Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte – 400 Jahre China und Bayern

Autor/en: Renate Eikelmann (Hrsg)
Verlag: Bayerisches Nationalmuseum und Hirmer Verlag
Erschienen: München 2009
Seiten: 592
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 55.–
ISBN: 978-3-7774-9045-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2009

Besprechung:
Nun hat, ein gutes Jahr nach Dresden (Goldner Drache, Weißer Adler – Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof und am sächsisch-polnischen Hof, 1644-1795) auch München seine Retrospektive der historischen Beziehungen zu China (Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum bis zum 26. Juli 2007), ebenfalls begleitet von einem opulenten, 7 Pfund schweren Katalog. Beide, Dresden wie München, nutzen die Aktualität und das breite Interesse für China für eine grandiose Inszenierung der von den jeweiligen Herrscherdynastien gesammelten Kunstschätze, jeweils noch ergänzt durch Preziosen aus dem Palastmuseum in Peking, der Kunstsammlung der chinesischen Kaiser. Beide Ausstellungen und Katalogbücher machen am Ende aber klar, dass sich Austausch und Einfluß in engen Grenzen bewegten und dass das Bild, das sich die Menschen im 17. und 18. Jahrhundert von ihren Brüdern am anderen Ende der Welt machten, letztlich mehr Zerrbild denn Abbild war. Der Dresdner Katalog beschränkt sich denn auch auf eine alphabetisch geordnete Gegenüberstellung der höfischen Kulturen in Peking und Dresden im 18. Jahrhundert mit immer wieder überraschenden Gemeinsamkeiten im öffentlichen Auftritt beider Herrschaftssysteme. Das Münchner Konzept baut indessen auf eine 400 Jahre währende Beziehung zwischen dem Bayerischer Herrscherhaus und dem Reich der Mitte. Großzügig wird dabei die Mitte des 16. Jahrhunderts und die Gründung der Münchner Kunstkammer mit zahlreichen exotischen Gegenständen, darunter auch solchen aus China, durch Herzog Albrecht V von Bayern als Beginn für einen vielfältigen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch festgelegt. Am anderen Ende steht eine Ostasienreise Prinz Rupprechts von Bayern, von der er zahlreiche chinesische Objekte mitbrachte, die ihm unter anderem von der Kaiserinwitwe Cixi im Frühjahr 1903 zum Geschenk gemacht wurden, falls man nicht – dem Grußwort von Horst Seehofer am Anfang des Kataloges folgend – in der Begründung der Partnerschaft zwischen Bayern und der chinesischen Provinz Shandong durch Franz Josef Strauss im Jahre 1987 die Fortsetzung höfischer Kontakte sehen möchte. Tatsächlich beginnt die Beziehung zwischen den Wittelsbachern und dem Reich der Mitte nicht vor dem August 1616 als der aus China in Europa gastierende Jesuitenpater Nicolas Trigault in der Robe eines chinesischen Mandarins und als Gesandter des in Peking am Kaiserhof tätigen Jesuitenmissionars Matteo Ricci dem Münchner Hof Kunde von Kaisers Wanli (1563-1620) und seinem ruhmvollen Reich der Mitte brachte. Das Interesse der Wittelsbacher an China im 17 Jahrhundert bestand so im Wesentlichen in der Förderung der Jesuitenmission durch die bayerischen Herzöge und Kurfürsten, ein damals durchaus üblicher und gangbarer Weg, denn die Jesuiten hatten als geschickte, in den Wissenschaften ausgebildete Diplomaten, die sich der Landessprache und landesüblicher Höflichkeit bedienten, hohes Ansehen am chinesischen Kaiserhof erworben. Dennoch ist vollkommen offen, ob der persönliche Brief, den Maximilian I und Elisabeth von Bayern an Kaiser Wanli richteten, diesen je erreicht hat. Jedenfalls mit dem kurz darauf ausbrechenden Dreissigjährigen Krieg war der Versuch des Herzogpaares, diplomatische Beziehungen zu China aufzunehmen, vorerst gescheitert. Auch die wertvollen Geschenke, die Trigault für den chinesischen Kaiser erhielt, unter anderem einen Kunstschrank, in dem sich Fächer und Laden mit Hunderten weiterer Gegenstände befanden, haben Kaiser Wanli wohl nie erreicht. Erst Chongzeng, einem Enkel von Wanli und letztem Kaiser der Ming-Dynastie konnten 20 Jahre später Geschenke vom Münchner Hof übergeben werden. Im weiteren Verlauf der Geschichte sind es dann vor allem einige bayerische Jesuiten und deren wissenschaftlich-technisen Leistungen in der Astronomie und in der Herstellung von Glas und Emaille, die die Beziehung zwischen Bayern und China ausmachen – auch den Schnupftabak soll ein bayerischer Jesuit in China hoffähig gemacht haben – bis mit dem Verbot des katholischen Glaubens in China in der Mitte des 18. Jahrhunderts die jesuitische Chinamission ein Ende fand. Die Liebe der bayerischer Kurfürsten Max Emanuel (1662-1726) und Karl Albrecht (1697-1745) zum chinesischen Kunsthandwerk ist dann auch nicht mehr das Ergebnis einer besonderen oder gar persönlichen Beziehung zum Reich der Mitte, sondern Ausdruck der allgemeinen europäischen Chinamode, die in Bayern bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einen fruchtbaren Boden fand. In der Präsentation chinesischen und chinoisen europäischen Kunsthandwerks höchster Qualität aus bayerischen Museen, Schlössern und Kunstsammlungen liegt denn auch die besondere Bedeutung und Qualität des gewichtigen Münchner Kataloges. Max Emanuel und Karl Albrecht brachten den „gout chinois“ nach Bayern, bestellten in großem Stil chinesisches Kunsthandwerk, insbesondere Porzellan und Lackmöbel, statteten ihre Residenzen mit exotischen Raumschöpfungen und Sammlerkabinetten aus und schufen mit den chinesischen Lustschlösschen im Nymphenburger Park einzigartige Denkmäler jener Zeit. Lackmöbel aus dem Bayerischen Nationalmuseum, bronzegefaßtes Porzellan aus der Zeit des Kaisers Kanxi (1662-1722), Augsburger Brokatpapiere mit Chinoiserien, Ansbacher Fayencen als Kopien chinesischer Porzellane, eine erst kürzlich im Archiv der Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen aufgefundene, unversehrte chinesische Seidentapete aus dem späten 18. Jahrhundert oder Guckkastenbilder mit phantastischen Ansichten aus China sind selten oder noch nie zuvor gesehene Objekte aus bayerischem Bestand. Schätze aus der reichen Ostasiensammlung des Staatlichen Völkerkundemuseums, darunter Objekte der von König Ludwig I 1842 in Rom erworbenen Chinasammlung des italienischen Kaufmanns und Abenteurers Onorato Martucci, Raritäten aus der Münchner Hofbibliothek, heute Bestandteil der Sinica-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek und Erinnerungsphotos von der Reise Prinz Rupprechts von Bayern nach China geben Zeugnis vom steten Interesse der Wittelsbacher am fernen China.

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