Arts of Ancient Vietnam – From River Plain to Open Sea

Autor/en: Nancy Tingley (Hrsg)
Verlag: Asia Society, Museum of Fine Arts, Yale University Press
Erschienen: New York, Houston, New Haven 2009
Seiten: 356
Ausgabe: Hardcover
Preis: USD 60.–
ISBN: 978-0-300-14696-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2009

Besprechung:
Historisch, klimatisch und vor allem ethnisch ist Vietnam, das Land an der Ostseite des vormals „Hinterindien“ genannten asiatischen Subkontinents kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Küstenlinie des heutigen Vietnam misst von Nord nach Süd 3451 Kilometer, das ist etwa die Strecke vom Nordkap bis zur Stiefelspitze Italiens, und an der schmalsten Stelle des Landes sind es vom Südchinesichen Meer bis zur Grenze zum Nachbarstaat Laos keine 60 Kilometer. Eines wird daraus aber klar: Die enge Verbindung mit dem Meer, der Seehandel vor allem, haben die Geschichte und Entwicklung Vietnams mehr als alles andere geprägt. Der gewiss bis in prähistorische Zeiten zurückreichende Warenaustausch zwischen den Lebensräumen Ostasien, Südostasien und Indien vollzog sich zwangsläufig entlang der Küste Vietnams, und mit ihm war ein Transfer von Ideen, Religionen und Technologien verbunden, der die kulturelle Entwicklung Vietnams bestimmt hat. Die ausführliche Einleitung des eine von Houston/Texas nach New York wandernde Ausstellung begleitenden Kataloges beschreibt denn auch die geschichtliche Entwicklung Vietnams, die Abfolge der Völker, Kulturen und Dynastien, vor allem an der durch archäologische Entdeckungen der letzten Jahrzehnte belegten Entwicklung dieses Seehandels. Der durch technologische Fortschritte ermöglichte Schritt von der reinen Küstenschiffahrt zur Seeschiffahrt änderte die Handelswege, die Bedeutung der Häfen und damit Macht, Einfluß und Wohlergehen der am Seeweg siedelnden Völker und Kulturen. Deren Verhalten gegenüber fremden Händlern, arabischen, malayischen und später auch europäischen Seeleuten, die wegen des stets aus der gleichen Richtung wehenden Monsuns oft monatelang in einem Hafen festgehalten wurden, ebenso wie die Steuerpolitik und die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen bestimmte die Akzeptanz und den Erfolg der Hafenstädte und ihres Hinterlandes. Dieser Ausflug in die Geschichte ist aber nur der Auftakt für die in vier umfangreichen Kapiteln vorgestellte Kunst des alten Vietnam von der Bronzezeit bis zur Zeit der Champa, von der Zeit der Enstehung der Dong Son Kultur im 7. Jahrhundert v.Chr. bis zur Dynastie der Ngyen im 19. Jahrhundert. Alle in der Ausstellung und im Katalogbuch vorgestellten Exponate – jedes einzelne ausführlich beschrieben – stammen aus dem Bestand ausschließlich vietnamesischer Museen aus den Großstädten Ha Noi und Ho Chi Minh City und aus kleineren Orten und waren – sieht man von einer Ausstellung in Leoben im Jahre 2004 ab – im Westen bisher nicht zu sehen. Neben Bronzeobjekten der Dong Son Kultur, Waffen und den berühmten, wunderbar verzierten Trommeln, liegen die Schwerpunkte bei Schmuck und Skulpturen der im Mekong-Delta im Süden Vietnams im ersten Jahrtausend nachweisbaren Oc Eo Kultur sowie bei hinduistischen und buddhistischen Bildwerken aus Stein und Bronze der seefahrenden Champa-Völker, die die Küstenregionen Vietnams besiedelten. Die Einflüsse Indiens und der benachbarten Khmer-Kulturen sind unverkennbar und deutlich stärker als diejenigen des unmittelbaren im Norden angrenzenden machtvollen China. Ganz anders ist dies bei dem letzten Schwerpunktthema des Buches, der Keramik Vietnams, die über Jahrhunderte hinweg der wichtigste Handels- und Exportartikel war. Hier ist trotz der von heimischen Handwerkern entwickelten eigenen Techniken, Formen und Dekoren der Einfluss des nahen Chine stets spürbar. Die Blütezeit vietnamesischer Keramik reicht vom 14. bis zum 16, Jahrhundert. Sie begann mit der Verwendung des von China übernommenen Kobaltblau und gelangte zunächst in blau-weiß und später auch polychrom dekorierten Vasen, Krügen, Tellern, Dosen und Schalen aber auch in phantasiereich der vietnamesischen Natur und Glaubenswelt entlehnten Motiven wie Elefant und Papagei, Schildkröte, Delphin und magischen Monstern zu prachtvoller Entfaltung. Der Reichtum und die Vielfalt des heute bekannten und des im Katalog gezeigten keramischen Materials ist einer Sonderform der Archäologie zu danken, die in den vergangenen 20 Jahren erstaunliche Ergebnisse gezeitigt hat. Moderne Unterwasserarchäologie hat in den Küstengewässern Vietnams und im südchinesischen Meer zur Entdeckung zahlreicher Schiffswracks geführt. Das aus der Sicht Vietnams bedeutendste Wrack ist das von 1997 bis 1999 aus 70 Meter Tiefe geborgene, nach der Insel Cu Lao Cham benannte, knapp 30 Meter lange Wrack, in dessen gut erhaltenen Laderäumen 240.000 Artefakte, meist vietnamesische Keramik des späten 15. Jahrhunderts gefunden wurde, Die aus diesem sensationellen Fund gezeigten Stücke belegen das hohe Niveau vietnamesischer Keramikkunst ebenso wie die Bedeutung des Seehandels für das vietnamesische Volk. Eine spannende und detaillierte Darstellung der in vietnamesischen Gewässern seit 1990 entdeckten Schiffswracks und ihrer Ladung beschließt den schönen Katalog über die Kunst des alten Vietnam.

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