The World of Netsuke – The Werdelmann Collection at the museum kunst palast Düsseldorf

Autor/en: Patricia Jirka-Schmitz
Verlag: Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2005
Seiten: 352
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 99.80
ISBN: 3-89790-209-5
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2005

Besprechung:
Es ist oft das Fremde, das Unbekannte und das Exotische, das einen unwiderstehlichen Reiz ausübt, das zum Sammeln anregt, zur Übernahme und Aneignung. Im besten Falle führt es zu einem Geben und Nehmen, zu einem Austausch und gegenseitiger Befruchtung geistiger, wirtschaftlicher oder kultureller Art. Ein solcher Austausch hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen Europa und Japan stattgefunden. Das über Jahrhunderte nahezu gänzlich abgeschottete Japan öffnete sich dem Westen und war begierig, möglichst viel von den vermeintlichen Segnungen und Fortschritten des Westens zu übernehmen. Das Pendant hierzu in Europa und den USA war eine aufkommende Japanmode, geschürt durch vielbeachtete Weltausstellungen, die erstmals einen bis dato fast unbekannten Kulturkreis einem breiten Publikum nahe brachten. Ein etwas skurriles Beispiel für diesen Kulturaustausch ist das folgende: In dem Maße, in dem Japan, vor allem die japanische Männerwelt, westliche Kleidung übernahm und damit den traditionellen japanischen Gürtelschmuck der japanischen Männer entbehrlich machte, wurde dieser zum begehrten Objekt amerikanischer und europäischer Sammler. So geschah es, dass das traditionelle Handwerk der Herstellung dieser Inro, kleiner am Gürtel getragener Kästchen für Medizin und andere Kleinigkeiten, und der Netsuke als der mit dem Inro durch eine Kordel verbundenen kleinen Gegengewichte, keineswegs darbte oder gar unterging, sondern ganz im Gegenteil einen Exportboom und eine späte Blütezeit erlebte. Und auch hier hat das Prinzip des Austauschs funktioniert. Es blieb nicht aus, dass sich Sujets und Stil der Netsukes unter westlichem Einfluß und westlicher Nachfrage wandelten. Rein östliche Themen, die Unsterblichen etwa, mythische Tiergestalten oder Figuren aus der chinesischen oder japanischen Geschichte und Literatur traten als Motivgeber für Netsuke in den Hintergrund und machten den überall verständlichen Vorbildern aus Fauna und Flora Platz oder gar rein westliche Motiven wie der Japan eigentlich fremden Fin-de-siècle-Symbolik. Dieser Stilwandel der Netsuke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist, neben vielen anderen, einer der Aspekte, der sich in der prachtvolle Publikation der Sammlung Werdelmann verfolgen und studieren lässt. Mit fast 1.100 Netsuke, darunter auch eine Anzahl Inro und einiges, ebenfalls von Japanern am Gürtel getragenes Rauchzubehör ist die Sammlung Werdelmann eine der größten und bedeutendsten der Welt. Dieser Sammler Bruno Wilhelm Werdelmann ist nun nicht nur ein fundierter Kenner und Liebhaber asiatischer Kunst und Kultur – den Skulpturen der Thai und der Khmer galt seine erste große Sammelleidenschaft – sondern er war lange Jahre ein hochrangiger Manager im global tätigen Waschmittelkonzern Henkel. Kein Wunder also, dass ein weiterer Aspekt seiner Netsuke-Sammlung der Reinlichkeit gilt, dem Waschen und Pflegen von Textilien, dem Baden in Zuber und Bottich und der persönlichen Hygiene und Körperpflege. Diese reizvolle Gruppe der Kleinplastiken gehört in dem nach Themen geordneten Buch zur Gruppe der Darstellungen aus dem täglichen Leben, die mit vielen humorvoll gesehenen Szenen und zusammen mit Kindern, Berufen und Tätigkeiten einen Querschnitt durch den japanischen Alltag in der lebensfrohen Edo-Zeit vermittelt, wie er amüsanter und liebenswerter kaum dargestellt werden kann. In der Sammlung am unfangreichsten vertreten – entsprechend der Vorliebe westlicher Sammler – sind Tiere, vom Affen bis zur Zikade, von Gans und Ente, Hund und Hase und vielen vielen anderen mehr. Mythische und phantastische Tiere formen eine weitere Gruppe, in der sich vielfältige Drachenfiguren, Fo-Hunde oder Lion-Dogs neben dem Kirin oder dem Baku tummeln, eigenartigen Mischwesen, die aus typischen Bestandteilen zahlreicher Tiere phantasievoll zusammengesetzt sind. Sie finden ihre menschliche Entsprechung in Sagengestalten, in Kreaturen aus dem Ländern der Giganten und der Zwerge, in Meerjungfrauen und auch in dem affenähnlichen Shoju. Dem japanischen Verständnis jener Zeit entspricht es, dass in diese Gruppe auch Holländer und andere Fremde aus dem Westen aufgenommen wurden, die den Japanern bis weit ins 19. Jahrhundert als Wesen aus einer anderen Welt erschienen. Einen Einblick in die Religion geben die taoistischen Unsterblichen, etwa der populäre Pfirsichdieb Tobosaku, oder verschiedene buddhistische Figuren wie die Apsaras, weibliche, musizierende Luftgeister. Schließlich führen die vielen volkstümlichen, meist grotesken aber immer freundlichen Glücksgötter und andere hilfreiche Geister durch den lebendigen und vielgestaltigen japanischen Volksglauben. In ihrer Gesamtheit bilden diese Netsuke eine reiche Enzyklopädie des japanischen Lebens, einen unvergleichlichen Schatz von Formen, Gestalten und Objekten, ein breites Spektrum, das von Werken höchster Eleganz und Kunstfertigkeit bis zur Burleske reicht, von großer ästhetischer Schönheit bis zur Satire. Das wundervoll gestaltete und aufwändig hergestellte Buch ist zugleich eine Hommage an den Sammler, der in einem langen Interview über seine ganz persönliche Beziehung zu den Netsuke und über das Wachsen der Sammlung über einen Zeitraum von dreißig Jahren erzählt, bis hin zu seiner Entscheidung, diese Sammlung der Öffentlichkeit zu übergeben. Das Buch erschien zur Präsentation der Sammlung in „museum kunst palast“ in Düsseldorf, dem ehemaligen Kunstmuseum Düsseldorf, in dem die Sammlung Werdelmann eine neue, dauerhafte Heimat gefunden hat. Die Katalogtexte und ein ausführliches Künstler- und Signaturenverzeichnis stammen von der Netsuke-Expertin Patricia Jirka-Schmitz, die bereits das zweibändige, im gleichen Verlag erschienene Werk über die Netsuke-Sammlung Trumpf verfasst hat (Die Besprechung ist im Archiv zu finden: „Netsuke – Die Sammlung Trumpf“). Bibliographie, Karte, Index und Glossar vervollständigen das Buch zu einem unentbehrlichen Standardwerk über diese liebenswerte japanische Kleinkunst.

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