IPEK – The Crescent and the Rose – Imperial Ottoman Silks and Velvets

Autor/en: Nurhan Atasoy, Walter B. Denny, Louise W. Mackie, Hülya Tezcan
Verlag: Azimuth Editions Ltd
Erschienen: Acton/USA und London 2001
Seiten: 360
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 95.– engl.Pfund
ISBN: 1-898592-19-5
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Mit „Reflections for Paradise“ (1995) und „Silks for the Sultans“ (1996), den beiden von Ahmet Ertug fotografierten und herausgegebenen Prachtpublikationen über osmanische Seidenstoffe aus Bursa und aus dem Topkapi Palast Museum schien ein Höhepunkt der Wiedergabe von Textilien in Büchern erreicht – zu übertreffen allein durch die Originale. Der nun vorliegende Band über Samt und Seide aus dem Kaiserrreich der Osmanen beweist indessen, daß eine Steigerung noch möglich war. Auf 107 großen Tafeln entfaltet sich ein Kaleidoskop von Formen und Farben, ein Kompendium von Pracht und Reichtum, ein Füllhorn von Mustern und Dekoren, ein Überblick über eine textile Tradition, die kaum ihresgleichen hat. Dabei wechselt die Darstellung zwischen der Wiedergabe vollständiger Textilien oder Kleidungsstücke, die das Design und den oft großflächigen Rapport zeigen, und stark vergrößerten Detailaufnahmen, die Charakter und Webart der textilen Kunstwerke minutiös offenbaren. Das Buch ist das Ergebnis eines zehnjährigen Forschungsprojekts, initiiert und gesponsort von der türkischen Wirtschaftsbank (Türk Ekonomi Bankasi), und es ist die erste umfassende, wissenschaftliche Studie über osmanische Samt- und Seidenstoffe des 16. und 17. Jahrhunderts. Die überwältigenden Farbtafeln aber sind, gemessen an Umfang und Bedeutung dieses Buches, nur ein Teil des Ganzen. Ihre herausragende Qualität aber steht für die Sorgfalt und für die Fülle an Information, für Erkenntnis und Wissen, die wir hier vor uns ausgebreitet finden, und die mit diesen wenigen Zeilen nur unvollkommen gewürdigt werden können. Beeindruckend, wichtig und zugleich eine spannende Lektüre ist etwa der Katalog der knapp 80 osmanischen Seidenstoffe, die aufgrund entdeckter Dokumente nach dem Prinzip „terminus ante quem“ datiert werden können. Es sind Entdeckungen in Kirchen- und Klosterschätzen des Balkan, in russischen Archiven, im Armeemuseum des Kreml, Entdeckungen etwa aus Krakau, Uppsala und vom Berg Athos. Der mit einem großblumigen Seidensamt aus Bursa bezogene Sattel, nach den Aufzeichnungen des Kreml ein Geschenk des persischen Schah Safi an den russischen Zaren Michael Romanov aus dem Jahre 1635 mag hier als Beispiel für viele der interessanten Dokumente stehen. Dies Beispiel zeigt aber auch, daß sich die Untersuchung nicht auf die reichen Bestände des Topkapi Palast Museums beschränkt, sondern weltweit alle bekannt gewordenen Stoffe einbezieht. Wir sehen Kostbarkeiten aus dem Bargello in Florenz ebenso wie aus dem Pariser Louvre, aus dem Victoria & Albert oder dem Metropolitan Museum, um nur einige zu nennen. Die Herstellung von Rohseide, eine Untersuchung von Färbedrogen und Färbemethoden (aus der Feder von Harald Böhmer), Makrodarstellungen der unterschiedlichen Gewebestrukturen, die Komplexität der Webstühle, Schnittmuster von Sultansroben, Strukturunterschiede früher italienischer und osmanischer Seidenstoffe oder die Vorstellung der Wettbewerbsprodukte aus dem mamlukischen Kairo und dem safawidischen Persien sind nur einige der zahlreichen behandelten Themen. Mögen die vorgenannten Sujets vor allem den Textilwissenschaftler und Sammler ansprechen, so sind die Kapitel über die Bedeutung von Samt und Seide im osmanischen Reich und am osmanischen Hof von allgemeinem Interesse und eine ausgesprochen lesenswerte und fesselnde Lektüre. Nirgendwo sonst, außer vielleicht in bestimmten Abschnitten in der Geschichte Chinas, haben Textilien, gewebte Seidenstoffe und vor allem die daraus hergestellten Prunkroben, eine so dominierende Rolle gespielt wie im osmanischen Reich. Immer schon Ausdruck von Luxus und Reichtum wurden die prächtigen Seidengewebe zur Zeit der größten Machtfülle der Sultane gleichsam zu einem Symbol des osmanischen Reiches, zum zentralen Mittel bei der Präsentation von kaiserlicher Pracht, zum Sinnbild für eine Ideologie der Macht. Seide war nicht nur das bevorzugte Material für die kaiserliche Kleidung, sondern Grundlage des gesamten osmanischen Hofrituals, Bestandteil der Entlohnung von Hofstaat und Beamten, Ausdruck kaiserlicher Gunst und bevorzugter Gegenstand diplomatischer Geschenke. Das osmanische Staatswesen jener Zeit war wesentlich gebaut auf die Symbolkraft, die Kostbarkeit, den Wert und die beinahe religiöse Mystik von Seide. Sie war Grundlage der Wirtschaftskraft des osmanischen Staates. Die Besteuerung von Herstellung und Handel mit Textilien war, mit großem Abstand vor der Keramikindustrie und der Teppichherstellung, die Haupteinnahmequelle für den osmanischen Staat. Dieser faszinierenden Darstellung der historischen und kulturellen Grundlagen dieser Seidenkultur, der Bedeutung von Industrie und Handel, vorwiegend mit dem Balkan, mit Polen und Russland, materialreich recherchiert anhand bisher noch niemals ausgewerteter Archivalien, folgen Kapitel über die Datierung, die Typologie der Muster, technische Analysen und ein Anhang mit Glossar und Bibliographie. The Crescent & the Rose – Halbmond und Rose, ein Buch von der Symbiose staatlicher Macht und materieller Kultur, von Politik und Luxus, von Kalkül und Sinnlichkeit. Ein wissenschaftliches Standardwerk und eine bibliophile Meisterleistung. (- mb -)

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