Zwei Standardwerke über die buddhistische Kunst der Mongoleii

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Kommentar: Michael Buddeberg, April 2012

Besprechung:
Carmen Meinert (Hrsg), Buddha in der Jurte – Buddhistische Kunst aus der Mongolei, Hirmer Verlag, München 2011, 840 Seiten in zwei Bänden, Leinen mit Schutzumschlag im illustrierten Leinenschuber, € 138.–, ISBN 978-3-7774-4231-0 (Ausgabe Deutsch/Mongolisch)

Zara Fleming, L.Lkhagvademchig Shastri (Hrsg), Mongolian Buddhist Art – Masterpieces from the Museums of Mongolia, Volume I: Thangkas, Appliqués and Embroideries, Mongolia – Tibet Foundation – Serindia Publications, Ulaanbaatar – London – Chicago 2011, 1016 Seiten in zwei Bänden, Leinen mit Schutzumschlag im illustrierten Schuber, USD 450.–, ISBN 978-99929-3-433-6

Dschingis Khan, da sind sich die Historiker einig, war kein Buddhist. Er hatte alle Hände voll zu tun, ein Weltreich zu erobern und keinen Anlass, seine schamanistische Weltsicht in Frage zu stellen. Erst sein Sohn und Nachfolger Ögedei stand vor der Notwendigkeit, der mongolischen Herrschaft über ein Weltreich eine tragfähige ideologische Grundlage zu geben. Er hat sich damals wohl ganz bewusst für die tibetische Form der Lehre Buddhas, den Lamaismus, entschieden, war dies doch ein Glaubenssystem, das den traditionellen religiösen Bedürfnissen besonders entsprach, indem es das einheimische, animistische Pantheon von Göttern und Geistern ebenso wie volksreligiöses Brauchtum ohne weiteres in sein System integrieren konnte. Diese erste buddhistische Bekehrung der Mongolei hatte ihren Höhepunkt unter Kubilai Khan, dem Gründer der mongolischen und fast ein Jahrhundert lang China beherrschenden Yuan-Dynastie, und dem engen Verhältnis zu den Äbten des tibetischen Sakya-Ordens. Doch die neue Religion hat nie wirklich das Volk erreicht und mit dem Ende der Herrschaft der Mongolen über China (1368) war es mit dem Buddhismus in der Mongolei erst mal zu Ende. Etwa zweihundert Jahre später ging dann Altan Khan richtig zur Sache und machte die zweite buddhistische Bekehrung der Mongolen zu einem nachhaltigen Erfolg. Mit der Verleihung des Titels „Ozean Lama“ an den regierenden Lama des tibetischen Gelugpa-Ordens begründete er die Reinkarnationslinie der Dalai Lamas und eine Jahrhunderte währende, fruchtbare religiöse Beziehung zwischen Tibet und der Mongolei. Es war dann erst die Sowjetherrschaft des 20. Jahrhunderts, die dem Buddhismus in der Mongolei ein diesmal gewaltsames Ende bereitete. Seit 1924 wurden fast alle Klöster der Mongolei zerstört, Mönche zu tausenden vertrieben und ermordet und jegliche Religionsausübung untersagt und grausam verfolgt. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems am Ende des 20. Jahrhunderts, die politische Neuorientierung der Mongolei und die Rückkehr zum Buddhismus als Staatsreligion ist nun gewissermaßen die dritte buddhistische Bekehrung der Mongolen.

Dieser dritten buddhistischen Bekehrung der Mongolei haben wir die vom mongolischen Ministerium für Erziehung, Kultur und Wissenschaften initiierte Monumentalpublikation „Mongolian Buddhist Art“ zu verdanken. Deren erster in zwei Bänden bei Serindia erschienene Teil über zweidimensionale Bildwerke, also über Thangkas in gemalter, gestickter und applizierter Form, dokumentiert die Besinnung der Mongolei auf ihr religiöses und künstlerisches Erbe. Denn mit der Religion des tibetischen Vajrayana-Buddhismus hat die Mongolei auch die zugehörige Kunst, besser deren spezifischen materiellen Ausdruck übernommen und zu einer durchaus eigenständigen Blüte entwickelt. Diese Thangkas aus dem 17. bis zum 20. Jahrhundert wurden nicht als Kunst geschaffen, sondern als spirituelle Werkzeuge, als Meditationshilfen und Begleiter auf dem Weg zur Erleuchtung. Die Darstellung der Gottheiten, ihre körperliche Erscheinung, ihre Haltung und Gesten, die ihnen zugeordneten Attribute, ja selbst ihre Farbe ist durch den Künstler nicht frei wählbar, sondern ist durch ein codiertes System ikonographischer und ikonometrischer Vorschriften vorgegeben. Diese Grundlagen zu kennen ist für die Beurteilung und das Verstehen mongolisch buddhistischer Kunst nicht nur von Vorteil, sondern unabdingbar. Mit den insgesamt 441 in dem foliogroßen Prachtwerk systematisch geordneten, abgebildeten und beschriebenen Thangkas – es ist eine Auswahl aus dem Bestand der fünf wichtigsten mongolischen Museen – liegt erstmalig ein Korpus mongolischer Kunst vor, der einen unkomplizierten Zugang zu diesen ikonographischen Grundlagen ermöglicht. Die Fülle des Vergleichsmaterials, so finden wir über 30 Thankas der verschiedenen Emanationen des Mahakala oder 7 Bilder von Vajrabhairava, aber auch Milarepa, Vairocana, die grüne und weiße Tara, Sri Devi, Vajrapani und viele andere sind mehrfach vertreten, macht das Buch ungemein lebendig und ermöglicht die spannende Entdeckung, welche individuellen und künstlerischen Qualitäten und Zutaten die stets anonymen Künstler im Rahmen der strikt einzuhaltenden philosophischen und rituellen Vorschriften ihrerseits beigetragen haben. Ein Schwerpunkt mongolischer Bildkunst und zugleich eine ästhetische Augenweide sind die vielen, in Applikationstechnik gearbeiteten Thankas, die neben der geschickten Auswahl von Brokaten und anderen Textilien durch aufgenähte und gestickte Konturen und Details, oft auch durch kleine Perlen, Korallen, Türkise oder andere kostbare Steine ihren ganz besonderen, festlichen Charakter erhalten. Diese Applikationsthankas sind eine Spezialität, die mongolische Handwerker im 18. und 19. Jahrhundert zu einer einzigartigen Kunstfertigkeit entwickelt haben. Neben diesem Teil 1 soll der geplante Gesamtkatalog mongolisch buddhistischer Kunst aus mongolischen Museen vier weitere Teile umfassen, mit denen dann auch Skulpturen, Ritualgegenstände, Bekleidung für Ritual und Cham-Tanz sowie die Ausstattung der Klöster erfasst werden soll. Wann und mit welchem Abstand diese weiteren Bände erscheinen, ist nach Auskunft des Verlegers vollkommen ungewiss. Mit Teil 1 ist jedenfalls ein großartiger Anfang gemacht.

Welch ein Zufall nun, dass fast zeitgleich bei Hirmer ein ähnlich aufwendiges und ebenfalls zweibändiges Werk über eine private deutsche Sammlung mongolisch buddhistischer Kunst erschienen ist. Ein glücklicher Zufall, muss man sagen, denn trotz des identischen Generalthemas, der buddhistischen Kunst aus der Mongolei, ist der Zugang des Sammlers zu dieser Kunst gegenüber der staatlichen Auswahl aus fünf mongolischen Museen grundverschieden. Zunächst fehlt hier die Beschränkung auf zweidimensionale Bildwerke und wir können daher in diesem Buch das gesamte Spektrum künstlerischer Kreativität bewundern, von kleinen Tshatshas aus Ton bis zu Figurinen und großen Statuen aus vergoldeter Bronze oder bemaltem Holz, von Thankas und kleinen, miniaturhaften Andachtsbildern, den so genannten Tsakli, bis hin zu allerlei Ritualgerät, Textilien, Möbeln und anderen Behältnissen. Der besondere kulturhistorische Wert dieser Sammlung, die speziell in dieser Hinsicht weltweit einzigartig sein dürfte, liegt in ihrer Konzentration auf die Volksfrömmigkeit, auf den von den Mongolen, überwiegend also nomadisierenden Viehzüchtern, vom 18. bis zum 20. Jahrhundert praktizierten buddhistischen Glauben. Der Titel des Sammlungskataloges „Buddha in der Jurte“ bringt zum Ausdruck, dass die überwiegende Anzahl der Objekte klein ist, dass sie schnell zusammengerollt, verpackt oder auch am Körper mitgeführt werden können, um beim nächsten Weidegrund oder Pilgerziel wieder präsent zu sein, und um den in jeder mongolischen Jurte vorgesehenen Platz für die Götter einzunehmen. Diese kleinformatigen Objekte inniger Verehrung, kleine in Modeln geformte Reliefs und Götterbilder aus Ton, die so genannten Tshatshas, und vor allem die Tsakli sind zwar auch in der tibetischen Kunst bekannt, doch in ihrer Vielfalt und Feinheit der Ausführung ist diese mongolische Miniaturkunst einzigartig und unübertroffen. Ebenfalls spezifisch mongolisch sind neben den Gau genannten Amulettbehältern, eine Art kleine, von den Mongolen Gungarvaa genannte, meist liebevoll bemalte, verglaste Rahmen oder Vitrinen für diese miniaturisierten Götterbilder. Von den 414 für das Buch ausgewählten Objekten der Sammlung sind gewiss mehr als die Hälfte dieser typischen mongolischen Volkskunst zuzuordnen. Die Vielfalt und die gestalterische Kreativität, wie sie in diesen Gaus und Gungervaas, den Tsakli und Ttshatshas und kleinen Figurinen aus bemaltem Ton, geschnitztem Holz, Pappmaschée und seltenen Materialien wie Knochen oder Malachit zum Ausdruck kommt ist ein beeindruckendes Zeugnis buddhistisch motivierter Handwerkskunst. Im übrigen besteht die Sammlung aus Thangkas und einer Anzahl großer Tempelfiguren aus Holz oder vergoldeter Bronze, wobei sich die Herkunft der Thankas nicht auf die Mongolei beschränkt. Die Beweglichkeit dieser Rollbilder, die nomadisierende Lebensweise der Mongolen und regelmäßige Pilgerreisen nach China und Tibet haben Thankas auch aus dem nahe gelegenen Zentrum des Buddhismus in China, dem Wutai Shan, aus Burjatien und aus Amdo und anderen Regionen Tibets in die Mongolei gebracht, von wo aus in jahrelangem Engagemant diese Sammlung zusammengetragen wurde. Ein besonderer Höhepunkt sind schließlich eine Anzahl bedeutender und teilweise sehr früher tibetischer Thangkas sowie vergoldeter mongolischer Skulpturen aus der berühmten Zanabazar-Schule. Ein Thangka aus dem 11. Jahrhundert, eine getreue Kopie der einzigartigen Wandmalereien der Klosters Drathang in Zentraltibet, mag hier als Rarität ersten Ranges besonders erwähnt werden.

Beide Werke – das von Fleming erschien in einer englisch/mongolischen Ausgabe, während das Buch von Meinert in zwei Varianten, nämlich deutsch/mongolisch und englisch/russisch vorliegt – enthalten Einführungen in die Geschichte, Entwicklung und die Besonderheiten des Buddhismus und der buddhistischen Kunst der Mongolei. Das Fleming´sche Werk holt ein wenig weiter aus, beginnt mit der prähistorischen Besiedelung der Mongolei und berichtet schließlich ausführlich über den Zweck dieses verlegerischen Großprojektes und die beteiligten Institutionen und Sponsoren bis zu einer kurzen Vorstellung der wichtigen mongolischen Museen. Carmen Meinert vertieft vor allem die Bedeutung dieser sakralen Kunst im tantrischen Ritual und betont die Breite und Vielfalt dieser einzigartigen Privatsammlung. Dass der Sammler selbst anonym bleibt und nicht zu Wort kommt, mag man bedauern; seine erklärte Bereitschaft, seine Sammlung weiterer wissenschaftlicher Forschung zu öffnen, sofern „glückliche Umstände entstehen“, ist zu begrüßen. Dass sich beide Werke nicht nur von ihrer unterschiedlichen Ausrichtung – Meisterwerke der Thanka-Malerei hier und lebendige Volkskunst dort -, sondern auch hinsichtlich ihrer Anhänge hervorragend ergänzen, eine Bibliographie bei Fleming und ein äußerst sorgfältiges Glossar bei Meinert, sei abschließend erwähnt. Das eigentliche Problem dürfte daher nicht in der Qual der Wahl liegen, sondern in der notwendig doppelten Investition um eine seit jeher bestehende Lücke der Literatur zur buddhistischen Kunst wirkungsvoll zu füllen.

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