The Elephant and the Lotus – Vietnamese Ceramics in the Museum of Fine Arts, Boston

Autor/en: Philippe Truong
Verlag: MFA Publications
Erschienen: Boston 2007
Seiten: 262
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 85.– US-$
ISBN: 978-0-87846-717-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2008

Besprechung:
Nur sehr langsam, rückt Vietnam als interessantes Fernreiseziel in den Blickpunkt des internationalen Tourismus. Zu gegenwärtig ist die leidvolle Geschichte dieses Landes, die fast das ganze 20 Jahrhundert durch ideologische und militärische Auseinandersetzungen geprägt war. Die Niederlage Frankreichs als Kolonialmacht in Dien Bien Phu im Jahre 1954 und der über 10 Jahre grausam und verlustreich von Amerika gegen den Kommunismus geführte Vietnamkrieg sind unvergessen und auch die Wiedervereinigung Nord- und Südvietnams unter kommunistischer Herrschaft im Jahre 1976 brachte dem Land keinen wirklichen Frieden. Erst die Hinwendung zu einer gemäßigt sozialistischen Marktwirtschaft, die Aufhebung von Wirtschaftsembargen und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu westlichen Staaten brachten Vietnam als ein Land mit einer Jahrtausende alten Geschichte und einer reichen kulturellen Vergangenheit zurück in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Nicht nur die bronzezeitliche (7. bis 1. Jh.v.Chr.) Dong Son Kultur, deren bedeutendste Objekte wunderbar verzierte, große Bronzetrommeln sind, sondern die Lage dieses im Schnittpunkt ost- und südostasiatischer Kulturen gelegenen, dem südchinesischen Meer zugewandten Landes, seine dadurch bedingte religiöse und ethnische Vielfalt und die trotz dieser vielfachen Einflüsse bis heute bewahrte nationale Identität faszinieren den Besucher, den Historiker und den an Kunst und Kultur Interessierten. Das Klima dieses durch Wasserreichtum und Regenwald, Monsun und Taifunen geprägten Landes hat vielen Zeugen der Vergangenheit das Überleben schwer gemacht und so sind Malerei, die überwiegend durch Holz geprägte Architektur und die gewiss reiche textile Kultur kaum überliefert. Besser bestellt ist es mit Relikten aus unvergänglichen Material, mit Skulpturen, vor allem aber mit Erzeugnissen aus Keramik. Die nationalen Museen in Ho Chi Minh City, in Hanoi und Hue bewahren zahlreiche Objekte aus Keramik, Steingut und Porzellan und auch in zahlreichen westlichen Museen kann man – in der Regel im Zusammenhang mit entsprechenden Objekten aus China – vietnamesische Keramik sehen. Die wohl mit Abstand bedeutendste Sammlung vietnamesischer Keramik im Westen besitzt das Bostoner Museum of Fine Art, das mit dem vorliegenden Buch nun über 200 keramische Objekte von der Zeit der Dong Son Kultur bis zur Dynastie der Nguyen im 19. Jahrhundert vorstellt. Es ist das erklärte Anliegen des Autors, die Eigenständigkeit der keramischen Produktion Vietnams zu zeigen, die Fähigkeit der einheimischen Künstler, Anregungen aus benachbarten Kulturen, vor allem natürlich aus dem mächtigen China im Norden, aufzunehmen und zu eigenem Gestalten umzuformen und so Objekte nationaler Identität zu schaffen. Die Blütezeit der keramischen Produktion Vietnams und damit auch der Schwerpunkt der in dem Buch vorgestellten Objekte ebenso wie des begleitenden Textes liegt in der Zeit vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Diese Blütezeit begann mit der Verwendung des von China übernommenen Kobaltblau. Es gelangte in blau-weiß und später auch polychrom dekorierten Vasen, Krügen, Tellern, Dosen und Schalen zu prachtvoller Entfaltung und ist sichtbarer Ausdruck der machtvollen nationalen Dynastien der Ly (1009-1225), der Tran (1225-1400), der Le (1428.1527)und der Mac (1527-1592), die sich nach dem Ende der tausendjährigen chinesischen Herrschaft entfalten konnten. Und etwas anderes kam noch hinzu: Die eingefahrenen Wege chinesischer Keramik, das chinesische Staatsmonopol, vor allem aber das Produktionsvakuum in den politischen Wirren zwischen der Ming- und der Qin-Dynastie, ließen vietnamesische Keramik zu einer international begehrten Handelsware werden. Vietnamesische Keramiker arbeiteten in jener Zeit nicht nur für den nationalen Hof, die politischen Eliten und die großen Klöster, sondern auch für den Export in alle Welt. Die Präsenz prachtvoller und qualitativ herausragender vietnamesischer Keramik in der Sammlung des Topkapi Museum in Istanbul ist hierfür ein Beweis. Erst Ende des 16. Jahrhunderts gelang es den Chinesen, den internationalen Markt zurückzuerobern, nicht zuletzt auch durch die Übernahme vietnamesischer Vorbilder. Vietnamesische Künstler nämlich hatten trotz des unbezweifelbaren und starken Einflusses des nahen China stets eigene Techniken, eigene Formen und eigene Dekore entwickelt. Voraussetzungen für diese Eigenständigkeit waren die eigene, alte keramische Tradition, die hervorragenden lokalen Bedingungen wie Wasser für den Transport, Holz für die Öfen und gute Tonerden, spezifisch vietnamesische, aus der Umwelt entnommene Themen und Werte und ein ausgeprägter vietnamesischer Nationalismus, der stets bestrebt war, sich von dem großen Nachbarn im Norden abzusetzen. Die Entwicklung eigener Glasuren, vor allem aber die Verwendung von Motiven aus der vietnamesischen Natur und Glaubenswelt prägten diese Keramik. Im Dekor und auch in der Form finden wir Elefant und Papagei, Schildkröte und Delphin, magische Monster, kopulierende Vögel und realistische Fischdarstellungen, eine Lebendigkeit und Naturnähe, wie sie der chinesischen Keramik fremd sind. Wo der Chinese den Phönix darstellt, bevorzugt der Vietnamese den frechen Spatz und es ist die Spontaneität und Naturnähe, das Fehlen der glatten Perfektion, das die Besonderheit, die Attraktivität und den künstlerischen Wert vietnamesischer Keramik ausmacht. Philippe Truong, die internationale Autorität auf diesem Fachgebiet, versteht es, die Eigenständigkeit, die Schönheit und den Reiz vietnamesischer Keramik aus der Geschichte und kulturellen Entwicklung des Landes und seiner Bewohner heraus zu entwickeln und dem Leser nahe zu bringen.

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