Young-Jae Lee – 1111 Schalen

Autor/en: Reinhold Baumstark (Hrsg)
Verlag: Pinakothek der Moderne – Hatje Cantz Verlag
Erschienen: München und Ostfildern 2006
Seiten: 272
Ausgabe: Illustrierte Klappenbroschur
Preis: € 39.90
ISBN: 978-3-7757-1852-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2006

Besprechung:
„Die tägliche Schale Reis“ wurde zum geflügelten Wort für die Bedürfnislosigkeit und Bescheidenheit der Menschen in Ostasien. Dieses geflügelte Wort weist aber auch auf die zentrale Bedeutung der Schale als Speisegeschirr und Behältnis in Ostasien hin. Schalen, sei es für den täglichen Reis oder für die Suppe, sind der wesentliche Bestandteil im Repertoire jedes ostasiatischen Keramikers. Als die alltäglichsten und gewöhnlichsten Gefäße zählen diese Reis- und Suppenschalen für jeden Keramik-Meister handwerklich und gestalterisch zu den großen Herausforderungen. Sie sollen nicht nur schön und zweckmäßig sondern auch so sorgfältig und robust gearbeitet sein, dass sie selbst bei mehrmaliger täglicher Verwendung jahrzehntelang halten. Die Herstellung von Schalen hat daher in China, Japan und Korea eine Tradition, die hunderte, ja sogar tausende von Jahren in die Vergangenheit zurückreicht. Wie stark eine solche Tradition sein kann, zeigt sich im Werk der koreanischen Keramikerin Young-Jae Lee. Sie kam im Alter von 22 Jahren nach Deutschland, vollendete hier ihre keramische Ausbildung, hatte lange Jahre ihre eigene Werkstatt bei Heidelberg und leitet seit 1987 bis heute die den Ideen des Bauhauses nahe stehende Keramische Werkstatt Margaretenhöhe in der Essener Zeche Zollverein. Der Katalog einer Installation in der Münchner Pinakothek der Moderne (bis zum 28. Januar 2007) ist so etwas wie ein Werkverzeichnis von Young-Jae Lee, zeigt er doch neben einer Auswahl verschiedener Vasen vor allem Schalen, eine repräsentative Auswahl der 1111 Schalen, die im zweiten Geschoß der Rotunde der Pinakothek, locker auf dem Boden verteilt, ein ästhetisches Erlebnis der besonderen Art formen. Es ist hier nicht der Ort, das Außergewöhnliche und Faszinierende dieser ungewöhnlichen Installation, die man einfach gesehen haben muss, zu beschreiben – die Fotografien der Installation im Katalog vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Spannung aber auch dem ästhetischen Gleichklang zwischen der monumentalen Schlichtheit der Architektur und der unendlichen Vielfalt von Schalen und von dem Dialog zwischen der Raumform der Rotunde und der Variation immer wieder neuer runder Schalenformen im Raum – sondern es geht hier allein um die Schalen von Young-Jae Lee. In Korea war der Töpfer nie ein Künstler etwa im Sinne eines Malers, Dichters oder Kalligraphen. Der Töpfer war Handwerker, der sich der Tradition unterzuordnen und in seiner Werkstatt überlieferte Formen zu fertigen hatte. Eine eigene künstlerische Gestaltung wurde von ihm nicht erwartet und nicht verlangt. Das hat sich im 20. Jahrhundert geändert. Auch in Ostasien hat sich ein Trend zur Objektkeramik entwickelt. Young-Jae Lee hat sich bewusst für den handwerklichen Weg entschieden; sie sieht sich nicht als Künstlerin, sondern als Keramikerin. Ihre mit höchster handwerklicher Fertigkeit geformten und glasierten Schalen machen bewusst, dass sich hier die Frage nach Kunst oder Kunsthandwerk nicht stellt. Die immer wieder neue Variation der elementaren Struktur der gefußten Schale, häufig zu einer Kelchform, manche tulpenförmig, andere bauchig oder eher zylindrisch; dann aber wieder weit nach oben sich öffnend auf breitem Fuß oder grazil auf schmalem Standring, schimmernd in Farbnuancen von Beinahe-Weiß bis Rosé, in Beige und Ocker, oder in zarten Grünschattierungen von Jade bis Seladon, manchmal ins Blaue oder Milchige, dann wieder ins Gelbliche changierend, ist Kunsthandwerk auf höchstem Niveau und gleichzeitig Kunst von höchster formaler und ästhetischer Qualität. Die den Katalog begleitenden Essays aus der Feder von Freunden und Wegbegleitern Young-Jae Lees befassen sich mit der Idee und Realisierung dieser ungewöhnlichen Ausstellung, mit der Schale als ein kunsthistorisch minimalistisches und doch unglaublich reiches Objekt, mit dem konsequenten Werdegang der Künstlerin und ihren kulturellen und spirituellen Wurzeln in Korea. Willibald Veit bringt die Aussage dieses wunderbaren Buches auf den Punkt: „Die Arbeiten können die Herkunft ihrer Schöpferin nicht verheimlichen – Schönheit und Funktion sind in der ostasiatischen Keramik seit den Ursprüngen aufs Engste miteinander verknüpft. Die innige Verbindung der Künstlerin mit dem Ton, das Verstehen und Erfühlen und das im wahrsten Sinne der Wortes Ertasten seiner spezifischen Qualität, das Verständnis für das Feuer, das Wissen um die Glasuren und deren Veränderungen sowie die Bereitschaft und Beharrlichkeit und Ausdauer lassen die Kunstwerke den Geist ihrer Schöpferin atmen. Young-Jae Lees Arbeiten sind aus ihrem Herzen geboren, deshalb sind sie ehrlich, überzeugend, aber auch so persönlich. Sie ist eine Künstlerin im westlichen und eine Töpferin im besten ostasiatischen Sinne.“

Print Friendly, PDF & Email