The Roots of Thai Art

Autor/en: Piriya Krairiksh
Verlag: River Books
Erschienen: Bangkok 2012
Seiten: 416
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 65,00
ISBN: 978-616-7339-11-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2012

Besprechung:
Nur selten in der Geschichte der Menschheit kann die Entstehung einer nationalen Identität an einem ganz bestimmten Datum festgemacht werden. Ein Beispiel hierfür ist Thailand. Im Jahre 1239 besiegten verbündete Einheiten siamesischer Fürsten die geschwächten Truppen der seit Jahrhunderten im Land regierenden Fremdherrscher, verjagten die Khmer und schufen die Grundlage für die Nation der Thai. Der Ort des Sieges namens Sukhothai, einst eine Khmer-Siedlung, wurde zur Hauptstadt ernannt, es gab mit Sri Indraditya einen ersten thailändischen König, und sein legendärer Nachfolger Ramkhamhaeng (reg. 1275-1298) arrondierte nicht nur das Staatsgebiet zur heutigen Gestalt und Größe, sondern es entwickelten sich Gesellschaft und Kultur rasch zu der nationalen Identität, die bis heute Thailand und das Volk der Thai prägt und bestimmt. Mit der Schule von Sukhothai entstand erstmals in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein völlig eigenständiger thailändischer Kunststil. Malerei, Skulptur und Architektur aus dieser bis ins 15. Jahrhundert andauernden Epoche gelten noch heute als die reinsten und ursprünglichsten Künste Thailands mit Vorbildcharakter für alle folgenden Epochen und bis heute. Doch was war vorher? Wie war die prä-thailändische Kunst? Piriya Krairiksh, der führende thailändische Kunsthistoriker, gibt mit seinem Buch über die Wurzeln der Thai Kunst auf über 400 Seiten mit weit mehr als 500 Illustrationen und Karten eine eindrucksvolle Antwort auf diese Frage. Seine Untersuchung, der ein ganzes Forscherleben zugrunde liegt, behandelt die Zeit vom 4. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, umspannt damit also ein ganzes Jahrtausend. Zwar reichen die frühen Kulturen Südostasiens und damit auch die Siedlungen im heutigen Staatsgebiet Thailands bis ins Neolithicum zurück, doch die Kunst Thailands ist eine durch und durch buddhistische Kunst, und so ist es nur konsequent, die Suche nach ihren Wurzeln mit der Ankunft des Buddhismus in Südostasien im 4. Jahrhundert beginnen zu lassen. Damals war das zentrale Thailand vom geheimnisvollen Volk der Alten Mon und der Süden von den so genannten südlichen Stämmen besiedelt. Geheimnisvoll blieb das Volk der Mon bis heute, weil sie nicht als Eroberer und Krieger in die Geschichte eingingen, sondern als Bauern und Händler friedlich und unauffällig blieben. Fast zeitgleich verbreitete sich nun ausgehend von Indien im 4. und 5. Jahrhundert buddhistisches und brahmanisches Gedankengut, das sichtbaren künstlerischen Ausdruck in Statuen und Stupas, in Felsreliefs und in Figuren aus Terrakotta fand. Buddhas und Bodhisattvas finden sich dort ebenso wie Darstellungen von Vishnu, Shiva, Krishna und anderen brahmanischen Gottheiten. Der Schwerpunkt von Krairikshs Untersuchung liegt bei diesen aus dauerhaften Materialien gefertigten Skulpturen, daneben finden aber auch Architektur, Keramik, Schmuck, Siegel, Rangabzeichen, Schwertgriffe und andere Gegenstände materieller Kultur gebührende Beachtung. Beeindruckend und ein Zeugnis für die Sorgfalt und Tiefe der Forschungsergebnisse des Autors ist seine ikonografisch belegte Feststellung, dass schon früh verschiedene, auf unterschiedlichen indischen Traditionen und Texten fußende Linien des Buddhismus ebenso wie die sechs Sekten des Brahmanismus in der prä-thailändischen Kunst vertreten sind. All diese sakrale aber auch die materielle Kunst gerät bei den Mon, und hier wird deren Eigenschaft als Händler und der große nördliche Nachbar spürbar, unter den Einfluss der chinesischen Kultur. Schon früh also beginnt sich abzuzeichnen, dass sich in dieser geographischen Region aus indischen und chinesischen Beiträgen etwas Neues und Anderes formt. Zunächst aber wandeln sich im Osten Indiens, in Bihar, Bengalen und in Orissa mit der Übernahme esoterischer Systeme und tantrischer Praktiken Buddhismus und Brahmanismus und dringen rasch nach Osten, vor allem aber nach Norden, über den Himalaya und bis nach Ostasien vor. Gleichzeitig breitet sich das machtvolle Reich der Khmer nach Süden aus und übernimmt auch in Thailand die Vorherrschaft. Etwa seit dem 10. Jahrhundert wird so die stark von tantrischen Einflüssen geprägte Khmer-Kunst, auch hier wieder in erster Linie vertreten durch Skulpturen aus Bronze und Stein, Vorbild für brahmanische und buddhistische Bildwerke. Wieder wird hier vom Autor die erstaunliche Vielfalt der in ihren Kunstwerken zum Ausdruck kommenden, parallel und geographisch nebeneinander bestehenden Glaubenssysteme hervorgehoben und detailliert beschrieben. Und in all diesen Jahrhunderten waren irgendwann die Thai auf den Plan getreten – woher sie kamen ist nach wie vor eines der großen, nicht gelösten Rätsel Südostasiens -, hatten Macht gewonnen, Fürstentümer gebildet, aufgerüstet, im Jahre 1239 schließlich die Khmer aus dem Lande geworfen und damit nicht nur eine bis heute bestehende Nation, sondern auch deren ästhetisch vollkommen eigenständige, dem in Thailand vorherrschenden Theravada-Buddhismus entsprechende Kunsttradition geschaffen. Piriya Krairiksh zeigt mit hunderten sorgfältig beschriebener und datierter Objekte aus dem National Museum von Bangkok, aus zahlreichen weiteren lokalen Museen Thailands und aus privaten Sammlungen die Wurzeln der Kunst der Thai. Man kann nach dieser außergewöhnlich umfassenden und tief gehenden Untersuchung auf die bereits angekündigte Fortsetzung mit dem Titel „Replicas of the Buddha – Characteristics of Thai Art from the 13th to the 20th Century“ gespannt sein. Erst dann nämlich, wenn wir zu den Wurzeln den ganzen Baum mit seinen Ästen und Blättern sehen, wird sich die Darstellung thailändischer Kunst von ihren Anfängen bis heute zu einem vollständigen Bild fügen.

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