Afghanische Teppiche mit Kriegsmotiven

Autor/en: Walter Böhning
Verlag: Edition Saladin
Erschienen: Wiesloch 1993
Kommentar: Michael Buddeberg, April 1996

Besprechung:
Teppiche als Zeitzeugen? Eine Betrachtungsweise, die in der Teppichliteratur kaum eine Rolle spielt. Bei den in jüngster Zeit in Afghanistan, vorwiegend von Belutschen geknüpften Teppichen mit Kriegsmotiven ist dieser Aspekt offensichtlich. Feld- und Bordürenmuster dieser Teppiche werden beherrscht von mehr oder weniger stilisierten Kampfhubschraubern, Panzern, Kalaschnikows, Jagdbombern, Transportfahrzeugen und anderem schweren Gerät. Streumotive erweisen sich als Bomben, Handgranaten und anderes Kriegsmaterial. Scheußlich, eine Entartung der Teppichkunst, könnte man denken. Aber dennoch: Auch diese Knüpfarbeiten folgen der Tradition. Klassische Bordürengestaltungen mit der Belutsch-typischen Wellenranke, das Narzissenmotiv mit drei Blüten, reziproke Haken, „laufender Hund“, Vogelmotive, S-Symbole, Lebensbäume, Tiere, Sterne, Weinkannen wechseln sich ab mit martialischen Kriegsgerät und der Darstellung von Kampfhandlungen. Oft muß man schon zweimal oder besonders genau hinschauen um zu erkennen, ob die Knüpferin eine Handgranate oder ein Boteh darstellen wollte. Und, wüßte man es nicht besser, ließe sich das stilisierte Sturmgewehr durchaus auch als Drache erkennen oder der Hubschrauber als Phönix. Es mag also sein, daß sich diese modernen Teppichmotive aus der schweren Zeit dieses Landes im Laufe der Zeit durch weitere Abstraktion wieder zu klassischen Teppichmustern weiter- oder zurückentwickeln. Dann aber stellt sich die Frage: Haben die Knüpfer nicht weit mehr als man das annimmt ihre Motive, wenn auch verschlüsselt, aus dem aktuellen Zeitgeschehen entnommen? Enthalten nicht auch alte und antike Teppiche, so wie diese afghanischen Kriegsteppiche, Botschaften aus der Geschichte? Teppiche als Zeitzeugen – ein Thema, das seinen Bearbeiter sucht. Das in der Teppichliteratur wohl einmalige Buch erschien bereits vor drei Jahren und blieb weithin unbekannt. Dem Stadtmuseum Erlangen ist es zu danken, aus diesem Thema und der umfangreichen, knapp 60 Teppiche umfassenden Sammlung des Teppichhauses Saladin in Wiesloch eine Ausstellung gewidmet zu haben.

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