstellungen der Herstellungstechnik, der dabei verwendeten einfachen Werkzeuge und Webstühle oder Webrahmen und des in Jajims gebrauchten Musterschatzes. Trotz der beschränkten Möglichkeiten durch einfache Technik und Struktur finden wir einen reiche Skala an Dekorationsmotiven von einfachen Wellenranken über graphische Symbole, wie Sterne, Kämme und Amulettformen bis zu komplizierten Figuren hinter denen sich Drachen, Adler und Schlangen verbergen mögen, allesamt Glücksbringer und Dämonenbezwinger. Aber es sind häufig die einfachsten Jajims, diejenigen ohne jede Dekoration, die Zeugnis ablegen von der Kreativität der Weberin und ihrem perfekten Umgang mit der Farbe. Die wechselnde Breite der Streifen, überraschende Farbwechsel und immer wieder neue Farbzusammenstellungen erlauben einen ungeahnten Variationsreichtum, der den besten Stücken eine künstlerische Kraft verleiht, die diese Jajim zu herausragenden Stücken genuiner Volkskunst macht. Durch die liebevolle und gründliche Behandlung des Themas, die Ausblicke auch auf die anderen Textilarbeiten der Shasavan, die vergleichsweise seltenen Teppiche, die Kelims, Vernehs, Mafraschs, Namakdans, Soffrehs und andere mehr, ist das Buch eine herausragende Monographie über die Shasavan und ihre Textilien.

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