Silk and Colour – Collezione Antonio Ratti

Autor/en: Chiara Buss (Hrsg)
Verlag: Ratti S.p.A.
Erschienen: Como 1997
Seiten: 204
Ausgabe: Leinen im Schuber
Preis: LIT 460.000
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 1998

Besprechung:
Dieses prachtvolle Buch, der sechste Band der Sammlungskataloge der Antonio Ratti Collection, ein Augenschmaus in Seide und Farben, soll Anlaß sein, die Fondazione Ratti in Como, gegründet 1985 von Antonio Ratti, kurz vorzustellen. Antonio Ratti, Textildesigner und leidenschaftlicher Sammler, vor allem aber Textilunternehmer, der die norditalienische Tradition der Seidenweberei wiederbelebt hat und heute an der Spitze eines weltweit bedeutenden Textilkonzernes steht, stellte für die Unterstützung von Forschung und Wissenschaft auf dem Gebiet der Textilien und der schönen Künste bedeutende Mittel, vor allem aber seine herausragende Sammlung antiker Textilien zur Verfügung. Aufgabe der Stiftung ist es, die Sammlung auszubauen, wissenschaftlich zu bearbeiten, sie zu bewahren und zu konservieren und sie auszustellen und zu publizieren. Beispielhaft ist vor allem die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen eingerichtete Aufbewahrung und Konservierung der Sammlung in der schönen Villa Sucato in Como, Vorbild für das von Antonio Ratti mitfinanzierte Ratti-Center im Metropolitan Museum in New York. Schwerpunkte der Sammlung sind koptische Textilien, knapp 200 Kaschmirschals aus Indien und Europa, vor allem aber Samt und Seide, das Beste was Venedig und Lyon hervorbrachten. Dieser Kern der Sammlung Ratti ist eine lückenlose Dokumentation der europäischen Seidenweberei, ihrer Webtechnik, ihrer Musterentwicklung, der Farben, Färbedrogen und der Färbetechniken. Ergänzt wird dieses bedeutende Studien- und Anschauungsmaterial durch nicht weniger als 1500 Musterbücher mit über 400.000 Stoffmustern, ein auf der Welt wohl einzigartiges Archiv. Der jüngst erschiene Band VI der Publikationsreihe, Silk and Colour, ist vor allem einem Korpus dieser Musterbücher gewidmet, einer vollständigen Folge der von der Gilde der Seidenweber in Lyon von 1906 bis 1930 herausgegebenen Musterkarten. Diese Musterkarten enthalten Saison für Saison hunderte verschiedener Farben, jede einzelne original an kleinen Seidenbündeln in jeweils 6 verschiedenen Schattierungen dargestellt. So werden, von Belle Epoque bis Art Deco um die 50.000 verschiedene Farben, einander oft ähnlich aber niemals identisch, vorgestellt. Ein Überblick über 30 Jahre Mode- und Textilgeschichte in diesem Jahrhundert, zugleich auch ein Triumph der Färbe-Chemie und der Entwicklung moderner Färbetechniken. Foto-, Wiedergabe- und Drucktechnik sind allerhöchstes Niveau und ermöglichen so einen wahren Farbenrausch. Vielleicht noch lohnender aber ist der dieser Farbsymphonie vorausgehende Textteil, der die Geschichte der Seidenweberei in Europa, vor allem aber die Geschichte des Färbens von Seide beschreibt. Diese Geschichte beginnt zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert, als die Araber die Seidenraupe nach Europa brachten und sie konzentriert sich während des ganzen Mittelalters auf den Mittelmeerraum, auf Genua, Florenz und Venedig, aber auch auf Spanien und Sizilien, wohin die Mauren das komplizierte Lampas-Gewebe gebracht hatten. Webzentren waren stets auch Hochburgen der Färberei und die während des ganzen Mittelalters gepflogene Geheimhaltung von Drogen und Färbetechniken war ein wichtiges Marktinstrument. Die beginnende Neuzeit brachte hier Änderung und Umschwung. 1540 erschien in Venedig das erste gedruckte Buch über Farben, aus der neuen Welt kamen neue Färbedrogen, Handwerk und Wissenschaft begannen zusammenzuarbeiten. Die Franzosen hatten die Zeichen der Neuzeit als erste erkannt und so begann im 17. Jahrhundert der Siegeszug der Seidenweberei in Frankreich. Diese Geschichte wird in vielen Facetten und stets fundiert und zugleich unterhaltend dargestellt. Der Beitrag von Grazietta Butazzi über die Sprache der Farben in der Renaissance ist eine aus dem Blickwinkel der Farben geschriebene Geschichte Italiens jener Zeit. Chiara Buss untersucht den Symbolgehalt der Farben, der bis ins 16. Jahrhundert für Hof, Militär und Bürgertum bestimmend für die Kleidung war, bevor dann im 17. und mehr noch im 18. Jahrhundert Mode und Dekoration das Diktat der Farbwahl übernahmen. Paolo Bensi beschreibt die rasante Entwicklung der synthetischen Farben von der Entdeckung des Mauvein durch William Perkin im Jahre 1856, über die schon 1859 erfolgte Patentierung von Fuchsin, bis dann bereits 1890 nicht weniger als 390 synthetische Farben bekannt waren. Auch der historische Teil ist opulent illustriert mit Gemälden und frühen Textilien -diese oft in ganzseitigen Ausschnittvergrößerungen, die nahezu das Original ersetzen. Ein Buch ganz im Sinne von Antonio Ratti, der den Textilliebhabern aus dem Herzen spricht, wenn er von sich selbst sagt: „The realm of fabrics, with its infinite variety, for me represents the potential of man’s creativity and expression. In fabric I rediscover the artistic and cultural wealth of civilizations, of different ages and countries.“

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