Tempelschätze des Heiligen Bergs Daigo-Ji – Der Geheime Buddhismus in Japan

Autor/en: Josef Kreiner, Tomoe Steineck
Verlag: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland – Prestel Verlag
Erschienen: Bonn und München 2008
Seiten: 352
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag (Verlagsausgabe)
Preis: € 59.– (Verlagsausgabe)
ISBN: 978-3-7913-3832-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2008

Besprechung:
Die genaue Zahl der im Schatzhaus des Tempelkomplexes Daigo-Ji auf dem heiligen Berg Kasatori südöstlich von Kyoto verwahrten Objekte kennt niemand, denn die Bestände sind bis heute noch nicht vollständig erschlossen. Kenner schätzen diesen Tempelschatz aus Urkunden, Büchern, Kalligraphien, Kult- und Ritualgegenständen, Textilien, Zeichnungen, Malereien und Skulpturen auf über 150.000. Knapp 200 davon, darunter 16 registrierte „Nationalschätze“ und 94 „Wichtige Kulturgüter“, haben die Reise nach Bonn angetreten und sind bis zum 24. August in der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD zu bewundern. Angesichts der strengen japanischen Ausstellungsbeschränkungen für wichtiges Kulturgut und des Umstandes, dass diese buddhistischen Kunstwerke noch heute dem rituellen Zweck dienen, für den sie geschaffen wurden, kommt die Ausstellung einer Sensation gleich. Noch nie zuvor haben so viele Exponate höchsten Rangs für eine Ausstellung im fernen Europa Japan verlassen. Doch wie stets bei Ausstellungen buddhistischer Bildwerke im Westen wird wohl in erster Linie ihre künstlerische Gestaltung gewürdigt werden, ihre ästhetische und kunsthistorische Bedeutung als vollendetes Zeugnis des Schaffens großer Künstler, losgelöst von ihrer eigentlichen Funktion und ihrer sakralen und kultischen Bindung. Weil das so ist, kommt dem die Ausstellung begleitenden Katalogbuch eine besondere Bedeutung zu. In 8 Essays wird hier der Leser in den japanischen Buddhismus von seinen Anfängen bis heute und in seine neben dem Zen-Buddhismus wichtigste Ausprägung, die ebenfalls aus dem Mahayana-Buddhismus abgeleitete Shingon-Schule des Geheimen Buddhismus eingeführt. Der Gründervater, der Mönch Kukai (774-835) brachte diese Lehre aus China nach Japan und sie blieb dort – und nur dort – bis heute lebendig. Kennzeichnend für diese Richtung des Buddhismus ist die Vorstellung eines großen Sonnen-Buddha als Ursprung, Wesen und Ziel aller Realität, eine Vorstellung, die weit über den historischen Religionsstifter Buddha Shakyamuni hinausgeht. Im Gegensatz zu den klassischen Richtungen Ayurveda oder Hinayana erscheint hier der Buddhismus als eine panentheistische Religion. Das Reich dieses kosmischen Buddhas und seine verschiedenen Aspekte kommen vor allem in den Mandalas des geheimen Buddhismus zum Ausdruck. Besondere Bedeutung im komplexen Lehrsystem des Shingon-Buddhismus haben die Schriften, hat das Wort, ist doch die Bedeutung von Shingon gleich Mantra. Dem Klang bestimmter Worte und Silben wird nach dieser Auffassung das Vermögen zugesprochen, das Wesen der Buddhas und anderer Heilsfiguren in sich zu tragen. Das ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu vermitteln und so formulierte schon Kukai: „Die Schriften des Geheimen Buddhismus sind so tiefgründig, dass sie nur durch den bildlichen Ausdruck vermittelt werden können.“ Der bildliche Ausdruck ist damit Fundament der Vermittlung der höchsten Wahrheit des Geheimen Buddhismus und es ist das erklärte Ziel der Ausstellung und mehr noch das Katalogbuches, über die Darstellung ihrer Kunst zu einem Verständnis dieser Lehre zu gelangen. Es mag diese unmittelbare Funktion der Kunst sein, der Vermittlung der Lehre und damit dem Fortkommen auf dem Weg zur Erleuchtung zu dienen, die in der Heian-Zeit im 9. Jahrhundert zu einem der Höhepunkte in der Geschichte der japanischen Bildhauerei geführt hat. Die ausgeprägte Körperlichkeit und gleichzeitige Eleganz der immer aus Holz gearbeiteten Figuren, ihr üppiger, fein gearbeiteter Schmuck, die volle Haarpracht und der strenge, verinnerlichte Ausdruck vermitteln die starke körperliche wie geistige Präsenz dieser Heilsfiguren, etwa des häufig dargestellten Avalokiteshvara oder, wie er in Japan genannt wird, des Kannon. Nicht weniger eindrucksvoll sind die grimmigen, von Flammenmandorlas umloderten fünf grossen Könige des Wissens aus dem frühen 10. Jahrhundert. Eben diese fünf kraftvollen Gestalten, die den Mönch schützend bei seiner Askese zur Erleuchtung begleiten, den Gläubigen zur Rettung herbeieilen und das Böse abschrecken, sehen wir auch auf fünf Hängerollen aus der Kamakurazeit (1192-1333), ein herausragender japanischer Nationalschatz, Gegenstand höchster Verehrung von Pilgern und Mönchen und bedeutendes Beispiel der frühen japanischen Malerei. Für den Gläubigen sind diese Kunstwerke Mittel der Meditation und die Perfektion von Gestaltung und Ausdruck dient allein dazu, die tiefsten Wahrheiten der Shingon-Lehre zum Ausdruck zu bringen, die durch die Bedeutung von Worten und Sätzen allein nicht vermittelt werden können. Begleitet werden diese frühen Figuren und Bilder von Schriftrollen, etwa einer illuminierten Sutra über „Ursache und Wirkung von Vergangenheit und Gegenwart“ aus der Nara-Zeit (710-794), von Urkunden aus der Geschichte des Tempels, ikonographischen Zeichnungen, den schon erwähnten Mandalas und wichtigen Ritualgegenständen wie Glocke, Vajra und Zepter in kostbarsten Exemplaren. Weitere Tempelschätze sind Stellschirme mit Darstellungen von Göttern oder zauberhaften Landschaften, mit wertvollen Brokaten ausgeschlagene Dokumentenbehälter, Spiegel, Gebetsketten und Kalligraphien und Mönchsgewänder, sogenannte Kesa. Diese Kesa sind dekorativ aus vielen Seidenstücken zusammengesetzt und verkörpern in luxuriöser Ausführung das mönchische Lumpengewand, das als Ideal aus alten Seidenresten besteht, die „von Ratten angeknabbert, vom Feuer versengt oder von Toten übrig geblieben sind“. Bis heute werden den Tempel- und Klostergebäuden des Daigoi-Ji Kunstwerke geschenkt und mehren den Schatz wie etwa die bemalten Schiebetüren der zeitgenössischen japanischen Malerin Hamada Taisuke mit der Darstellung der fünfstöckigen, im Jahre 952 geweihten Pagode, dem ältesten Bauwerk des Daigo-Ji, inmitten von üppig blühenden Kirschbäumen. Das jährlich gefeierte große Kirschblütenfest geht auf das späte 16. Jahrhundert zurück als mit der Wiedererrichtung des nach einer Brandkatastrophe zerstörten Tempelkomplexes tausende von Kirschbäumen gepflanzt wurden. Großformatige Fotos von diesem Fest, der Kischblüte, den üppigen Gärten und den harmonischen Tempelbauten zeigen die Schönheit und Lebendigkeit des Heiligen Berges Daigo-Ji und sind Verführung nicht nur zum Besuch der Ausstellung sondern des Daigo-Ji selbst.

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