The Golden Age of Japanese Okimono – Dr. A.M.Kanter´s Collection

Autor/en: Laura Bordignon
Verlag: Antique Collectors Club
Erschienen: Woodbridge Suffolk 2010
Seiten: 302
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 45.– englische Pfund
ISBN: 978-1851-4960-99
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2010

Besprechung:
Als im Juli 1853 ein Geschwader amerikanischer Kriegsschiffe unter dem Kommando des Commodore Matthew C. Perry in den Hafen von Edo einlief, bedeutete dies das Ende der jahrhundertelangen Isolation Japans. Für das alte Japan war es der Beginn einer dunklen Zeit, aus der sich das Land aber wie ein Phönix aus der Asche in eine neue, moderne Zukunft erheben sollte. Perry überbrachte ein Ultimatum: Japanische Häfen hatten sich binnen eines Jahres dem internationalen Handel zu öffnen. Eine gewaltsame Invasion westlicher Mächte in Japan war die Alternative und sie war ernst zu nehmen. Die militärische Übermacht und das westliche Verlangen, sich einen neuen, großen Markt zu erschließen waren erdrückende Argumente. Eine schwere Krise von Staat und Gesellschaft war die Folge. Die konservativen, feudalen Shogun aus dem Kriegerstand der Samurai waren für die Beibehaltung der Isolation, während der neue, selbstbewusste Stand der Kaufleute eine Öffnung Japans für den internationalen Handel und für westliche Technologie anstrebte. Immerhin waren beide Lager so klug, dass sie Verhandlungen den Vorzug gaben vor einer militärisch unterstützten Kolonialisierung durch die westlichen Mächte. So kam es zur sukzessiven Freigabe wichtiger Häfen für den internationalen Handel ebenso wie zum Abschluss von Handelsabkommen mit den USA und den europäischen Großmächten. Das Ende überkommener Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen war dann nur noch eine Frage der Zeit. Ende 1867 erklärte sich schließlich der letzte Shogun bereit, die politische Gewalt in die Hände des japanischen Kaisers zurückzugeben. Der 15-jährige Tenno nahm die Abdankung an und übernahm am 03.01.1868 selbst die Regierung in einer konstitutionellen Monarchie. Die Meiji-Zeit hatte begonnen, die bis zum Tode des Tenno im Jahre 1912 Japan die gewaltigsten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen seiner Geschichte bringen sollten. Ein wichtiges Ereignis in dieser Kausalkette war die Londoner Weltausstellung im Jahre 1862. Private Sammler hatten dort einen japanischen Akzent gesetzt und unter anderem erstmals die im Westen bis dato vollkommen unbekannten japanischen Farbholzschnitte ausgestellt. Ihre Schönheit, die ungewohnte Eleganz der Linienführung und die Freiheit von Mustern und Motiven waren eine echte Sensation. Der Japonismus, die Japanmode war geboren. Das junge Japan verstand die Zeichen der Zeit und die in dieser Japanbegeisterung des Westens liegende Chance. Japan war damals alles andere als eine Industrienation und das einzige Pfund, mit dem sich wuchern ließ, war das traditionelle Kunsthandwerk. Nur durch den Export japanischer Handwerkserzeugnisse konnten die Devisen für den Aufbau und Anschluss japanischer Industrie und Gesellschaft an den Westen erwirtschaftet werden. Es begann eine von Kaiser und Regierung initiierte und geförderte Blüte des japanischen Kunsthandwerks, die alle Bereiche erfasste. Die Porzellanindustrie erlebte einen ungeahnten Aufschwung aber auch Meisterweber, Lackkünstler und Möbelmacher profitierten von dem kunsthandwerklichen Boom. Hinzu kam, dass das 1876 verhängte Verbot, in der Öffentlichkeit Schwerter zu tragen nicht nur die Schwertschmiede arbeitslos machte, sondern auch zahllose Handwerker freisetzte, die den Dekor und Zierrat dieser Schwerter in Lack, Gold und Silber hergestellt hatten. Und durch die forcierte Übernahme westlicher Kleider wurden mit den Inro und Netsuke die beliebtesten modischen Accessoires japanischer Herren entbehrlich, die am Gürtel einer Anzughose nach westlichem Vorbild einfach keine Funktion und keinen Platz mehr hatten. Ein unmittelbares Ergebnis all dieser Maßnahmen sind Okimono, japanische Kleinplastiken, meist aus Elfenbein. Es hatte sie natürlich schon vorher gegeben als rein dekorative Objekte, vorwiegend zum Schmuck von Altären, doch nun gelangte mit den Okimono eine besondere Form des japanischen Kunsthandwerks zur Entfaltung, um ganz speziell eine westliche Nachfrage zu schaffen und zu bedienen. Es versteht sich, dass diese ausschließlich für den Exportmarkt hergestellten Kleinkunstwerke wie viele andere kunsthandwerkliche Produkte der Meiji-Ara auch, von manchen Kunstkennern mit einer gewissen Skepsis und als nicht authentisch japanisch angesehen werden. Ob zu Recht oder nicht, mag hier dahinstehen, Okimono sind jedenfalls Meisterwerke der Schnitzkunst in Elfenbein wie in dem Buch über die Sammlung des amerikanischen Arztes A. Monnie Kanter studiert und bewundert werden kann. Kern dieser Sammlung sind über einhundert Okimono hoher und höchster Qualität aus Elfenbein, ergänzt um einige Dutzend Kleinplastiken aus Silber, Bronze, Lack, Cloisonnée und Shibayama, einer mosaikartigen Einlegetechnik unter Verwendung verschiedenster edler Materialien, allesamt aus dem letzten Quartal des 19. Jahrhunderts. Anders als die für einen praktischen Gebrauchszweck geschnitzten Netsuke sind Okimono oft von filigraner Feinheit und erlauben die detailgetreue Darstellung kleinster Einzelheiten. Sie eröffnen – und als das waren sie gedacht – einen Einblick in die Welt japanischer Mythen und Märchen und zeigen Götter, Geister und Dämonen, Hexen und Drachen. Vor allem aber gewähren sie einen Blick in den japanischen Alltag, wir sehen Handwerker bei der Arbeit, Bauern bei der Ernte, Fischer, die ihr Netz einholen, Musiker, Schauspieler und Gaukler, Händler am Markt, schöne Damen im festlichen Kimono, Samurai zu Pferd und beim Bogenschießen. Natürlich ist das kein Bild der damaligen japanischen Wirklichkeit, sondern ein Blick in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit. Das aber geschieht nicht nur mit meisterhaftem Geschick, sondern oft auch mit Humor, liebevollem Spott, versteckter Ironie und Verständnis für kleinere und größere menschliche Schwächen. Es macht daher einfach Vergnügen, die hervorragenden, oft durch Detailaufnahmen und immer um die Signaturen ergänzten Abbildungen der Okimono zu betrachten und zu studieren. Der Sammler und Wissenschaftler wird darüber hinaus seine Freude daran haben, dass die Autorin, die in der Grafschaft Essex, nordöstlich von London einen auf die Meiji-Ära spezialisierten Kunsthandel betreibt, in eingeschobenen Kapiteln und einem umfangreichen Anhang Details des Metallgusses und der verwendeten Legierungen beschreibt, in die Geheimnisse japanischer Signaturen einführt, die wichtigsten Künstler auflistet und schließlich auch eine Anleitung gibt, wie man das Horn des Narwal und die Zähne von Walross, Warzenschwein und Nilpferd von echtem Elefantenelfenbein unterscheidet. Das Buch ist eine erschöpfende Monographie über ein in der Japanliteratur selten behandeltes Thema.

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