Velvets – Collezione Antonio Ratti

Autor/en: Chiara Buss
Verlag: Ratti S.p.A., Como
Erschienen: Villa Sucato 1998
Seiten: 164
Ausgabe: Leinen in Schuber
Preis: LIT 460.000
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 1999

Besprechung:
Der fünfte Band der Sammlungskataloge der Antonio Ratti Collection ist nicht weniger prächtig als der in der letzten Literaturübersicht vorgestellte Band „Silk and Colour“. Das große Buchformat (30.5 x 30.5), die exzellente Drucktechnik, vor allem aber seitenfüllende Ausschnittvergrößerungen gewähren einen Einblick in die unterschiedliche Struktur vom Samten, wie man sie sonst nur noch unter dem Mikroskop gewinnen kann. Dies ist die eine Überraschung. Die andere besteht darin, daß es der Autorin gelungen ist, zu zahlreichen der vorgestellten Samte aus europäischen und amerikanischen Galerien Gemälde aufzuspüren, die genau diese Samte wiedergeben. Bilder der Muttergottes, Portraits von Fürsten der Renaissance, diese Gemälde von Memling, Crivelli und anderen Meistern illustrieren die außergewöhnliche Bedeutung und Wertschätzung, die jene Zeit diesen kostbaren Geweben zumaß. Samt war seit jeher Symbol und Ausdruck höchster weltlicher und religiöser Macht, das Material der Roben für Kardinäle und Päpste, für Könige und Kaiser, prachtvoll, kostbar und entsprechend teuer. Literatur, die sich ausschließlich dem Samt widmet ist relativ selten. So ist dieses Buch, abgesehen von seiner kostbaren Ausstattung, ein wertvoller Beitrag zu einem wichtigen und faszinierenden textilen Thema. Wo und wann ist Samt zum ersten Mal hergestellt worden? Bei dieser Frage kommt zwangsläufig China ins Spiel, fand man doch bei Ausgrabungen in jüngster Zeit Seidenfragmente mit samtartiger Musterung aus der Han-Zeit. Die durch Kettfäden gebildeten Schlingen, ähnlich wie bei koptischen Textilien des 2. bis 4. Jahrhunderts, sind jedoch noch kein echter Samtflor. Richtige chinesische Samte sind dann erst aus späteren Yuan- und aus der Mingdynastie bekannt. In Europa wird Samt erstmals in einem päpstlichen Inventar des Jahres 1311 erwähnt. Haben wir es hier vielleicht mit einer der wenigen Seidenwebtechniken zu tun, die ganz im Westen entwickelt wurde? Wissenschaftler gehen heute davon aus, daß die Fertigkeit, Samt zu weben sich zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert parallel in China, Persien und Europa entwickelte. Die Geschichte des europäischen Samtes ist zugleich Wirtschaftsgeschichte. Nur in bedeutenden Finanz- und Handelszentren konnten diese teuren Gewebe hergestellt werden. Lucca als frühester bekannter Produktionsort erwies sich rasch als zu finanzschwach. Venedig, Genua und Florenz waren dann im 14. Jahrhundert führend. Mailand, Drehscheibe des Handels zwischen Nord und Süd, Ost und West entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert innerhalb von wenigen Jahren zum Herstellungsort für die kostbarsten Samte jener Zeit. Seit dem 17. Jahrhundert liegt die Führerschaft in Frankreich.

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