Tang Sancai – Selected Artifacts from the Bryan Collection

Autor/en: Chen Jiazi
Verlag: Alliance Francais de Singapour, Vertrieb durch Thames & Hudson, London
Erschienen: Singapur 2010
Seiten: 96
Ausgabe: Hardcover
Preis: 22.– englische Pfund
ISBN: 978-981-08-3770-9
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2010

Besprechung:
Gerne wird von chinesischen Politikern aktuelles Zeitgeschehen mit historischen Ereignissen aus der Vergangenheit verknüpft, nicht zuletzt, um so die Kontinuität und Legitimation eines seit tausenden von Jahren bestehenden, einheitlichen Reiches zu beschwören. So ist es nur nahe liegend, dass sich China mit der seit nunmehr fast drei Jahrzehnten praktizierten wirtschaftlichen und, wenn auch sehr zögernden politischen Öffnung auf eine historische Epoche beruft, auf Chinas „Goldenes Zeitalter“, auf die Tang-Dynastie (618-907). Der Begriff „Öffnung“ wird geradezu wie ein aus der Tang-Zeit überlieferter Schlüssel betrachtet, mit dessen Hilfe China die Tür zu einer prosperierenden Zukunft aufzuschließen versucht. Und tatsächlich war die Zeit der Tang-Dynastie ein Zeitalter, das den chinesischen Anspruch auf politische und kulturelle Größe in eindrucksvoller und auch von den späteren Dynastien der Ming und Quing nie wieder erreichten Art und Weise erfüllte. Nach Jahrhunderten der Spaltung und Zersplitterung schuf Kaiser Taizong (reg. 626-649) ein Reich, in dem sich geographische Größe, politische Stärke, kulturelle Blüte, internationale Aufgeschlossenheit und chinesische Einzigartigkeit zu einem historischen Mythos von China verdichteten. Ein geordnetes Verwaltungswesen und innerer Friede ließen Landwirtschaft, Handwerk und Handel zum Nutzen und Wohlstand des Volkes prosperieren. Gefördert vom Kaiser blühten Kunst, Musik und Dichtung und erreichten meisterhafte Vollendung. Die Hauptstadt Chang´an, unweit des heutigen Xi´an in der Provinz Shaanxi, damals mit über einer Million Einwohner und einer ummauerten Stadtfläche von annähernd 80 qkm die größte und wohl zivilisierteste Stadt der Welt, war ein kosmopolitisches Zentrum ohnegleichen. Startplatz und Endpunkt der Seidenstrasse, war Chang´an ein Schmelztiegel asiatischer Zivilisationen und Umschlagplatz von Luxuswaren aus Ost und West. Fast noch wichtiger und Symbol für die Weltoffenheit Chinas war der Transfer von Ideen und Informationen auf der Seidenstrasse. Kulturelle und religiöse Einflüsse aus Indien, Zentralasien und Persien fanden in Chang´an zusammen. Hier trafen sich Uiguren, Koreaner, Tibeter und Japaner, Händler aus Khotan und Kucha, Sasaniden, Inder und viele mehr. Das alles ist durch die chinesische Geschichtsschreibung gut überliefert, doch nichts dokumentiert das überschäumende Lebensgefühl der Blütezeit der Tang-Dynastie besser als die sancai-Keramik, bleiglasierte Figuren und Gefäße, die als Beigaben in Dutzenden von Grabanlagen und Mausoleen von Angehörigen der kaiserlichen Familie und des Adels rund um das alte Chang´an ausgegraben wurden. Anläßlich ihres 60-jährigen Jubiläums veranstaltete das renommierte Kulturinstitut Alliance Francais de Singapur eine Ausstellung von sancai-Keramik aus der privaten Bryan Collection, die durch das repräsentative Buch im übergroßen Format mit begleitenden Essays des chinesischen Autors Chen Jiazi nun eine Dokumentation und damit ein zweites und dauerhaftes Leben erfährt. Kräftige und temperamentvolle Pferde, eines der wichtigsten Importgüter und Statussymbol jener Zeit, prächtig gezäumte Lastkamele, fremdländische Musikanten und Bedienstete, hohe chinesische Beamte und Abgesandte ferner Länder in ihren malerischen Trachten oder berittene Bogenschützen auf ihrer Rückkehr von der Jagd vermitteln einen Eindruck vom bunten und glanzvollen Leben jener Zeit. Selbstbewusste, stolze Hofdamen, oft hoch zu Pferd oder in eindrucksvoll stehender Pose mit phantasievoll getürmten Frisuren – der Begriff der fat lady wurde zum Synonym für diesen Frauentyp der Tang-Zeit – zeugen von der herausragenden Stellung der Tangfrauen, während prachtvolle Gefäßkeramik zum Servieren von Speisen und zum Aufbewahren oder Genuss von Wein von den diesseitigen Freuden des Lebens berichtet. Von der wichtigen und durch den Buddhismus geprägten Rolle des Jenseits erfahren wir durch Himmelskönige, Erdgeister und buddhistische Wächterfiguren, die sog. Lokapalas. Neben dieser zeitspezifischen Symbolik sind es aber vor allem Farbigkeit und Auftrag der Glasuren, die die Faszination der sancai-Keramik ausmachen. Sancai bedeutet übersetzt „drei Farben“ und bezieht sich auf die in dieser Technik überwiegend verwendete Farbkombination aus grüner, mit allen Farbnuancen des Bernstein spielender und weißer, beziehungsweise transparenter Glasur, auch wenn andere Farben wie Blau Violett oder Türkis vorkommen. Mit diesen irisierend schillernden, oft ineinander verlaufenden und dann wieder scharf abgegrenzten Bleiglasglasuren war die Dominanz der zuvor vorherrschenden monochromen Glasuren gebrochen. Im Verein mit den sorgfältig gestalteten Figuren und Gefäßen, den individuell gemalten, portraithaften Gesichtern und dem Dekorschmuck von Tellern, Schalen und Flaschen – ein Krug mit wohl sasanidisch beeinflussten Phönix-Design sei hier beispielhaft erwähnt – wird jede sancai-Keramik zu einem Stück kunstvoller und bewundernswerter Skulptur. Jüngste archäologische Erkenntnisse belegen, dass diese sancai-Keramik nicht nur Grabbeigabe, sondern auch Bestandteil der Alltagskultur der Tang-Zeit gewesen ist, ein Grund mehr, sie als sichtbaren Ausdruck einer glanzvollen Epoche der chinesischen Geschichte zu bewerten und zu schätzen.

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