Kraak Porcelain – The Rise of Global Trade in the late 16th and early 17th Centuries

Autor/en: Luisa Vinhais und Jorge Welsh (Hrsg) mit Beiträgen von Teresa Canepa und Christine van der Pijl-Ketel
Verlag: Jorge Welsh Books
Erschienen: London 2008
Seiten: 332
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 150.–
ISBN: 0-9550992-9-3
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2009

Besprechung:
Es ist das gewaltigste Puzzle dieser Welt. Die Teile, aus denen es zusammenzusetzen ist gehen in die Millionen und Abermillionen und sie sind über den ganzen Erdball verstreut. Sie finden sich beispielsweise an den Sandstränden Kaliforniens oder an der Ostküste Südafrikas, im Roten Meer, an den Küsten der Philippinen, in Malaysia, Madagaskar und auf den Riffs der Marianen. Auch in China, in der Provinz Jiangxi, unter meterdicken Lößschichten hat man Teile entdeckt und geborgen, und der Meeresboden der Straße von Malakka, des südchinesischen Meeres und anderer gefährlicher Schiffspassagen ist geradezu bedeckt von solchen Puzzleteilen. Selbst der Boden alter europäischer Handelsstädte wie Lissabon oder Amsterdam kann mit kleinen Fragmenten zur Lösung der Aufgabe beitragen. Dass ein solches Riesenpuzzle nicht ohne schriftliche Anleitungen auskommt ist verständlich, aber auch diese sind da und dort zu finden, in alten Logbüchern etwa, in Berichten über Auktionen und Schiffsunglücke und in den reichen Archiven der Dutch East India Company. Die Rede ist von den Scherben von Kraak-Porzellan und einem Buch, das den Versuch unternimmt, anhand archäologischer Funde und deren wissenschaftlicher Bewertung die vielen Rätsel um das chinesische Export-Porzellan der späten Ming-Dynastie zu lösen. Jorge Welsh, renommierter Händler für antikes chinesisches Porzellan in London und Lissabon, ist bekannt für seine, jeweils einem ganz speziellen Thema gewidmeten Ausstellungen und die aus diesem Anlass herausgegebenen Kataloge. Thema im Herbst 2008 war eben dieses Kraak-Porzellan. Das Buch zeigt 59 herausragende, typische und ausnehmend schöne Beispiele dieser Exportware, meist auch in mehreren Detailaufnahmen mit genauen Beschreibungen und umfänglichen Literaturhinweisen, das Ergebnis langjähriger, glückhafter und kenntnisreicher Sammeltätigkeit. Doch es ist nun einmal so, dass diese, sich wohl zumeist in europäischen Sammlungen über Jahrhunderte mehr oder weniger makellos erhaltenen Teller, Schalen und Vasen, nichts über ihre Herkunft, über Ort und Zeit ihrer Entstehung und über ihren Weg von China nach dem Westen erzählen. Genau das aber können die Scherben und so ist vor allem der einführende Text des Buches, der archäologischen Entdeckungen der jüngsten Zeit, solchen auf wie unter der Erde, im Wasser und in den verrotteten Bäuchen von vor Jahrhunderten untergegangenen Schiffen, ihre Geheimnisse abringt. Eine einzige Porzellanscherbe aus einem archäologisch dokumentierten oder ermittelbaren Kontext, etwa von der Abfallhalde eines chinesischen Brennofens oder aus einem Schiffswrack, dessen Verlade- und Bestimmungsort aus alten Archiven ebenso bekannt ist wie die Zeit seines Untergangs aus zeitgenössischen Berichten vermag mehr zu erzählen als die schönsten Stücke aus alten Sammlungen. Berichtet wird von den Grabungen in Jingdezhen, dem berühmten Zentrum der Porzellanherstellung im alten China, wo etwa seit dem Jahre 2001 in rascher Folge die Existenz von nicht weniger als zehn privat betriebenen Brennöfen festgestellt wurde, die neben Ware für den heimischen Markt, in großem Umfang Porzellan für den Export – Kraak-Porzellan – hergestellt haben. Dabei sind, von Ofen zu Ofen, deutliche Qualitätsunterschiede festzustellen. Die besten und schönsten Stücke wurden in dem wohl größten Ofen in Guanyinge, ganz im Norden von Jingdezhen hergestellt. Deren Material wie auch die Malerei halten einem Vergleich mit den aus kaiserlichen Manufakturen stammenden Stücken ohne weiters stand und sind doch Zeugnisse deutlichen eines Stilwandels. In Verbindung mit historischen Fakten entsteht so ein anschauliches Bild. Im letzten Quartal des 16. Jahrhunderts während der Regierungszeit des Ming-Kaisers Wanli (1573-1620) schwinden unter dem militärischem Druck der Japaner und der Manchu die wirtschaftliche Properität und die kaiserliche Macht mit bedeutenden Folgen für die Porzellanherstellung in Jingdezhen. Die vormals unermesslichen kaiserlichen Aufträge für Porzellan gehen stark zurück, Aufstände tun ein übriges, die kaiserlichen Öfen werden Anfang des 17. Jahrhunderts stillgelegt. Gleichzeitig erlebt Europa mit der Renaissance eine der dynamischsten Epochen seiner Geschichte ebenso wie den Beginn eines ausgedehnten Ostasienhandels durch wagemutige portugiesische und später niederländischen Kapitäne und Handelsherren. Arbeitslos gewordene kaiserliche Handwerker wechseln in die privaten Brennöfen und sind plötzlich befreit von den offiziellen Zwängen kaiserlicher Produktion. Die Krise ist der Nährboden für Innovation und Anpassung an den Bedarf der überseeischen Käufer. So entsteht eine Situation, in der erstmals in der Geschichte des chinesischen Porzellans in Jingdezhen nicht für den Kaiserhof bestimmtes blau-weiß-Porzellan in großen Mengen fast ausschließlich für den Export hergestellt wird: Kraak-Porzellan. Unter Tianqi (1621-1627) und Chongzhen (1628-1644), den beiden letzten Kaisern der Ming-Dynastie etablieren sich Herstellung und Export von Kraak-Porzellan auf hohem Niveau, um schließlich in den Wirren der Dämmerung der Ming-Dynastie – und mit ihnen der ganze China-Handel – zu versiegen. Die Geschichte des damals weltweiten Handels mit Kraak-Porzellan erzählen andere Scherben, nämlich die aus Schiffen geborgenen und an Stränden gefundenen. Sie zeigen, dass der Bedarf und die Nachfrage nach dieser teuren und zerbrechlichen Luxusware von Südostasien bis Mexico, von Japan über den Orient und Afrika bis nach Europa reichte und dass sich mutige und abenteuerlustige Unternehmer und Kapitäne auf den Weg machten, diese Nachfrage zu befriedigen. Der Schwerpunkt der Schiffsladungen verlagerte sich von Gewürzen mehr und mehr auf Porzellan. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn Porzellan ist schwer und die Überladung dieser Porzellanfrachter war die Ursache für so manchen Untergang und für die tausende von blau-weiß gemusterten Scherben, die noch heute von den Wellen der Ozeane an viele Strände gespült werden. Und nicht nur das: Kommerzielle und wissenschaftliche Unterwasserarchäologie haben in den vergangenen Jahrzehnten dutzende untergegangener Schiffe geortet und die Frachten geborgen, das Porzellan oft in Scherben, zum Teil aber auch mit tausenden von intakten Stücken. Es ist ein weiterer großer Verdienst von Jorge Welsh und seinen Autorinnen, aus den verstreuten Berichten über diese Schiffswracks eine Chronologie dieser Unglücksfälle und eine Typologie ihrer Frachten erarbeitet zu haben. Dass dabei nicht nur über die spektakulären Entdeckungen wie etwa Hatcher I mit 25.000 Stück intakten Porzellans berichtet wird, sondern auch über kaum bekannte und dass zugleich manch ungewöhnliche Geschichte oder Anekdote ihrer Auffindung erzählt wird, macht die Lektüre lebendig und spannend. Das Resümee dieser bewundernswerten Forschungsarbeit ist der Versuch der Darstellung der stilistischen Entwicklung von Kraak-Porzellan. Hier sind es dann weniger die Scherben, sondern die intakten Stücke, die als Beleg dienen und deren meist gekonnt, spontan und mit lockerer Hand aufgetragene Malerei die chronologische Entwicklung illustriert. Diese und das große naturalistische Repertoire der Maler, von glückverheißenden Symbolen über eine reiche Flora und Fauna bis zu lebendigen erzählenden Szenen machen die bis heute andauernde Nachfrage nach Kraak-Porzellan verständlich. Und wenn Sie nun zuguterletzt noch wissen wollen, woher der Name kommt soll von den mehreren Antworten hier die abenteuerlichste wiedergegeben werden: Am Anfang des 17. Jahrhundert wurden von niederländischen Händlern im Südatlantik und in der Strasse von Malakka zwei portugiesische Handelsschiffe mit Porzellanfrachten, die „Sao Tiago“ und die „Santa Catarina“ gekapert. Den Schiffstyp nannte man auf portugiesisch „caracca“ und die Niederländer sagten „Kraken“. Der Raub wurde in Holland verauktioniert und soll als „Kraak“ bezeichnet worden sein. „Kraak Porcelain“ ist ein großartiges Werk über ein bedeutende Gruppe frühen chinesischen Export Porzellans.

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