Mittelasien – Tor zwischen zwei Welten

Autor/en: Franz Binder
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2004
Seiten: 208
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: EUR 52.–
ISBN: 3-7774-9860-2
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2004

Besprechung:
Im Klappentext wird der Tafelteil, werden die Farbaufnahmen von Landschaften, Menschen, Basaren, Kunstwerken und natürlich Baudenkmälern als der Kern des Bandes bezeichnet. Gewiß, es ist faszinierend, die jahrhundertealten Zeugnisse islamischer Baukunst zu sehen, etwa den frühen Lehmziegeldekor des Mausoleums der Samaniden in Buchara aus dem 10. Jahrhundert, die eleganten Medresen und die goldgeschmückte Moschee am berühmten Registanplatz in Samarkand oder den schier unerschöpflichen Reichtum von Ornamentmustern auf Fayencekacheln in Khiwa. Der Wechsel zwischen Gesamtansichten und anschaulichen Detaildarstellungen, immer wieder unterbrochen von eindrucksvollen Portraits, von Marktbildern oder von Handwerkern bei der Arbeit gibt ein lebendiges Abbild von dem, was den Reisenden heute in Mittelasien erwartet. Das ist es aber nicht, was dieses Buch so empfehlenswert und vor allem lesenswert macht. Es ist der einführende Text, der kenntnisreich, konzentriert und spannend die komplexe Geschichte Mittelasiens vom Paläolithikum bis heute erzählt. Wieder einmal ist Franz Binder, nach seinen Büchern über Tibet und Bhutan und nach seinem einfühlsamen Bericht über die Khora, den Pilgerweg um den Heiligen Berg Kailash, ein großer Wurf gelungen. Und das bei einem wahrlich schwierigen Thema. Mittelasien, das ist der relativ kleine Kern des großen Zentralasien, der Kern, der heute durch die fünf aus der ehemaligen Sowjetunion herausgelösten souveränen Staaten Turkmenistan, Usbekisten, Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan gebildet wird. Dieses Mittelasien ist eine der geschichtsträchtigsten Weltgegenden. Kaum eine Region der Welt stand so oft und so dauerhaft im Brennpunkt der Weltgeschichte, war so oft wechselnden und fremden Machtansprüchen ausgesetzt und hat so viele und gänzlich unterschiedliche Besatzer und Machthaber ertragen müssen. Mittelasien ist ein Land, zerissen von Kriegen, überannt von den Steppenvölkern Asiens, von Turkstämmen, Hunnen und Mongolen, erobert von Griechen, Persern, Arabern und Chinesen, aufblühend in kurzen goldenen Epochen und immer wieder grausam zerstört, ein Land aus Wüsten, Steppen, Gebirgen und Oasen, eine Wiege vieler Völker, ein Schmelztiegel von Ethnien, Sprachen, Religionen, Kulturen und Künsten. Auf dieser Bühne entstanden Weltreiche und wurden wieder ausgelöscht, wurden prachtvolle Städte errichtet und bis auf die Grundmauern geschleift, Tempel gebaut und Götter verehrt, die wieder im Sand der Wüste versanken. Und trotz oder gerade wegen dieser wechselvollen Geschichte war Mittelasien immer ein Tor zwischen zwei Welten, ein Bindeglied zwischen Ost und West, ein Land, in dem Pilger, Künstler, Gesandte, Diplomaten und Händler den Austausch von Waren und Luxusgütern aber auch von religiösen und philosophischen Ideen, von Technologien und von Kunststilen besorgten. In vorgeschichtlicher Zeit vollzog sich in den trockenen aber von den großen Strömen Oxus und Jaxartes – heute Amu Darja und Syr Darja – durchzogenen Regionen Mittelasiens die Trennung zwischen Ackerbauern und Viehhirten, zwischen Seßhaften und Nomaden. Damit war eine Dualität, ein Urkonflikt begründet, der den Lauf der Geschichte Mittelasiens prägen sollte. Alle Eroberer Mittelasiens, die persischen Könige Kyros und Dareios, Alexander der Große, die machtvollen Könige der tibetischen Yarlung-Dynastie oder chinesische Kaiser scheiterten immer wieder an der militärischen Überlegenheit der Steppenvölker, an Türken oder Mongolen, die ihrerseits aber nicht die organisatorische Kraft hatten, dauerhafte Reiche zu errichten. Religiöse Einflüsse, der Glaube Zoroasters, der Buddhismus, die spätantiken Manichäer, nestorianische Christen und, seit dem 8. Jahrhundert, der sich ausbreitende Islam, taten ein Übriges, den Lauf der Geschichte Mittelasiens wechselhaft und verwirrend zu gestalten. Der Autor versteht es souverän, einen roten Faden durch dieses geschichliche Labyrinth zu legen und sachliche Information durch anschauliche Darstellung und manche Anekdote lebendig zu machen. Auch wenn der Textteil nur ein Drittel vom Umfang dieses Buches ausmacht, liegt hier zweifellos der eigentliche Kern und die Bedeutung des Bandes. Dazu gehören auch die kritischen Überlegungen zur Zukunft Mittelasiens. Die heutige Staatengliederung ist ein von Stalin 1936 geschaffenes künstliches Konstrukt. Die Staatsgrenzen von Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan scheinen willkürlich und haben nur wenig mit den ethnischen Gegebenheiten zu tun. Alte politische, ethnische und kulturelle Einheiten, wie Baktrien, Sogdien oder Choresmien oder die spätere Einteilung in Khanate blieben unberücksichtigt. So wird Mittelasien – das wird man ohne großes Risiko schon jetzt vorhersagen können – wie schon in den vergangenen Jahrtausenden ein Brennpunkt der Weltgeschichte bleiben. Die Rolle dieser Region im Kampf gegen den Terror und die Entwicklung des islamischen Fundamentalismus in den Staaten Mittelasiens sind hierfür aktuelle Beispiele.

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