Chinese Houses – The Architectural Heritage of a Nation

Autor/en: Ronald G. Knapp
Verlag: Tuttle Publishing
Erschienen: North Clarendon, Vermont/USA 2005
Seiten: 288
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 60.–
ISBN: 978-0-8048-3537-3
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2008

Besprechung:
Vom Lappenzelt in der finnischen Tundra bis zu den Trulli apulischer Bauern, von der sturmumtosten Bruchsteinhütte eines nordirischen Fischers zur Blockhütte slowakischer Jäger, nicht zu vergessen etwa das Schwarzwaldhaus, das unter seinem riesigen Dach einen ganzen Kosmos bäuerlicher Verrichtungen birgt, den Renaissancepalast eines italienischen Stadtfürsten und das gotische Backsteinkontor eines Handelsherrn der Hanse – wurde je versucht, der Vielfalt europäischer Hausformen in einem Buch gerecht zu werden? Ein wohl aussichtsloses Unterfangen, nicht allein durch die kaum überschaubare Buntheit lokaler Besonderheiten und Architekturstile, sondern auch durch das reiche, vielfach dokumentierte Wissen um die Geschichte und Tradition des Wohnens europäischer Völker und Nationen von der Antike bis heute. Und wie ist das mit China, mit einem Lebensraum doppelt so groß wie Europa, in dem nicht nur weit mehr als eine Milliarde Menschen leben, sondern 56 verschiedene Nationalitäten mindestens 80 unterschiedliche Sprachen sprechen? Die Häuser in denen diese Menschen leben, sind wohl mindestens so verschiedenartig wie im multinationalen Europa, doch ist über ihre Geschichte, Vielfalt und Besonderheiten kaum etwas bekannt. Das chinesische Haus ist bis heute schlicht unerforscht. Mit seinem Buch zum Thema schließt Ronald G. Knapp daher eine Lücke oder – besser gesagt – beginnt, mit ersten Mosaiksteinen ein Bild zu formen. Um Chinas reichem architektonischem Erbe gerecht zu werden, schreibt der Autor, der sich seit 40 Jahren mit diesem Thema befasst, müsste das Buch allerdings den vielfachen Umfang haben. Immerhin, ein Anfang ist gemacht und wir werfen einen Blick nicht nur auf eine überraschende Vielfalt traditioneller Wohnformen, sondern erhalten zugleich einen Einblick in das Leben in China und in die soziale Struktur der chinesischen Familie. Die ersten Teile dieses Mosaiks, das sind hier 20 detailliert beschriebene, reich illustrierte und mit Plänen und Schnittzeichnungen versehenen Beispiele historischer Wohnstätten aus 8 verschiedenen chinesischen Provinzen. Das Spektrum reicht dabei vom einfachen Bauernhaus bis zum Landhauskomplex eines Millionärs, vom siheynan, dem traditionellen Pekinger Hofhaus bis zur mehrstöckigen Stadtresidenz eines reichen Handelsherrn aus den Zeiten der Ming-Dynastie. Dabei sind es oft geologische und landschaftliche Besonderheiten, die die Hausformen und die Architektur prägen. So bilden etwa die Dutzende von Meter messenden Lößschichten, die der Gelbe Fluss im Laufe von Jahrmillionen in der Provinzen Henan, Shanxi und Shaanxi angehäuft hat, ein ideales Medium für unterirdische Häuser. Schätzungsweise mehr als 40 Millionen Chinesen leben noch heute in diesen „Häusern“, wo sich um einen viele Meter tief in den Löß gegrabenen Hofraum die höhlenartigen Wohn-, Küchen-, Schlaf- und Vorratsräume gruppieren. Ein anderer Fluss, der Yangtse, hat, bevor er bei Shanghai ins Gelbe Meer mündet, eine Wasserlandschaft mit ungezählten Seen, Kanälen und Flussarmen gebildet, und hier ist es das Wasser, sind es Boote, Wasserstrassen und Brücken, die den Charakter der kleinen Städte und ihrer Häuser bestimmen. Spektakulär und einzigartig sind die tulou, riesige, festungsartige Rundhäuser im bergigen Süden der Provinz Fujian, noch vor Jahrzehnten kaum bekannt und heute als die ungewöhnlichsten Architekturdenkmäler Chinas viel besucht und bewundert. Knapp vermutet, dass sich im unzugänglichen Bergland Fujians noch dutzende dieser Bauten, die jeweils ganze Familienclans unter ihrem runden Dach beherbergen, entdecken lassen. So unterschiedlich all diese chinesischen Häuser auch sein mögen, eines haben sie fast alle gemeinsam: Freie, nicht überdachte Plätze, Höfe in endlosen Variationen als ein fundamentales Gestaltungsprinzip für Leben, Arbeit und Erholung. Solche offenen Bereiche waren das obligatorische Element des chinesischen Hauses, ob im Norden oder im Süden, und es ist interessant, zu erfahren, dass Höfe bei Häusern im Süden des Landes tendenziell kleiner sind als im Norden, um damit unter südlicher Sonne relativ mehr schattige Bereiche zu schaffen. Auffällig ist schließlich bei fast allen Beispielen die sich aus Proportion, Maßstab und Lage ergebende stets harmonische Einbindung in die Umgebung, sei es auf dem Land oder in der dicht bebauten Stadt. Das ist die Beachtung von fengshui, jener in China seit jeher hoch geschätzten und bei allen Bauvorhaben beachteten Wissenschaft oder Kunst, den richtigen Platz für das Haus zu finden, um im Einklang mit vorgefundenen Kräften das Schicksal der Familie für Gegenwart und Zukunft zu prägen. Dieser Geomantie, aber auch den üblichen traditionellen Baustoffen, vom Stampflehm bis zu luftgetrockneten Ziegeln und Bambus, der modulartigen Grundkonstruktion, die die flexible Anpassung an wechselnde Bedürfnisse und Verhältnisse der Familie ermöglicht, der Bedeutung von Dach, Dachformen und Dachschmuck – für den Chinesen hat das Dach etwa die gleiche Bedeutung wie die Hausfassade für den westlichen Menschen – und der in der Raumeinteilung des Hauses zum Ausdruck kommenden hierarchischen Familienstruktur und den sozialen Differenzierungen innerhalb der Familie, befassen sich die beiden ausführlichen einleitenden Essays, bevor der Reigen der Beispiele beginnt. Die Texte zu diesen so unterschiedlichen Häusern machen deutlich, dass „Denkmalschutz“, dass die Bewahrung oder gar Rekonstruktion von Baudenkmälern erst seit kurzer Zeit ernst genommen wird und dass die jüngere Vergangenheit Chinas, die Kulturrevolution, aber auch der ungebremste wirtschaftliche Aufschwung unendlich viel kulturelle Substanz zerstört haben. So verwundert es auch nicht, dass der Autor für Beispiele kaum noch existierender traditioneller Bauernhäuser in den zentralen chinesischen Provinzen Henan und Sichuan auf die schon früh als nationale Heiligtümer und Pilgerstätten verehrten Geburtshäuser von Deng Xiaoping, Mao Zedong und Lin Shaoqi, einem der Kampfgenossen Maos, zurückgreifen musste. Über die Dokumentation traditioneller Wohnformen in China hinaus wird mit dem Buch damit auch eine gute Portion chinesischer Geschichte vermittelt. Die Auszeichnung als „Buch des Jahres“ durch das US-Magazin ForeWord sagt mehr als alle Worte.

Vom gleichen Autor im gleichen Verlag und in gleicher Ausstattung soeben erschienen: Chinese Bridges – Living Architecture from China´s Past (USD 49.95 ISDN 978-0-8048-3884-9), 20 faszinierende alte Brücken – Meisterwerke in Technik und Design.

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