Five Centuries of Indonesian Textiles

Autor/en: Ruth Barnes, Mary Hunt Kahlenberg (Hrsg)
Verlag: Delmonica – Prestel Verlag
Erschienen: München Berlin London New York 2010
Seiten: 400
Ausgabe: Leinen im illustrierten Schuber
Preis: € 75.–
ISBN: 978-3-7913-5071-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2011

Besprechung:
Von all den Liebhabern und Sammlern alter Kunst- und Kulturgüter haben es die Textilfreunde besonders schwer. Die Objekte ihrer Lust und Freude waren regelmäßig zum Gebrauch und Verschleiß bestimmt, haben sich also nur in relativ geringer Zahl erhalten, und sind zudem – meist aus organischem Material – einem steten Angriff gieriger Insekten und einem klimabedingten Verfall ausgesetzt. Selbst das Leben spendende Licht fügt ihnen Schaden zu, lässt die Farben verblassen und die Gewebe verspröden. Museen stellen daher ihre textilen Schätze ungern aus und wenn doch, dann nur für kurze Zeit und unter publikumsfeindlichen Bedingungen. Die immer strengeren konservatorischen Auflagen lassen bei der Präsentation von Textilien weder eine große Nähe noch ausreichendes Licht zu, so dass der Museumsbesucher, wenn überhaupt, nur einen schemenhaften Eindruck der in Vitrinen und hinter Glas versteckten und schummrig beleuchteten Objekte erhält. Farben, Dekore oder gar Details der Struktur lassen sich meist nur erahnen. Abhilfe aus diesem Dilemma schaffen allein gute Publikationen. Natürlich können Abbildungen niemals das Original ersetzen, doch haben Fotografie und Drucktechnik heute ein Niveau erreicht, das bis auf das taktile Erlebnis fast nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Ein Beispiel für ein solches Buch, wie man es schöner und besser kaum machen kann, ist die bei Prestel erschienene Publikation der Sammlung indonesischer Textilien von Mary Hunt Kahlenberg. Im großen Format, edel und geschmackvoll gebunden, geschützt durch einen noblen Schuber, verheißt schon der Außenauftritt einen textilen Schatz besonderer Qualität und die Erwartung wird nicht enttäuscht. Mary Hunt Kahlenberg, nach langjähriger Kuratorentätigkeit am Textile Museum und am LA County Museum of Art, heute Mitinhaberin der Tai Gallery in Santa Fe und eine international anerkannte Expertin für klassische und Stammestextilien hat in 30 Jahren eine ganz außergewöhnliche Sammlung aufgebaut. Die 101 vorgestellten Stücke ihrer Sammlung decken – natürlich mit gewissen Schwerpunkten und Vorlieben, auf die noch einzugehen sein wird – einmal den gesamten indonesischen Archipel von Sumatra bis zu den Molukken ab und es sind überwiegend sehr alte und ehrwürdige Textilien aus dem 19. Jahrhundert oder früher, darunter eine ganze Anzahl radiocarbondatierter aus dem 15. Jahrhundert. Die sich hier sofort aufdrängende Frage, wie sich im tropisch-feuchten Klima Indonesiens Textilien über einen Zeitraum von zweihundert oder gar fünfhundert Jahren und länger erhalten konnten, ist mit der besonderen Bedeutung von Textilien in dieser Inselwelt zu beantworten. Noch heute spielen in fast allen indonesischen Gesellschaften und Ethnien Textilien bei religiösen Ritualen und weltlichen Zeremonien, bei Geburt Hochzeit und Begräbnis und bei den Festen im Jahreslauf eine wichtige Rolle, werden mit großer Sorgfalt gewebt und ebenso verwahrt. So besteht die Sammlung fast ausschließlich aus Zeremonialtextilien, die selten und nur zu besonderen Gelegenheiten gebraucht und als wertvolles Familienerbe von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Auch die vielfältigen Muster finden ihre Deutung aus dem zeremoniellen Zweck dieser Textilien. So sehr ihre Ästhetik und die Sorgfalt der in ihnen verwirklichten Färbe-, Web- und Dekortechniken den Kunstsinn ansprechen, so wurden sie doch nie als Kunstwerke in unserem westlichen Sinne hergestellt, sondern um die Geister zu beschwören, das Schlechte und Böse zu bannen, die Ahnen zu ehren und die Nähe zu den Göttern zu vermitteln. Ihre Schönheit und Ausstrahlung gewinnen diese Textilien aus dem spirituellen Bedürfnis, Ordnung in die Komplexität und in das Chaos dieser Welt zu bringen. Die immer wieder von der Mutter an die Tochter weitergegebenen Muster, die Kontinuität der verwendeten Symbole und Darstellungen dienen diesem Zweck. Und dennoch waren die Muster aufgrund individueller handwerklicher Fertigkeiten, neuer Ideen und fremder Einflüsse über die Jahrhunderte immer einer Wandlung und Entwicklung unterworfen, die zuverlässige Aussagen über ihren Ursprung und Bedeutung schwer oder gar unmöglich machen. Ihrer Schönheit, Faszination und Sammelwürdigkeit kann das indessen nichts anhaben. In dem einführenden Essay gibt Mary Hunt Kahlenberg eine sehr persönliche, von Erinnerungen und Anekdoten geprägte Erklärung ihres Interesses und ihrer Liebe zu diesem Sammelgebiet. Ganz im Vordergrund stehen hier die durch immer wieder andere Färbe, Web- und Dekortechniken bewirkten nahezu unendlichen Variationen einer an sich begrenzten Farbpalette von indigo, rot, braun und weiß. Die zu jedem einzelnen Stück der Sammlung oft mehrfach, vergrößernd und seitenfüllend fotografierten Details erlauben dem Betrachter nicht nur ein genaues Studium von Struktur und Webtechnik, sondern ermöglichen auch, diesem Argument der Vielfalt mit begrenzten Farbmitteln nachzuspüren. Natürlich hat die besondere Vorliebe der Sammlerin eine individuelle Kollektion entstehen lassen und es ist nicht das Ziel von Sammlung und Publikation, einen kompletten Überblick über indonesische Textilien zu geben. So sind die Lieblingsregionen der Sammlerin, vor allem Lampung im Süden Sumatras – hier sind die so genannten Schiffstücher zu erwähnen -, Toraja im südlichen Sulawesi mit besonders frühen Exemplaren und Java mit seinen kunstvollen Batik-Tüchern besonders repräsentativ und reich vertreten. Und wäre all das, die exquisite Aufmachung, die Qualität der Stücke, die Individualität der Sammlung und die Expertise einer engagierten Kennerin nicht schon mehr als genug für ein gutes Buch so kommen neben einer ausführlichen Einleitung über die Geschichte indonesischer Textilien von Ruth Barnes weitere Essays hinzu. Fast jedem einzelnen der nach der Geographie Indonesiens geordneten Kapitel ist ein Essay führender Experten zugeordnet, die unter Bezugnahme auf Stücke der Sammlung deren Umfeld und ihre Besonderheiten erläutern. Traude Gavin, Roy W. Hamilton, Rens Heringa, Marie-Louise Nabholz-Kartaschoff und Toos van Dijk, allesamt intime Kenner Indonesiens und seiner Textilien runden das Buch zu einem Standardwerk auf höchstem Niveau, das jeden Textilfreund begeistern wird.

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