Nomaden- und Bauernteppiche

Autor/en: James Opie
Verlag: Christian Verlag
Erschienen: München 1995
Preis: DM 128.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 1996

Besprechung:
Von dem Grundsatz, in unseren Katalog- und Literaturübersichten keine Standardwerke der Teppichliteratur zu besprechen – denn das hieße Eulen nach Athen tragen – sei hier eine Ausnahme gemacht, denn ein außergewöhnlich wichtiges Buch, die schon 1992 in englischer Sprache erschienene Untersuchung von James Opie über Nomaden- und Bauernteppiche, liegt nun in einer guten deutschen Obersetzung vor. Dieses großformatige und umfangreiche Buch ist nicht in erster Linie wegen seiner zahlreichen und in ordentlicher Druck- und Farbqualität wiedergegebenen Knüpf-und Weberzeugnisse hervorzuheben, sondern wegen der sorgfältig dargestellten Ergebnisse der vom Autor seit 1970 betriebenen Erforschung der letzten noch vorhandenen Spuren traditioneller Stammeskulturen im Orient, vor allem im Iran. Ausgangspunkt der Darstellung ist die Lebensweise der Hirtennomaden, vor allem deren Liebe und Achtung für ihre Tiere, die ihr wertvollster Besitz sind. Die weit zurückreichenden, noch in diesem Jahrhundert lebendigen Herrschaftsstrukturen der nomadischen Gesellschaft werden ebenso behandelt wie die strenge Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Am Beispiel der Nomaden und Bauern der Qashqai-Konföderation, deren Schicksal beispielhaft ist für andere Nomadenvölker, etwa der Luren, der Kurden oder der turkmenischen Stämme, wird deutlich, daß sich die nomadischen Völker seit langem – und erst recht heute – in einer existenzbedrohenden Lebenssituation befinden. Nichts anderes aber gilt für das bedeutendste Kunst- und Handwerksgut dieser Nomaden und Bauern, die Teppiche. Das hohe künstlerische Niveau der von Nomaden und Dorfbewohnern hergestellten Knüpferzeugnisse und Flachgewebe ging in gleichem Maße verloren, wie vorherrschende wirtschaftliche und politische Entwicklungen dafür sorgten, daß den letzten Schöpfungen dieses Kulturphänomens nur noch der Wert pittoresker Anachronismen beigemessen wurde. Die künstlerischen Traditionen, die Teppiche, sind dem Giganten Industriegesellschaft zum Opfer gefallen. Doch zurück zum Buch: Überzeugend sieht Opie den Ursprung der meisten Muster von Nomadenteppichen in dem bis in die frühe vorchristliche Zeit zurückverfolgbaren Tierstil. Am Beispiel des Tierkopfmotivs, etwa der doppelköpfigen Tiere, vor allem aber des Tierkopffrieses, das sich – zuletzt degeneriert oder abstrahiert zum einfachen „Haken“ – in Nomaden- und Bauerenteppichen sämtlicher Regionen findet, wird diese These von Opie eingehend untersucht und belegt. Opie gelangt zu dem Schluß, daß die Quantität und Vielschichtigkeit miteinander verwandter Motivtraditionen im Iran, in Anatolien, im Kaukasus, in Afghanistan und in ganz Zentralasien auf eine lange, in früher vorchristlicher Zeit begründete Entwicklung dieser Volkskunst der Nomaden- und Bauernteppiche deutet. Der umfangreiche Teil 2 des Buches ist den verschiedenen Volksstämmen und ihren Geweben gewidmet. Obwohl sich hier der Bogen von Anatolien bis zu den Kirgisen spannt, liegt der Schwerpunkt eindeutig bei den Nomaden des Iran, den Luren, den Bachtiaren, den Afscharen und den in Konföderationen zusammengefaßten Qashqai und Khamseh. Zum Schluß sei angemerkt, daß Opie in einem separaten Kapitel den Stand der Forschung über Herkunft, Zweck und Bedeutung des Pazyryk Teppichs zusammenfaßt. Er ist für ihn ein nomadisch geprägtes Gewebe urbaner Herkunft aus einem persischen Zentrum Zentralasiens.

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