Die Gräber der Moscevaja Balka – Frühmittelalterliche Funde an der nordkaukasischen Seidenstrasse

Autor/en: Anna A. Ierusalimskaja
Verlag: Editio Maris
Erschienen: München 1996
Seiten: 370
Ausgabe: Hardbound
Preis: DM 349.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 1997

Besprechung:
Die einheimischen Bauern und Hirten im Nordkaukasus wußten schon immer von diesen alten Gräbern, auch Grabräubern waren sie – leider – seit jeher bekannt. Archäologen wurden erstmals Ende des 19. Jahrhunderts aufmerksam, sammelten verstreute Fundstücke ein und überwiesen sie als vermeintlich nicht sehr alt und wenig bedeutend an ethnographische Museen in Russland. Anna Ierusalimskaja, Kuratorin der kaukasischen Sammlungen der Eremitage in St.Petersburg erkannte als Erste Bedeutung und Alter dieser Fundstücke und leitete von 1969 bis 1976 vier systematische archäologische Expeditionen nach Moscevaja Balka. Als Ergebnis dieser Grabungen und der nachfolgenden Auswertung liegt nun – parallel zur ersten Ausstellung eines großen Teils der Funde im Bayerischen Nationalmuseum (bis 26.01.1997) – die wissenschaftliche Publikation vor, die eine der bedeutenden archäologischen Entdeckungen dieses Jahrhunderts im Bereich der textiien Künste der Öffentlichkeit vorstellt. Für die Geschichte des frühmittelalterlichen Handels zwischen Ost und West, für die Kenntnis einer bisher mehr vermuteten als dokumentierten nördlichen Route der Seidenstraße, für Bedingungen und Umstände des Seidenhandels im frühen Mittelalter und für die Erforschung der europäischen und asiatischen Seidenzentren und ihres Formenschatzes können diese Funde nicht hoch genug bewertet werden. Moscevaja Balka, das ist ein kleines Siedlungsgebiet am Nordrand des Kaukasus, das vom 7. bis zum 9. Jahrhundert von einem adygoalanischen Bergvolk bewohnt war. Als die Normalroute der Seidenstraße durch Persien und die arabische Halbinsel aus politischen Gründen seit dem 6.Jahrhundert als unsicher galt und gemieden wurde, entwickelte sich eine nördliche Route von den Häfen des Kaspischen Meeres über die Pässe des Kaukasus zum Schwarzen Meer und von dort auf dem Seeweg nach Konstantinopel. Im Kaukasus wurden als Wegzoll und wohl auch als Entgelt für geleistete Dienste von den Karawanen und Gesandtschaften aus Ost und West Seidenstoffe entrichtet, die die kaukasischen Bergbewohner zu Hauben, Kaftanen und anderen Gewändern verarbeiteten, mit denen sie Kultgegenstände und Kinderspielzeug verzierten und die schließlich mit ihnen in ihre Gräber gegeben wurden. Der besonderen geographischen und klimatischen Situation des Gräberfeldes der Moscevaja Balka, unter überhängenden Felsen schwer zugänglich und hoch über dem Laba-FIuß gelegen, ist es zu danken, daß sich kostbare chinesische, sogdische und byzantinische Seidenstoffe von außerordentlicher Schönheit und Farbenpracht erhalten haben. Diese Funde beweisen, daß die Seidenstraße keine Einbahnstraße war, daß auf ihr Stoffe aus Byzanz, Syrien und Ägypten nach Osten gelangten und daß sich die Muster und Motive in einem bisher nicht bekannten Ausmaß gegenseitig beeinflußten, so sehr, daß die geographische Zuordnung allein nach den Mustern problematisch bleibt. Neben der sorgfältigen Dokumentation der Forschungsgeschichte, der Bestattungsriten und der gefundenen Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, Waffen, Schmuck und Grabbeigaben, widmet sich das Buch vor allem diesen Textilien, dem weitaus bedeutendsten Teil der Funde. Erstmals wird die Mode eines sonst kaum bekannten kaukasischen Volkes vorgestellt. Die Kaftane der Männer, die langen und weiten Kleider der Frauen, Kinderkleider, Hauben und Schuhe sind, manchmals großflächig, meist aber mit kleinen seidenen Besätzen verziert. Diese 208 Seidenstoffe – zumeist in Fragmenten – aber auch gewirkte und sogar geknüpfte Textilien und Gewebe aus Wolle und Leinen werden wissenschaftlich beschrieben, analysiert und zum größten Teil auch abgebildet. Die Gräber der Moscavaja Balka und die Publikation von Anna lerusalimskaja sind für die Erforschung der textilen Künste aus Ost und West ein Meilenstein, der in einer ernsthaften Textil-Bibliothek nicht fehlen darf. Möglich wurden Publikation und Ausstellung durch die Zusammenarbeit von Eremitage und Bayerischem Nationalmuseum, dieses in Deutschland eine der führenden Stätten zur Sammlung und Erforschung historischer Textilien. Zur Ausstellung in München unter dem Titel „Von China nach Byzanz“ erschien auch ein schmaler Katalog, bearbeitet von Birgit Borkopp, der Kuratorin für Textilien am Bayerischen Nationalmuseum (110 S., DM 28,–).

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