Autor/en: Jaroslav Poncar, Wibke Lobo, Thomas S. Maxwell
Verlag: Edition Panorama
Erschienen: Mannheim 2013
Seiten: 320
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 49,80
ISBN: 978-3-89823-459-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2014
Besprechung:
Ein Regisseur des Phantastischen hätte es nicht besser inszenieren können: Von Baumriesen durchwachsene Tempelruinen, Wurzeln wie lebendige Tentakeln, die tonnenschwere Steinquader verschieben, auseinandersprengen und vor Jahrhunderten verlassene Gebäude zum Einsturz bringen, Reliefs mit rätselhaften Figuren und geheimnisvollen Ornamenten einer untergegangenen Kultur im Wettstreit mit der Kraft und Gewalt eines lebendigen Dschungels. Das ist Ta Prohm, eines der Sakralgebäude von Angkor, berühmt für das Zusammenspiel von verfallenen Tempelbauten und tropischer Vegetation. Die Wurzeln riesiger Tetrameles-Bäume schlängeln sich zwischen den ornamentierten Steinblöcken hindurch, umklammern die aus dem Lot geratenen Reste von Tempeln und bilden bizarre Strukturen. Für viele Besucher von Angkor ist der Sieg der Natur über Menschenwerk der stärkste Eindruck, den sie mit nach Hause nehmen. Für andere sind es die graziösen Devatas oder Apsaras, die den Besuch von Angkor zum unvergesslichen Erlebnis machen. Fast 2000 dieser, als plastische Reliefs in Sandstein portraitierten jugendlichen Schönheiten beleben allein die Wände der Galerien und Bauten von Angkor Vat, der großartigsten Schöpfung der Khmer-Architektur. Keines der Palastmädchen ähnelt dem anderen, offenbar haben die Bildhauer des 12. Jahrhunderts nach realen Modellen gearbeitet. Ihre Schönheit wird durch den reichhaltigen Schmuck noch unterstrichen, manche tragen hohe Diademe, andere haben ihre Haare zu phantasievollen Frisuren aufgesteckt und mit Blütenrispen geschmückt und in den Händen halten sie blühende Zweige und Knospen. Selten wurde weibliche Schönheit und Erotik so perfekt und so ästhetisch dargestellt. Und noch nie wurde das Welterbe von Angkor, diese grandiosen Relikte einer vom 9. bis zum 15. Jahrhundert blühenden Metropole in Kambodscha, die aufgegeben, für hunderte von Jahren vergessen und erst im 19. Jahrhundert wieder entdeckt wurde, so perfekt präsentiert, wie hier in dem Buch des Fotografen Jaroslav Poncar. Schon bei seinem ersten Besuch vor mehr als zwanzig Jahren traf Poncar die Grundsatzentscheidung, Angkor in Schwarzweiß zu fotografieren. Die Plastizität des grauen Sandsteins, belebt allein von Flechten, Moosen und der Modellierkunst der anonymen Bildhauer, harmoniert mit den vielfach abgestuften Grautönen des grün-in-grün alles umgebenden Urwaldes. Vor allem aber konnte Poncar, der seine Fotos im Rahmen des UNESCO-Weltkulturerbeprogramms zur Erhaltung von Angkor sowie als Kodirektor des German Apsara Conservation Project der Fachhochschule Köln machen konnte und seit 1993 Jahr für Jahr Angkor, oft für viele Monate besuchte, für alle Objekte die beste Aufnahmesituation und natürlich das beste Licht wählen, und so wurde jede einzelne der insgesamt ca. 260 Fotografien zu einem Meisterwerk. Doch über all der Begeisterung für dieses Bildwerk darf nicht vergessen werden, dass jedem der etwa ein Dutzend behandelter Tempelobjekte ein einführender und glänzend geschriebener Text von Wibke Lobo vorangestellt ist, einer Autorin, die durch ihren Forschungsschwerpunkt Kunst und Architektur von Angkor und durch die Kuratierung der großen Ausstellung von Khmer-Kunst in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn im Jahre 2006 für diese Arbeit bestens ausgewiesen ist. So ist das Buch auch ein Gang durch die Geschichte des Reiches der Khmer von der Errichtung des ersten Tempels Preah Ko etwa Ende des 9. Jahrhundert, über die Blütezeit unter König Suryavarman II, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Angkor Vat die großartigste Schöpfung der Khmer-Architektur errichtete und unter König Jayavarman VII (1181-1220), dem die meisten Tempel- und Palastbauten zu danken sind, unter anderem der berühmte Bayon mit den bis heute rätselhaften Gesichtertürmen bis schließlich zum Niedergang des Khmer-Reiches und der Aufgabe der Stadt. Unentbehrlich für das Verständnis der Reliefs, der Figuren und Ornamente, die fast alle Flächen der Bauten bedecken, sind natürlich auch die Hinweise auf den religiösen Hintergrund. Ausgangspunkt ist hier der Einfluss der hinduistischen Tradition Indiens und der großen indischen Epen Ramayana und Mahabharata, deren narrativer Reichtum sich in den Bauten Angkors spiegelt. Erst später, unter Jayavarman VII, wurde der Mahayana-Buddhismus zur Staatsreligion erhoben, wobei allerdings die hinduistischen Gottheiten nicht vergessen oder gar bekämpft, sondern in das religiöse System einbezogen wurden. In der Idee, die der Anlage der Stadt Angkor aber auch fast jedem der Tempel zugrunde liegt, die Struktur des Makrokosmos, die kosmische Ordnung in den Grundrissen zu wiederholen und damit die Verbindung zwischen Mensch und Kosmos zu bekräftigen und dem Reich, der Stadt und seinen Bewohnern Stabilität und Wohlergehen zu gewährleisten, verbinden sich Hinduismus und Buddhismus.
Ein Buch im Buch ist den kolossalen Reliefs von Angkor Vat gewidmet. Sie bedecken nahezu vollflächig die Umfassungsmauer des Haupttempels, sind also für die rituelle Umschreitung angelegt und führen den Pilger vom Beginn der Schöpfung bis zum Leben nach dem Tode. Die einzelnen Szenen sind bis zu 100 Meter lang und 2 Meter hoch und eine fotografische Herausforderung sondergleichen. Poncar beschreibt Aufwand und Schwierigkeiten und deren Lösung durch eine eigens entwickelte Kamera und Aufnahmetechnik. Die nie zuvor in dieser fotografischen Darstellung erlebbare Parikrama wird textlich begleitet von Thomas Maxwell, dem langjährigen Professor für asiatische Kunstgeschichte an der Universität Bonn, der in Kambodscha lebt und wie kein zweiter die in den Reliefs dargestellten Mythen der hinduistischen Schöpfungsgeschichte zu erzählen weiß. Ihre Ablichtung erfolgte in Farbe – in „Duoton“, wie der Verlag schreibt – und dieser Unterschied macht deutlich, wie richtig Poncars Entscheidung für Schwarzweiß gewesen ist.
Angkor mit seinen Wasserflächen, Kanälen, Palast- und Tempelkomplexen war unter Jayavarman wahrscheinlich eine Millionenstadt und hatte einst eine Ausdehung von weit mehr als 100 Quadratkilometern. Kein Wunder also, dass seit der Entdeckung durch den Franzosen Henri Mouhot im Jahre 1863 bis heute immer wieder weitere Tempel und Heiligtümer entdeckt werden. Eine der reizvollsten Entdeckungen aus dem Jahre 1969 und wegen der dort platzierten Minen erst seit kurzem zugänglich und von Jaroslav Poncar wundervoll fotografiert ist das Heiligtum Kbal Spean. Ein munterer kleiner Flußlauf umspielt große und kleinere Felsen und Felsflächen neben und im Flußbett, auf welchen Bildhauer Szenen und Erscheinungsformen von Shiva und Vishnu dargestellt haben, eine Kunstlandschaft aus dem 11. Jahrhundert, die in ihrer Intimität und Schönheit einzigartig ist. Wäre nicht alles andere schon großartig genug – Kbal Spean gibt den letzten Kick, Angkor zu besuchen.