Dragons of Silk, Flowers of Gold – A Group of Liao-Dynasty Textiles at the Abegg-Stiftung

Autor/en: Regula Schorta (Hrsg)
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Riggisberg bei Bern 2007
Seiten: 312
Ausgabe: Softbound mit Schutzumschlag
Preis: CHF 85.–
ISBN: 978-3-905014-31-0
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2007

Besprechung:
Für mehr als zweihundert Jahre nach dem Untergang der Tang-Dynastie (618-907 n.Chr.) waren die Machtverhältnisse in China reichlich unübersichtlich und zersplittert. Fünf nördliche Dynastien, zehn Königreiche und einige periphere, meist nomadische Gruppen teilten sich zunächst in das riesige Reich. In der traditionellen chinesischen Geschichtsschreibung – und nichts anderes gilt im Westen – wird diese chaotische Zeit in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts mehr oder weniger übersehen. Vielmehr galt und gilt die Dynastie der Nördlichen Song (960-1127) als der legitime Erbe und Herrscher Chinas. Und in der Tat ist die Zeit der Song-Dynastie eine der brillantesten Perioden der chinesischen Kunst- und Kulturgeschichte. Malerei und Literatur erreichten höchstes Niveau, die Kunst der Porzellanherstellung beschritt neue Wege der Ästhetik, und Wissenschaft und Philosophie blühten wie nie zuvor. Das parallel zu den Song im Norden Chinas entstandene riesige Reich der nomadischen Qidan oder Khitan wurde demgegenüber kaum beachtet. Die Qidan oder, wie sie sich später nannten, Liao, wurden als fremde Eindringlinge angesehen und ihre Verbindung mit China und vor allem ihr Beitrag zur chinesischen Kultur schien gering. Doch spektakuläre archäologische Funde der letzten zwei Jahrzehnte auf dem Territorium der Liao – das ist die innere Mongolei aber auch die klassischen chinesischen Provinzen Shanxi, Hebei und Liaoning – zwingen zu einer Neubewertung des Beitrags der Liao-Dynastie zur chinesischen Kultur. Durch die Verschmelzung ihrer nomadischen Traditionen mit den Einflüssen aus China schufen die Liao eine faszinierende und auf hohem Niveau stehende, materielle Kultur. Filigrane Gold- und Silberobjekte zeugen von ihrer herausragenden Handwerkskunst, Bernstein von der Ostseeküste und arabisches Glas belegen ihre erstaunlich weit reichenden Handelsverbindungen, buddhistische Figuren sind Ausdruck ihrer tiefen Frömmigkeit und reich verziertes Pferdegeschirr spiegelt ihr nomadisches Erbe. Es war also tatsächlich die Liao- und nicht die Song-Dynastie, die die bedeutende materielle und kosmopolitische Kultur der Tang-Dynastie übernahm und den so fruchtbaren Austausch Chinas mit Nord- und vor allem Zentralasien fortführte. Die schon zu Zeiten der Tang perfekte Technik der Jadebearbeitung, vor allem aber die textile Kunst erreichte in der Liao-Dynastie neue Höhepunkte. Eine Ausstellung in der Abegg-Stiftung und der dazu erschienene wissenschaftliche Katalog führen das vor Augen. Die mehr und mehr sich dem frühen textilen Schaffen des fernen Ostens zuwendende Abegg-Stiftung konnte im Jahre 2003 eine Gruppe von 17 Liao-Textilien – Roben, Kleider, Untergewänder und Accessoires – erwerben, die in ihrer nahezu perfekten Erhaltung, in der Vielfalt ihrer Web- und Sticktechniken und in ihrer Schönheit und Ästhetik weltweit einzigartig sind. Sie stammen wohl aus dem Grab einer adeligen Dame und gewähren einen unerwarteten Blick in eine Welt des Luxus und der Schönheit. Gewebte Seidenstoffe mit lebhaften Mustern aus Blumen, Drachen, Löwen und mythischen Tieren, oft zu lockeren Medaillons gefügt, oder mit präzisen Stickereien aus vielfarbig schattierter Seide mit markanten Konturen aus vergoldeten Papierstreifchen zeigen eine vornehme Eleganz und ausgereifte Ästhetik, die fast sprachlos macht. Diese Einzigartigkeit dieser Gruppe etwa eintausend Jahre alter Textilien – selbstverständlich durch Radiokarbon-Datierun bestätigt – macht verständlich, dass die Abegg-Stiftung diesen Schatz trotz des Fehlens jeglicher Hinweise auf eine Provenienz oder auf eine bestimmte archäologische Fundsituation erwarb. Gerade diese fehlenden Informationen dürften allerdings der Grund dafür sein, dass dieser Schatzfund überhaupt auf den Markt kam. Zu diesem etwas heiklen Thema ist in dem Katalog – verständlicherweise – nichts zu lesen, wohl aber finden sich Mutmaßungen über den möglichen Grund der ungewöhnlich guten Erhaltung. Textilien aus Gräbern weisen regelmäßig typische, durch den verwesenden Körper der Bestatteten verursachte, häufig gravierende Schäden an Struktur und Farben auf. Nicht so diese Grabfunde der Liao. Nun weiß man aber aus anderen Liao-Funden von einem Brauch unter den Adeligen der Liao-Dynastie, dass die Verstorbenen verbrannt und ihre Asche in die ausgehöhlte Brust lebensgroßer, durch Gelenke vollbeweglicher Holzpuppen mit den individuellen Physiognomien der Verstorbenen verbracht wurde. Diese Puppen wurden bekleidet und in einer Zeremonie begraben, die sich in nichts von der für einen tatsächlichen Leichnam unterschied. Dieser eigentümliche Bestattungsbrauch zeigt eine in dieser Form nur bei den Liao bekannte Synthese buddhistischer Bestattungspraktiken und überkommener chinesischer Grabkultur. Die Kremation des Leichnams folgte dem buddhistischen Brauch der Feuerbestattung, der das diesseitsbezogene Festhalten am Körper brechen sollte. Andererseits wurde dem Verstorbenen durch Wandmalereien, Grabbeigaben und durch den marionettenhaft beweglichen Holzkörper die Möglichkeit geboten, unsterblich weiterzuleben und in himmlische Sphären aufzusteigen. Angesichts der bedauerlicherweise unbekannten archäologischen Fundsituation sind dies allerdings bloße Spekulationen, deren realer Hintergrund wohl rätselhaft bleiben wird. Alles andere wird in dem Katalog mit der von der Abegg-Stiftung gewohnten wissenschaftlichen Akribie untersucht, beschrieben, abgebildet, analysiert und kommentiert. Besonders hervorzuheben ist die kongeniale Zusammenarbeit einer Kunsthistorikerin (Lynette Sue-ling Gremli) und einer Spezialistin für die Technologie und Konservierung historischer Textilien (Anja Bayer), wie sie in den beiden zentralen Beiträgen der Publikation zum Ausdruck kommt. Dem Abbildungsteil mit zahlreichen hinreißenden Detailaufnahmen folgt der eigentliche Katalog, der neben der exakten Beschreibung der Objekte mit seinen Angaben zu Material, Technik, Schnitt und Konstruktion kaum Fragen offen lässt. Dennoch versteht sich dieser Katalog bescheiden nur als ein erster Schritt für die weitere wissenschaftliche Erforschung der Textilien der Liao-Dynastie. Da die Abegg-Stiftung schon seit Anfang der 90er Jahre eine bisher nicht veröffentlichte Gruppe von Liao-Fragmenten besitzt, werden diese weiteren Schritte wohl von dort folgen – auf diese darf man gespannt sein.

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