Myanmar – von Pagoden, Longyis und Nat-Geistern

Autor/en: Dorothee Schäfer, Wolfgang Stein, Uta Weigelt (Hrsg)
Verlag: Deutscher Kunstverlag und Museum Fünf Kontinente
Erschienen: Berlin und München 2014
Seiten: 296
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 29,80
ISBN: 978-3-422-07267-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2014

Besprechung:
Museum Fünf Kontinente – mit diesem neuen Namen hat sich das Münchner Haus von dem etwas angestaubten und mit einem aktuellen Museumsauftrag nicht mehr ohne weiteres zu vereinbarenden Image einer Sammlung ethnologischer Artefakte verabschiedet. Die zeitgleich mit dem Namenswechsel eröffnete große Myanmar-Ausstellung macht die neue Ausrichtung deutlich. Es ist nicht die von dem damaligen Direktor des Museums Lucian Scherman und seiner Frau Christine in den Jahren 1911 und 1912 in acht Monaten an Ort und Stelle, also im damaligen Birma oder Burma, zusammengetragene Sammlung von nicht weniger als 2.300 Ethnographica, vom winzigen Ohrpflock bis zur 3 1/2 Meter hohen, königlichen Prunksänfte – weltweit allerdings eine der umfangreichsten und besten Sammlungen ihrer Art -, die hier im Vordergrund steht, sondern das Myanmar von heute, seine politischen, religiösen, ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Probleme und Gegebenheiten sowie Chancen und Risiken der Entwicklung des von langjähriger Militärdiktatur leidgeprüften Landes in eine bessere Zukunft. Mehr noch gilt diese Aussage für den Katalog, der, ohne den gewohnten Katalogteil, in mehr als zwei Dutzend Beiträgen von erfahrenen Autoren kaum ein Thema aus wichtigen Lebensbereichen unbehandelt lässt. „Myanmar – von Pagoden, Longyis und Nat-Geistern“ ist, um es ganz kurz zu sagen, ein Buch das auf dieses Land neugierig macht, den Wunsch weckt, es alsbald zu besuchen und dabei hilft, eine solche Reise besser und intensiver vorzubereiten als es jeder handelsübliche Reiseführer zu leisten vermag. Dem steht keineswegs entgegen, dass die nun mehr als ein Jahrhundert zurückliegende Reise von Lucian und Christine Scherman und die damals aufgebaute Sammlung von Objekten, Fotografien und Dokumenten Ausstellung und Buch wesentlich prägen. Neben dem ausführlichen Bericht über ihre vom Deutschen Kaiser und dem Bayerischen Königshaus protegierte Forschungsreise mit vielen interessanten und auch anekdotischen Details aus den sorgfältig geführten Tagebüchern des Ehepaars, finden wir, über das Buch verstreut, die qualitätvollen Silber- und Lackobjekte, Textilien und Kleidungsstücke, Malereien und Skulpturen, Musikinstrumente, Marionettenfiguren und allerlei weiteres Gerät aus der Scherman-Sammlung. So illustrieren kostbare höfische ebenso wie haushaltsübliche Lackarbeiten neben Fotografien von praktizierenden Lackkünstlern und ihren Arbeiten den Beitrag über die bis heute auf hohem Niveau gepflegte Lackkunst. Gleiches gilt für Arbeiten aus Silber, für die die Handwerker aus dem alten Birma ebenso bekannt waren wie es heute ihre Kollegen aus Myanmar sind, und der Leser und Kunstkenner erfährt so nebenbei, wo diese Silberschmiede heute arbeiten und zu finden sind. Textilien und Schmuck sind ein weiteres, damals wie heute aktuelles Thema, bei dem die Objekte der Sammlung durch die technisch hervorragenden Schwarz-weiß-Fotos von Christine Scherman vom Weben, von Webstühlen und von traditionellen einheimischen Trachten ganz besonders bereichert werden. Marionetten, illustrierte Bücher, exotische Musikinstrumente belegen ein reiches Kulturleben, das schließlich mit aktuellen Kunstwerken einer lebendigen, modernen Kunstszene durchaus überraschend ergänzt wird. Ihre Stile und Sujets sind sowohl vom globalen Kunstmarkt des 21. Jahrhunderts wie auch von den Landschaften, Menschen und religiösen Symbolen Myanmars inspiriert. Neben den geo- und demographischen Fakten, das Land ist etwa doppelt so groß wie Deutschland und ist mit 54 Millionen Einwohnern, die 135 ethnischen und linguistischen Gruppen angehören, ein echter Vielvölkerstaat, stehen der politische und gesellschaftliche Wandel von einer brutalen, hierarchischen und machtorientierten Militärdiktatur zu den vorsichtigen Anfängen einer Demokratie und die geostrategische Lage des rohstoffreichen Landes zwischen seinen übermächtigen Nachbarn Indien und China im Vordergrund der meisten Essays. Nach Jahrzehnten der Isolation und einem Verharren in teils mittelalterlichen, teil postkolonialen, britisch geprägten Strukturen – Myanmar war, von Nordkorea abgesehen, das letzte Land, in dem es keinen Mobilfunk gab, kein Coca-Cola und keine Kreditkarten – herrscht nun eine Aufbruchsstimmung, doch bleibt die Zukunft ungewiss. Mit Ressourcen und Rohstoffen, mit dem Potential eines boomenden Tourismus mit tropischen Stränden, mit der weltweit einzigartigen Kloster- und Tempelregion Pagan aus dem 12. und 13. Jahrhundert oder dem großen Inle-Binnensee mit Pfahlbauten und schwimmenden Gärten, aber auch mit bedeutenden Vorkommen von Öl und Gas, Jade, Gold und Bernstein, Teakholz und erlesenen Edelsteinen, lockt das Land Investoren aus der ganzen Welt. Doch eine Diktatur kann nicht über Nacht in eine demokratische Gesellschaft verwandelt werden und so sind fehlende Gesetze, eine undurchsichtige Justiz, Korruption, Nepotismus und die antidemokratischen Seilschaften der ehemaligen Militärs ein Hemmschuh, dessen Wirksamkeit und Reichweite schwer einzuschätzen sind. Die ganz am Anfang des Buches gestellte Frage, ob Myanmar, das schon zu Zeiten des legendären indischen Königs Ashoka wegen seiner glänzenden Pagoden das „goldene Land“ genannt wurde, der neue Tigerstaat am Irrawady werden wird, bleibt daher offen. Die über alle dunklen Zeiten bis heute unverändert starke Präsenz des Theraveda-Buddhismus, des ältesten heute noch existierenden Zweiges dieser toleranten Glaubensphilosophie und sein ausgleichender Einfluss, lassen eine Entwicklung zu Demokratie und wirtschaftlicher Prosperität unter Bewahrung des kulturellen Reichtums dieses Landes immerhin erhoffen.

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