Kannon – Göttliches Mitgefühl – Frühe buddhistische Kunst aus Japan

Autor/en: Katharina Epprecht
Verlag: Museum Rietberg
Erschienen: Zürich 2007
Seiten: 196
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 34.50 (während der Ausstellung)
ISBN: 978-3-907077-29-0 (englisch: 978-3-907077-30-6)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2007

Besprechung:
Die Fähigkeit der Japaner, fremde Fertigkeiten und Produkte zu kopieren und sich damit quasi anzueignen ist sprichwörtlich. Die Öffnung Japans in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat nicht nur westliche Weltausstellungen ungemein bereichert und den florierenden Orientalismus um den Japonismus erweitert – ohne den der Jugendstil und manch moderne Kunstrichtung kaum denkbar wären -, sondern war auch der Beginn einer auf Nachahmung des westlichen Vorbilds gegründeten Erfolgsstory der japanischen Industrie. Doch auch dies ist schon wieder Vergangenheit und in manchen Branchen ist Japan längst selbst zum Vorbild geworden und muss sich heute mit den Produktpiraten dieser Welt herumschlagen. Diese Fähigkeit des japanischen Volkes zur Aneignung und Transformation fremder Ideen in etwas originär Japanisches auf hohem Niveau kennzeichnen auch die Rezeption des Buddhismus und der vom Buddhismus geprägten Kunst in Japan. Auch das ist eine Erfolgsstory, die nun aber schon anderthalb Jahrtausende zurück liegt. Über Korea gelangten im 6. Jahrhundert die Ideen Buddhas in das von Schintoismus und Schamanismus geprägte Inselreich und sie fanden dort einen fruchtbaren Boden. Neben den Ritualen, der Ahnenverehrung und dem Umgang mit dem Tod und mit Geistern, die schon von der alten Religion her vertraut waren, faszinierte die Idee eines grenzen- und bedingungslosen Mitgefühls und des Gottes beziehungsweise des Bodhisattvas, der dieses Mitgefühl verkörperte und der dank seiner vielen Erscheinungsformen für jeden Leidenden präsent und ansprechbar war. Ähnlich wie in Indien und in Tibet der Bodhisattva Avalokiteshvara und in China die Figur des Guanyin wurde in Japan der Bosatsu Kannon rasch zur beliebtesten buddhistischen Gottheit, zum Objekt von Kult und Verehrung und natürlich auch zum Gegenstand künstlerischer Darstellung. Denn Kunst in Form der Wiedergabe spiritueller Schönheit spielte seit jeher eine wichtige Rolle im japanischen Buddhismus. Diesem Kannon-Kult ist der Katalog der Ausstellung in dem im Februar eröffneten, grandiosen unterirdischen Erweiterungsbaus des Züricher Rietberg Museums gewidmet. Zu sehen sind 37 Kannon-Bildnisse, Malereien und Skulpturen, in ihrer Heimat als wichtiges Kulturgut oder sogar als Nationalschatz geschätzt, noch heute dort als Kultbildnisse angebetet und zum großen Teil noch nie außerhalb Japans gezeigt. Neben frühen Bronzen, einigen Schriftrollen und bedeutenden Malereien beeindrucken vor allem die Skulpturen aus Holz aus der Zeit vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. Dass sie überhaupt, und das in perfektem Zustand erhalten blieben zeigt, mit welcher Inbrunst und Ehrfurcht das japanische Volk diese fremde Religion annahm und in den Ablauf des täglichen Lebens einbezog. Die auch jetzt noch immer stark frequentierten Pilgerfahrten zu den 33 Kannon-Tempeln auf den japanischen Inseln machen deutlich, dass sich an der Verehrung Kannons bis heute kaum etwas geändert hat. Die physische und spirituelle Heimat dieser Bildwerke ist die alte japanische Hauptstadt Nara. Im 7. und 8. Jahrhundert war Nara eine internationale Metropole, deren Bevölkerung die jeder zeitgenössischen europäischen Stadt bei weitem überstieg. Nara, seine Klöster und Schreine, vor allem aber das Nationalmuseum in Nara, aus dem die meisten der ausgestellten Objekte stammen, sind daher heute die wichtigsten Stätten der frühbuddhistischen Kunst in Japan, was allerdings keineswegs bedeutet, dass alle in Zürich und im Katalog gezeigten Bildwerke in ihrer Heimat auch immer besichtigt werden können. Kannon zählt oft zu den „geheimen Buddhas“, die nur ein oder zweimal jährlich oder auch nur in Zyklen von 7, 33 oder 60 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dieses Phänomen des Verbergens ist ein charakteristisches Merkmal der buddhistischen Kunst Japans. Es ist die Aufforderung an den die Erlösung Suchenden, sich auf den durch das Kunstwerk symbolisch hingewiesenen spirituellen Gehalt zu konzentrieren und sich nicht durch dessen Schönheit ablenken zu lassen. In letzter Konsequenz hiesse das, gänzlich auf das Kunstwerk als Medium zur Sichtbarmachung von etwas Unsichtbarem, das mit den Mitteln der Kunst ohnehin nicht darstellbar ist, zu verzichten. Ein Beispiel dafür ist die Figur eines Juichimen Kannon in der Nigatsudo des Todaiji in Nara, die seit ihrer Entstehung im 8. Jahrhundert in diesem Schrein aufbewahrt wird und die seit jener Zeit noch nie jemand zu Gesicht bekam. Sie ist auch nicht in Zürich. Die nach Zürich kamen sind zwar tief unter der Erde, doch keineswegs verborgen, sondern prachtvoll präsentiert in den neuen Ausstellungsräumen. Doch mit dem Bild des „geheimen Buddha“ soll das Außergewöhnliche dieser bedeutenden Ausstellung betont werden, die aus den genannten und konservatorischen Gründen nur kurz (bis zum 7. April 2007) und in dieser herausragenden Qualität und Zusammenstellung wohl kaum jemals wieder in Europa zu sehen sein wird. Und so ist auch der Katalog mit seinen Essays, unter anderem über die verschiedenen Erscheinungsformen des Kannon Bosatsu in Japan, über die spirituelle Bedeutung Avalokiteshvaras, über die Bedeutung der Barmherzigkeit in der christlichen und buddhistischen Tradition und schließlich über die Methoden der Holzbearbeitung der buddhistischen Plastik in Japan ein wichtiges und schönes Standardwerk über die frühbuddhistische Kunst Japans.

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