European Decoration on Oriental Porcelain 1700 – 1830

Autor/en: Helen Espir
Verlag: Jorge Welsh Books
Erschienen: London 2005
Seiten: 270
Ausgabe: Gebunden mit Schutzumschlag
Preis: 75.– englische Pfund
ISBN: 0-9550992-0-X
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2005

Besprechung:
Adam und Evas Sündenfall oder die Kreuzigungsszene auf chinesischem Porzellan? Eine fast fotografisch exakte Darstellung der jüdischen Synagoge in Amsterdam auf einem chinesischen Teller? Holländische Landschaften, Städteansichten und historische Szenen der europäischen Geschichte auf Porzellan, das ohne jeden Zweifel in Jingdezhen in China gebrannt worden ist. Es kommt noch schöner: Auf chinesischen Porzellanen finden sich bisweilen sogar rustikale Votivdarstellungen, anatomische Abbildungen oder durchaus schadenfroh gemeinte Konterfeis von Glücksrittern, die ihr Vermögen im sogenannten „South Sea Bubble“, einem spektakulären Börsencrash des Jahres 1720 verloren haben. Von chinesischer Exportware, die im Auftrag europäischer Abnehmer im europäischen Stil und mit europäischen Adelswappen schon in China bemalt wurde, kennt man Ähnliches, doch kann man kaum glauben, dass derart spezifisch europäische Dekorationen von chinesischer Hand stammen. Des Rätsels Lösung ist ganz einfach: Es handelt sich hierbei um sehr seltene Stücke chinesischen Porzellans, die erst in Europa auf der vorhandenen Glasur bemalt, erneut gebrannt und dann in den Handel gelangt sind. Solche lange als verfälscht, jedenfalls kunsthistorisch als unerwünschte Hybride angesehene Stücke fanden bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum Beachtung bei Sammlern und Experten und schon gar keine Autoren, die sich diesem Thema widmeten. Eine Ausstellung im British Museum im Jahre 2001 machte dann erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf dieses erst in Europa dekorierte chinesische Porzellan aufmerksam, und nun legt Jorge Welsh – ein Londoner Galerist, dessen thematisch orientierten Kataloge zu chinesischem Exportporzellan unter Kennern geschätzt und hochbegehrt sind – eine Publikation vor, die die europäische Bemalung von orientalischem Porzellan glänzend rehabilitiert. Das Buch macht den staunenden Leser mit einem Phänomen vertraut, das mit der Geschichte des Handels mit und vom Sammeln von Porzellan auf das Engste verwoben ist. Helen Espir, eine Expertin für ostasiatisches Porzellan, hat sich 10 Jahre mit diesem Thema befasst, in europäischen und amerikanischen Museen und Sammlungen nach den besten Beispielen geforscht, und es gelingt ihr, diesen Zwitter orientalisch-europäischer Herkunft so in die Porzellangeschichte einzubetten, dass er am Ende gar nicht mehr als ein Fremdkörper, sondern als ein ganz natürlicher Bestandteil einer Entwicklung erscheint. Der hautgout einer Fälschung, der orientalischem Porzellan, das erst in Europa bemalt oder überdekoriert worden ist, bisher anhaftete, ist jedenfalls dahin und mit diesem Buch ist diese Ware als ernsthaftes Sammel- und Forschungsgebiet etabliert. Begonnen hat dies alles mit dem Ende der Ming-Dynastie und den sich anschließenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen in China. Diese Wirren führten im chinesischen Jingdezhen zum Erliegen der schon ganz auf den europäischen Markt ausgerichteten Porzellanproduktion mit den typischen und begehrten Blau-Weiß-Dekoren. Der Handel, damals fest in der Hand der niederländisch-ostindischen Kompagnie, suchte zur Befriedigung des ungebrochenen europäischen Luxusbedarfs nach anderen Produktionsstätten und fand diese im japanischen Arita, das nach langer Tradition mit feinem Steinzeug seit dem frühen 17. Jahrhundert mit der Porzellanproduktion begonnen hatte. Eine Besonderheit dieser japanischen Produktion waren farbig bemalte Porzellane. Das war einmal die nach einem Hafen bei Arita benannte „Imari“-Ware, ein zusätzlich meist mit rot und gold über dem Unterglasurblau dekoriertes Porzellan oder es war fein mit bunten, naturalistischen Blumen, Pflanzen und Tieren bemaltes Porzellan, das nach einer japanischen Töpferfamilie benannte „Kakiemon“. Der Erfolg in Europa war enorm. Man riss sich um diese dekorativen bunten Stücke aus Japan, zahlte hohe Preise und als gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Jingdezhen wieder Blau-Weiß produziert wurde, wollte das niemand mehr so recht haben. China reagierte zunächst mit Imari- und Kakiemon-Kopien und entwickelte mit der „famille vert“ und der „famille rose“ eigene und erfolgreiche Farbprogramme. Doch zuvor schon hatten findige Manufakturen, vor allem im niederländischen Delft, nicht nur die Technologien, sondern auch die Marketingidee entwickelt, rein weißes oder nur sparsam mit Unterglasurblau dekoriertes chinesisches Porzellan mit bunten Dekoren im Imari- und Kakiemon-Stil aufzuwerten. Nach dem damaligen Verständnis galt eine solche aus ökonomischen und ästhetischen Gründen vorgenommene Veredelung keineswegs als Verfälschung, sondern wurde als Verbesserung unverstandener und ungewöhnlicher exotischer Dekorationsstile gewertet und wohl in der Regel auch gar nicht als europäische Arbeit verkauft und erkannt. So gerieten etwa in die phänomenale Porzellansammlung August des Starken in Dresden hunderte dieser in Europa bemalten chinesischen Porzellane, ohne von den mit der Errichtung der fürstlichen Inventare beauftragten sächsischen Beamten als solche erkannt und vermerkt zu werden. Diese Dresdner Stücke und deren Erfassung in den Inventaren August des Starken haben es der Autorin ermöglicht, diesen bisher nur wenig bekannten Bereich frühen Porzellans nach Zeiten, Stilen und Orten einigermaßen zu klassifizieren. Dabei liegt der Schwerpunkt deutlich in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, als die Imitationen von zunächst Imari und Kakiemon und danach von „femille vert“ und „famille rose“ künstlerisch und qualititiv hochwertige Dekorationen hervorbrachte. Der daraus erwachsende Chinoiserie-Stil, die Vergoldung chinesischer Porzellane in Frankreich oder Augsburg oder die Bemalung nach „Hausmacher“-Art in Böhmen, hier vor allem durch Ignaz Peissler, bezeichnet dann schon einen Übergang zu späteren Stücken, die, wie etwa die eingangs erwähnten, nicht mehr asiatische Vorbilder kopieren, sondern ganz und gar europäische Themen aufgreifen. Auch wenn die Autorin am Ende die Frage aufwirft, dass es ähnliche und bis heute noch nicht erkannte Entwicklungen auch in Portugal, Spanien, Schweden und andernorts gegeben haben muß, um damit auf die Unvollkommenheit ihrer Untersuchung hinzuweisen, ist dies ein ganz außergewöhnliches Buch, das einen tiefen Einblick in die Rezeption, Bedeutung und Wertschätzung ostasiatischen Porzellans im Europa des 18. Jahrhunderts gibt. Die etwa 250 vorzüglich abgebildeten Stücke, Auszüge aus den Inventaren August des Starken, ein Glossar und ein Literaturverzeichnis runden das Buch zu dem ersten und einzigen, wissenschaftlichen Beitrag zu orientalischem Porzellan mit europäischem Dekor.

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