Carpets and Rugs of Europe and America

Autor/en: Sarah B.Sherrill
Verlag: Abbeville Press
Erschienen: New York 1996
Seiten: 464
Ausgabe: Leinen im Schuber
Preis: US-$ 150.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 1997

Besprechung:
Europäische und amerikanische Teppiche, für den Liebhaber des Orientteppichs sind das die wahren Exoten und es erscheint zunächst kaum vorstellbar, daß über dieses Thema ein dickes, glänzend recherchiertes, wissenschaftliches Werk mit einer kaum fassbaren Fülle von Informationen überhaupt geschrieben werden kann. Die Autorin, eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet der dekorativen Kunst vom Bard Graduate Center in New York führt uns in eine bisher nur wenig bekannte Welt. Am Orientteppich aber kommt auch sie nicht vorbei und beruhigt stellen wir fest, daß der Knüpfteppich nicht in Europa, schon gar nicht in den USA erfunden wurde, sondern daß seine Wiege immer noch irgendwo in Asien steht. So kamen denn auch sicher die ersten Teppiche in Europa aus dem Orient, auch wenn niemand sagen kann, wo die Fragmente geknüpfter Textilien aus frühen europäischen Grabfunden wirklich geknüpft wurden. In nennenswerten Stückzahlen erreichten orientalische Teppiche Europa wohl erst zur Zeit der Kreuzzüge – man weiß das aus frühen Inventaren. Seither hat der Orientteppich, seine exotischen Muster, seine reichen, glühenden Farben und die Anmutung von Luxus die Faszination auf Europa nie verloren und es erstaunt deshalb nicht, daß in nahezu allen europäischen Ländern früher oder später, nachhaltig oder vereinzelt, schnell vergessen oder mit großem Erfolg begonnen wurde, Orientteppiche zu kopieren. Das erste umfangreiche Kapitel widmet sich konsequentermaßenm den orientalischen Quellen und Einflüssen, der Darstellung von Teppichen in frühen Bildern, den „Lottos“, „Holbeins“ und anderen, bevor sich die Untersuchung den europäischen Teppichproduktionen zuwendet. Dies beginnt mit Spanien, wegen des maurisch-islamischen Einflusses natürlich ein Sonderfall in Europa. So wurden wohl schon im 12. Jahrhundert Teppiche in Spanien geknüpft und deshalb hat sich der spanische Teppich auch nur schwer oder relativ spät von seinen meist anatolischen Vorbildern lösen können -von den ungewöhnlichen und interessanten Bordürengestaltungen, beispielsweise mit dem „Wilden-Mann-Motiv“, einmal abgesehen. Ganz anders Frankreich, das sich mit den Savonnerie- und Aubusson-Teppichen von Anfang an eng an die französischen Kunst- und Einrichtungsstile anlehnt. Schon weniger bekannt als Herkunftsort für Teppiche ist Belgien. In Tournai, wegen der wechselnden Grenzziehungen eher als franco-flämischer Produktionsort zu bezeichnen, stand um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert immerhin die größte europäische Teppichfabrik mit 900 Webern und 4000 Heimarbeitern. Die Liste der Auftraggeber von Tournai liest sich wie das „who is who“ des Europa jener Zeit. Das längste und inhaltreichste Kapitel ist der englischen Teppichproduktion gewidmet, die wohl im 16. Jahrhundert von flämischen Webern in Norwich begründet wurde. Den frühen Teppichen mit klassischen anatolischen Mustern und englischen Adelswappen – etwa das von Lord Montagu, 1570 datiert – folgte in der elisabethanisch-jacobinischen Zeit ein naturalistischer Floralstil, der die formale Erneuerung der arts-and-crafts-Bewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts vorwegzunehmen scheint. Vorher aber, im 18.Jahrhundert entwickelt sich in England eine bedeutende eigenständige Teppichindustrie zur Ausstattung der reichen Adelspaläste – Namen wie Moorfield, Axminster und Whitty seien hier genannt. Noch heute liegen im Osterley Park House, Middlesex, oder im Saltram House die Teppiche, die für diese Räume in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entworfen und sorgfältig mit anderen Details, etwa mit der Deckengestaltung abgestimmt wurden. Teppichproduktionen in Holland, Skandinavien, Österreich, Deutschland und vor allem Polen werden ausführlich untersucht. Für Italien findet sich der interessante Hinweis auf den ägyptischen Weber mit dem jüdischen Namen Sabadino, der ab 1490 in Ferrara eine große Teppichwerkstatt betrieben haben soll (vgl. hierzu den entsprechenden Hinweis in der Besprechung des Buches von Felton über den jüdischen Teppich). Die USA schließlich – wir haben es vermutet – sind für die Produktion von Teppichen wenig ergiebig. Von einigen Versuchen, den europäischen Teppich zu kopieren abgesehen, gibt er hier nur in Handarbeit hergestellte, volkstümliche Stickereien und Applikationsarbeiten. In allen Kapiteln nimmt die nach der industrielle Revolution im Laufe des 19. Jahrhunderts beginnende maschinelle Produktion von Teppichen und die verschiedenen neuen Techniken breiten Raum ein. Faszinierend und hoch interessant schließlich ist das abschließende Kapitel über das „progressiv design“. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Reaktion gegen die industrielle Massenproduktion führte zu einer Rückbesinnung auf traditionelle Kunststile und zu einer Wiederentdeckung des klassischen Teppichs. Die „arts and crafts“-Bewegung – William Morris und Walter Crane – befaßt sich ganz wesentlich auch mit der Gestaltung von Textilien und Teppichen. So ist es denn auch nicht mehr erstaunlich, daß sich Mackintosh, van de Velde, Wagner, Olbrich, Moser, Hoffmann, Frank Lloyd Wright, Eileen Gray, Paul Klee, Hans Arp, Miro, Picasso, Calder, Vasarely, Liechtenstein, Hockney und Starck – um nur einige der Wichtigsten zu nennen – mit dem Design von Teppichen befaßt haben. Dieses abschließende Kapitel macht deutlich, daß sich der europäische Teppich im Laufe der Jahrhunderte von einer Imitation des orientalischen Vorbilds zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt hat.

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