Dunhuang – Buddhistische Kunst an der Seidenstrasse – Die Höhlen der klingenden Sande

Autor/en: Whitfield, Otsuka
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 1995
Seiten: 2 Bände
Ausgabe: Folio – Leinen in Schuber
Preis: DM 68.–
Kommentar: Michael Buddeberg, April 1997

Besprechung:
Wohl an keinem anderen Ort in Asien lassen sich der Weg und die Entwicklung des Buddhismus von Indien über Zentralasien nach China, die integrierende Kraft dieser Religion aber auch das Leben, Fühlen und Denken der Menschen in Zentralasien und China im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung, ihre Träume und Sorgen, ihre Freuden und ihr Leid, so gut studieren wie in Dunhuang, in den berühmten Mogao-Höhlen, dem vielleicht bedeutendsten Monument buddhistischer Kunst überhaupt. Über einen Zeitraum von eintausend Jahren, etwa vom 5. bis zum 14. Jahrhundert wurden in ununterbrochener Folge auf engstem Raum über 1000 Höhlentempel errichtet, von denen sich bis heute 492 mit 2400 Skulpturen und über 45.000 Quadratmetern Wandmalerei erhalten haben. Die Oase Dunhuang, gegründet zur Zeit der frühen Han (111 v.Chr.) war bis ins 14.Jahrhundert ein Knotenpunkt des Handels auf jenem Weg, der später den Namen „Seidenstraße“ erhalten sollte. Begünstigt war Dunhuang durch die einzigartige geographische Lage an der äußersten Westgrenze des chinesischen Reiches am Rande der Wüste Gobi und nahe der Stelle wo die Seidenstraße sich in zwei Routen gabelt, die nördlich und südlich der Wüste Taklamakan verlaufen, um dann Richtung auf das Pamir-Gebirge, nach Westasien und auf den indischen Subkontinent zu nehmen. Über die Seidenstraße aber wurden nicht nur Güter transportiert sondern auch Nachrichten, Wissen und – Religionen. Schon etwa im 3. Jahrhundert v.Chr. begann sich der Buddhismus vom südlichen Himalaya aus über die Seidenstraße nach Zentralasien auszubreiten und erreichte China wohl im 1. Jahrhundert nach Chr. Die Schlüsselposition Dunhuangs an der Seidenstraße ließ hier schon früh ein Pilgerzentrum entstehen. Die Meditationshöhle des Mönches Yuezun am Rande der Mingsha Shan, der „Dünen der klingenden Sande“ war die Keimzelle ständig neuer Weihestiftungen, Zeugnisse des Dankes und der Wünsche von Reisenden und Kaufleuten vor dem Aufbruch oder nach der gefahrvollen Durchquerung der Wüste. In der aufwendigen Prachtpublikation – eine weitere bibliophile Meisterleistung der von Michael Franses gegründeten Textile & Art Publications – werden die 40 bedeutendsten dieser Höhlentempel eindrucksvoll in Wort und Bild vorgestellt – eine einzigartige Dokumentation der historischen, geistigen und künstlerischen Entwicklung des Buddhismus in Zentralasien. Neben Szenen aus dem Leben Buddhas finden sich portraithafte menschliche Darstellungen vom dunkelhäutigen indischen Brahmanen bis zur hochgestellten chinesischen Stifterperson, Darstellungen realer und mythischer Tiere, Bilder von Dämonen und Ungeheuern, die oft an das taotie-Motiv auf rituellen Bronzen aus der Shang-Zeit erinnern. Landschaften von surrealer Schönheit wechseln ab mit Blicken in das tägliche Leben und Bildberichten über historische Ereignisse. Auch wenn die Ikonographie überwiegend auf den indischen Buddhismus zurückgeht, entstammen die Wesen und Gestalten doch häufig der chinesischen Mythologie und Legende. Der Sumeru wird den von daoistischen Unsterblichen bewohnten Kunlun-Bergen zur Seite gestellt und in den Lüften fliegen Unsterbliche und „apsaras“ einträchtig nebeneinander (Höhle 249). So wurde den chinesischen Betrachtern der Eindruck einer gewissen Identität zwischen den beiden Glaubensrichtungen vermittelt und der Buddhismus leichter akzeptabel gemacht. Berühmt für Dunhuang sind diese „apsaras“, himmlische Wesen, die Blumen über Bildnisse des Buddha streuen und deren fliegende und flatternde Gewänder die Malereien der Höhlentempel prägen. Sie gelten als die Ehefrauen der „gandharvas“, himmlischer Musikanten und sie belegen, daß Tanz und Musik fester Bestandteil der Verehrungsrituale in buddhistischen Heiligtümern war. Wesentlich neben all diesen Derstellungen ist das Ornament: Keine Fläche der Höhlentempel blieb unbemalt. Neben dem häufigsten Motiv, dem Lotos als Symbol der Reinheit, erkennt man an vielen Dekors den Einfluß von Seidenstoffen und Stickerei. Wo solche Muster auf den Gewändern von Bodhisattvas oder Stifterfiguren auftreten, scheinen sie uns unmittelbar in das Herz einer buddhistischen Kultur zu versetzen, die in China eine ganz besondere Ausprägung erfahren hat und die allein in Dunhuang überliefert wurde. Der wissenschaftliche Text von Roderick Whitfield, Professor für chinesische und ostasiatische Kunst an der Universität London und lange Zeit Kurator der Sammlung Stein im British Museum führt umfassend in die Architektur der Höhlentempel, in die Ikonographie und in die wichtigsten Stilrichtungen ein. Die Übersetzung von Stefan Polter ist ohne Fehl und Tadel. Obwohl nur ein ganz kleiner Teil der Höhlentempel von Dunhuang vorgestellt werden, verführt das großartige Werk zu intensiver Beschäftigung mit dem Thema und gewährt tiefe Einblicke in eine faszinierende Welt.

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