Ikat – Silks of Central Asia – The Guido Goldmann Collection

Autor/en: Katherine Fitz Gibbon, Andrew Hale
Verlag: Lawrence King Publishing
Erschienen: London 1997
Seiten: 368
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag im Schmuckschuber
Preis: US-$ 250.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 1997

Besprechung:
Das Wort Ikat, malaiisch-indonesischen Ursprungs, steht als Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Textilien, bei denen in einer mehrstufigen Reservetechnik, in einer ganzen Serie von Abbinde-und Färbevorgängen der Kett-, gelegentlich auch der Schußfaden vielfarbig eingefärbt wird, bevor daraus dann ein gemusterter Stoff gewoben wird. Diese komplizierte Technik, bei der das Endergebnis, also das gewünschte Muster, während des Färbevorgangs nicht gesehen und nicht kontrolliert werden kann, da es erst beim Weben entsteht, ist in vielen Teilen der Welt bekannt. Ikat-Stoffe wurden und werden in Südostasien, in Indien und Japan, im Yemen und in Süd- und Mittelamerika hergestellt – und in Zentralasien. Und nirgendwo sonst als dort hat die Ikat-Technik eine solche Perfektion erreicht; die Seiden-Ikats aus Zentralasien sind in Muster, Farbe und technischer Ausführung unübertroffen; es sind textile Kunstwerke allerhöchsten Ranges. Wer aber daraus auf eine alte Tradition schließt hat sich getäuscht. Frühe zentralasiatische Ikats sind kaum bekannt. Ein Fragment aus dem 6.Jahrhundert in Nara, spärliche Funde in Sinkiang, seltene Hinweise auf frühen Wandmalereien – alles deutet darauf hin, daß die Ikat-Weberei in Zentralasien bis zum 19. Jahrhundert wenig Bedeutung hatte. Und plötzlich, Anfang des 19. Jahrhunderts wird diese Technik neu entdeckt, entwickelt sich in wenigen Jahrzehnten in rasanter Entwicklung zu ihrem technologischen und künstlerischen Höhepunkt und sinkt noch im selben Jahrhundert wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück. Wie konnte das geschehen? Die Autoren dieses Buches versuchen nach Jahrzehnten der Feldforschung und der Auswertung aller zugänglichen Quellen – alter Reiseliteratur ebenso wie des wirtschaftlichen historischen und kunsthistorischen Schrifttums – eine Antwort zu finden und es ist ihnen gelungen. Es entsteht das Bild einer faszinierenden Welt. Buchara, Anfang des 19. Jahrhunderts. Dunkle Jahrhunderte liegen zurück, das Reich Timurs ist längst Geschichte, die Seidenstraße nur noch Legende, verfallende Basare, Moscheen und Karawansarais zeugten von vergangenem Reichtum. Und plötzlich kommt eine Wende, eine überraschende und rasche Stabilisierung der politischen Verhältnisse, ein Aufblühen der Khanate von Buchara, Kira und Kokand. Frieden herrscht und der Handel floriert. Usbeken und Tadschiken bilden den Hauptteil der städtischen Bevölkerung, hinzu kommen arabische und turkmenische Nomaden, Kasaken und Kirgisen, Iraner und Juden, Künstler aus Merv, Geldverleiher aus Indien, Händler aus Afghanistan, ein buntes Gemisch aus Sprachen und Religionen. Zentrum des sozialen Lebens ist der Basar, Moscheen, Medresen, Tee- und Badehäuser, Schauspieler, Akrobaten, Musikanten, betende Derwische und überall Musik. Alle ethnischen Gruppen des südlichen Zentralasien, alle Färbe- und Webtechniken sind im Buchara des beginnenden 19. Jahrhunderts vertreten, Geld ist genug vorhanden, der Bedarf nach Luxusgütern, zu denen traditionell schon immer kostbare Textilien zählen, ist groß. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, sind diese Stoffe da und begeistern eine lebensfrohe und repräsentationsbewußte Gesellschaft. Jeder will diese dekorativen Stoffe haben, für Sommer- oder Winterkleider, als Schmuck für Haus und Zelt, für Kissen, Pferdedecken und für Wandbehänge. Niemand weiß ganz genau, wie, wann, wo und warum in Zentralasien begonnen wurde, diese Ikats zu weben aber das Zusammentreffen aller ethnischen Gruppen des südlichen Zentralasien, aller Techniken der Färbens und Webens, aller benötigten Materialen in einem Umfeld von Prosperität und Luxus, wie es in Buchara gegeben war mag am Anfang dieser rasanten Entwicklung gestanden haben. Diese lebendige und glänzend recherchierte Darstellung des kulturellen Hintergrundes der zentralasiatischen Ikats ist nur eines der Kapitel dieses Buches. Es versteht sich, daß jedes Detail des komplizierten Herstellungsprozesses beschrieben wird, ebenso wie das soziale und soziologische Umfeld, die Gilden der Färber und Weber, ihre strenge, mittelalterlich anmutende Organisation und schließlich die Bedeutung der Juden, die zunächst als Färber, später als Händler eine wichtige Rolle im Ikat-Geschäft spielten. Der Qualität und dem Informationswert der Textbeiträge steht der den Umfang des Werkes vor allem bestimmende Bildteil in nichts nach. Alle 185 Ikat-Gewebe der Guido Goldman Collection sind in exzellenter Drucktechnik und großem Format wiedergegeben, vielfach begleitet von Ausschnittvergrößerungen mit interessanten Musterdetails und seitenfüllenden 1:1-Faksimiles dieser begeisternd schönen Stoffe Beinahe glaubt man, die Ikats im Original vor sich liegen zu haben. Die Guido Goldman Collection ist mit großem Abstand die bedeutendste und umfassendste Ikat-Sammlung überhaupt. Die Bestände des Ashmolean Museum in Oxford, des Victoria and Albert oder der Sammlung Moser im Berner Historischen Museum verblassen vor dem Glanz dieser Sammlung, deren Schwerpunkt zudem in Stücken aus der besten Zeit des zentralasiatischen Ikat-Weberei liegt, der vierten und fünften Dekade des 19. Jahrhunderts. Und noch eine Besonderheit dieser Sammlung ist zu erwähnen: Nicht die Prachtgewänder der Honorationen, die Ikat-Mäntel, stehen im Vordergrund – nur ein knappes Dutzend davon ist zu sehen – sondern vielmehr die großformatigen Wandbehänge, die die Ikat-Muster in ihrer Farbigkeit, Vielfalt und Phantasie unverschnitten präsentieren. Diese Vielfalt der Muster ist es auch, die zunächst beinahe erschlägt, die einen das Buch immer wieder zur Hand nehmen und Fragen nach ihrer Herkunft und Bedeutung entstehen läßt. Der zentrale Textbeitrag versucht hierauf Antworten zu geben. Uralte präislamische Symbolik, der zentralasiatische Tierstil, Widderhorn und Skorpion, das sassanidische Medaillon, sogdische Lebensfreude und Ästhetik, geflügelte Löwen, Adler und Greife – all dies kann aus den Ikat-Mustern herausgelesen werden. Dennoch darf man diesen ikonographischen Hintergrund der Ikat-Muster nicht überbewerten. Zentralasiatische Ikats sind Werke islamischer Kunst und bei dieser tritt regelmäßig die Darstellung zurück hinter die Form, das Ikonographische wird abstrahiert zu einem harmonischen Gesamtmuster. Dem Ergebnis ist daher beizupflichten: Wenn auch die Wurzeln der Ikat-Muster erkennbar in alter zentralasiatischer Symbolik liegen, so haben die vielfach in den Stoffen wiedergegebenen Symbole wohl keine wirkliche Bedeutung mehr; sie sind einfach Bestandteile des Musters geworden. Dies entspricht auch dem Zeitgeist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Buchara, im Farghana-Tal und in Samarkand. Ikat-Stoffe hatten keine kultische Bedeutung. Ikat-Stoffe wurden gemacht, um ein Bedürfnis nach Luxus und Repräsentation zu befriedigen, um den Betrachter zu fesseln oder einfach um Freude zu machen. Und genau das ist es auch, was dieses schöne Buch vermag: Es ist eine wahre Lust, sich in dem Reichtum der Farben und Formen zentralasiatischer Ikats zu tummeln und zu verlieren. (Anmerkung: Zur Ausstellung eines Teil der Guido Goldman Collection im Museum of Fine Arts in Boston erschien ein in Format, Text und vor allem im Biltteil stark gekürzter Katalog – eine Alternative zu dem ultimativen Ikat-Buch ist er eigentlich nicht).

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