Drei Bücher über Filz

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Kommentar: Michael Buddeberg, November 2010

Besprechung:

Willow G. Mullins, Felt, Berg Publishers, Oxford New York 2009, 182 Seiten, broschiert, 24.99 engl. Pfund, ISBN 978-1-84520-439-6 (auch gebundene Ausgabe)

Dr. Razi Hejazian, Urzeichen – Filzteppiche der Turkmenen – Ihre kultisch-magische Bedeutung, Verlag Hans Schiler, Berlin 2009, 156 Seiten, Hardback, 59.– €, ISBN 978-3-89930-254-7

Stephanie Bunn, Nomadic Felts, The British Museum Press, London 2010, 160 Seiten, broschiert, 25.– engl. Pfund, ISBN 978-0-7141-2557-2

1979 kuratierte Mary Burkett in der Abbott Hall Art Gallery in Kendal im Norden Englands eine Ausstellung – die erste ihrer Art – über die Kunst des Filzens. Der Katalog „The Art of the Feltmaker“ ist heute so gut wie unauffindbar. Ein Jahr später erschien das Buch „Filzteppiche, ihre Geschichte und Eigenart“ von Hans und Irmgard Bidder. Der 1964 verstorbene Hans Bidder hatte als deutscher Diplomat in China nicht nur die Teppiche Ostturkestans lieben gelernt und erforscht, sondern sich auch eingehend mit der Filzkunst Zentralasiens befasst. Aus den Aufzeichnungen ihres Mannes und reichem aktuellen Bildmaterial stellte Irmgard Bidder das Buch zusammen, das fast 30 Jahre lang zu diesem Thema das Maß aller Dinge bleiben sollte. Auch wenn dieser Klassiker der Textilliteratur aus den Antiquariaten nie ganz verschwunden ist, so war das Fehlen aktueller Literatur doch ein Umstand, der die Kenntnis von der Bedeutung des Filzes in nomadischen Kulturen und von der Schönheit und Eigenart dieser Erzeugnisse auf wenige Sammler und Museen beschränkte. Gleich drei innerhalb kurzer Zeit erschienene Bücher über Filz helfen nun diesem Umstand ab und sie tun es auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Das Buch der Amerikanerin Willow G. Mullins ist, wie der Titel „Filz“ schon vermuten läßt, eine thematisch sehr breit angelegte Arbeit, die mit der Entdeckung des Filzens vor vermutlich 8.500 Jahren beginnt und erst mit der Verwendung von Filz in Technik und Technologie und in der modernen Kunst unserer Zeit endet. Das Buch ist von wissenschaftlicher Tiefe, glänzend geschrieben und flüssig zu lesen doch leider und ganz gegen den Trend der Zeit nur aüßerst sparsam mit Illustrationen versehen. Damit ist das vom British Museum publizierte Buch der Britin Stephanie Bunn über nomadische Filze mit seinen weit über 200 Bildern eine ideale und notwendige Ergänzung. Zehnjährige Feldarbeit in Zentralasien, vor allem in Kirgistan und Kasachstan, und vielfältiges Bildmaterial aus Dutzenden von Quellen, darunter aus zahlreichen Museen in Europa, USA und Asien – man sollte kaum glauben, wie viele Filzarbeiten tatsächlich ihren Weg in die Museen der Welt gefunden haben – geben einen Einblick in den Reichtum und die Schönheit nomadischer Filze. Das Buch macht bewusst, dass dieses durch die textile Literatur bisher so vernachlässigte Material eine der wichtigsten Grundlagen der nomadischen Lebensweise ist. Doch ähnlich wie bei Willow Mullins gestattet auch Stephanie Bunn der breite Rahmen, der Filzarbeiten aus dem Himalaya und Japan oder auch aus Südosteuropa und Skandinavien mit einbezieht, nur einen, wenn auch in den Kerngebieten Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan und Mongolei vertieften Überblick. So ist verständlich, dass Bunn einem bisher so gut wie gar nicht behandelten Thema, den Filzarbeiten der Turkmenen, nur wenige Seiten widmen kann. Hier nun kommt das dritte der Filzbücher zum Tragen, das dem Leser zeigt, welches Entdeckungspotential in jedem noch so kleinen Ausschnitt ethnischer Vielfalt stecken kann. Der in Berlin lebende iranische Teppich- und Textilgalerist Razi Hejazian hat in mehrjähriger Feldarbeit in den von den Turkmenenstämmen der Goklan, Yomut und Tekke bewohnten Regionen im Nordosten des Iran eine erstaunliche Anzahl von Filzteppichen gefunden und dokumentiert, die in ihrer archaischen Ursprünglichkeit Welten von den geknüpften und gewebten Erzeugnissen dieser Nomaden entfernt scheinen. Ihre Muster, einfache Linien und Punkte, die sich zu Rauten, geometrischen Bildern oder Tierfellen formen, und immer wieder Spiralen oder abstrahierte Widderhörner, die in vielfältiger Kombination zu flächenfüllenden Ornamenten zusammenwachsen, vermitteln nach Hejazian einen zeitversetzten Einblick in eine vorislamische, ja prähistorische Zeit. Es sind Urzeichen, Relikte aus naturreligiösen Kulten, eine Raum Zeit und Kulturen übergreifende Formensprache weniger und einfacher Symbole, die den Menschen Schutz vor dem Bösen, Unheimlichen und Unbekannten gewähren soll. Mit dieser Arbeit und den 33 abgebildeten turkmenischen Filzteppichen, deren jüngste vor mehr als einem halben Jahrhundert entstanden, hat Hejazian eine archaische Textilkunst, die heute bereits untergegangen ist, vor dem Vergessen bewahrt. Im Vergleich mit den Mustern der heute noch filzenden Nomaden in der Mongolei, in Kirgistan und Kasachstan ist es spannend zu entdecken, dass auch deren in vielfältigen Dekortechniken in ihre Filzarbeiten eingebrachten Muster, immer wieder auf diese Urformen zurückgeführt werden können. Dies gilt sowohl für die in Quilttechnik gearbeiteten Dekore mongolischer Filze wie auch für die kirgisischen shyrdaks, bei denen durch Intarsien von zwei verschiedenfarbigen Filzen dekorative, reziproke Muster entstehen. Während Hejazian einführend die historischen und wirtschaftlichen Grundlagen der von ihm besuchten Turkmenenstämme beschreibt, finden sich in den Filzbüchern der beiden Autorinnen grundlegende Informationen über das Material Filz, das nur aus Wolle ohne jedes Hilfs- oder Bindemittel, allein durch Wärme, Feuchtigkeit, Druck und Bewegung entsteht. Im Filz eine der ältesten textilen Techniken der Menschheit zu vermuten, ist daher nahe liegend und übereinstimmend in allen drei Büchern nachzulesen. Doch einen frühen archäologischen Beleg dafür, wie etwa die Nähnadel aus Knochen für den frühen Umgang mit Nadel und Faden, wird es wegen der Vergänglichkeit des organischen Wollmaterials vermutlich nie geben. Den frühesten Nachweis von Filz glaubt man daher in den in Catal Hüyük erhaltenen Mustern zu sehen, die sich in der Tat ganz ähnlich in den turkmenischen Filzteppichen von Hejazian wiederfinden. Bunn und vor allem Mullins beschreiben dann eingehend die archäologischen Filzfunde von Pazyryk und Noin Ula, die in Filz gekleideten Männer auf den von LeCoq nach Berlin gebrachten Wandmalereien von Bezeklik und weisen die Erwähnung von Filz in historischen Quellen von Homer über den chinesischen Reisenden Fa Hien bis zu Marco Polo und Carpini nach. Bei Mullins finden sich dann auch interessante Fakten über Filz in Europa, angefangen von den Wikingern über die handwerkliche Organisation der Filz- und Hutmacher in den europäischen Metropolen Paris und London in der frühen Neuzeit bis zur Verwendung von Filz als wasserdichtes Material beim Bau der New Yorker U-Bahn. Filzkünstler wie Joseph Beuys und Robert Morris und mehr dem modischen Bereich zuzuordnende Filzer wie Katarina Thomas aus Icking und Mehmet Girgic aus Konya und viele andere mehr künden von der Wiederentdeckung eines Materials in unserer Zeit und Kultur. Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass Filz seine größte Bedeutung in den nomadischen Kulturen hatte und heute noch hat. Mehr als alle anderen Textilien ist Filz eine wesentliche Grundlage dieserKulturen in Zentralasien und im mittleren Osten. Und so beziehen sich die von Generation zu Generation weitergegebenen Muster der Filzarbeiten, wie Stephanie Bunn in vielen Gesprächen mit Frauen ermitteln konnte, stets auf die umgebende Natur und auf den Schutz von Zelt, Haus, Familie und Leben, womit sie ganz auf einer Linie mit Razi Hejazian liegt. Drei Bücher, die sich wunderbar ergänzen.

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