Inspired Design – Japan´s Traditional Arts

Autor/en: Michael Dunn
Verlag: 5 Continents Editions
Erschienen: Mailand 2005
Seiten: 316
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: ca. € 70.–
ISBN: 88-7439-041-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2005

Besprechung:
Angewandte Kunst, neudeutsch „Design“, ist die bewusste Gestaltung von Gebrauchsgegenständen. Es ist eine relativ junge Kunst, deren Anfänge in der Frühzeit der Industrialisierung zu suchen sind, die aber erst in der Überflussgesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich eine Rolle zu spielen begann. Was jeder schon hat, kann oft nur dann noch neue Kauflust wecken, wenn es in ansprechender ästhetischer Gestaltung angeboten wird. Das gilt für Fernseher, Autos, Uhren, Küchengeräte und vieles andere mehr. Reine Verbrauchsgüter, Lebensmittel, Speisen sind in der Regel von diesem Designtrend noch nicht erfasst. Mit einer großen Ausnahme: Japanische Sushi. Wie sonst ist der Siegeszug dieser japanischen Spezialität aus rohem Fisch, kaltem Klebreis, garniert mit Gurke, Seetang und Meerrettich sonst zu erklären als damit, dass Sushi einfach schön sind, dass ihre Zubereitung, die zu beobachten Teil der Zeremonie eines Sushi-Essens ist, ein Akt der Ästhetik ist, dass also Bereitung und Aufnahme von Nahrung zum Akt angewandter Kunst wird? Oder Ikebana: Während westliche Fleuristen aus ihrem Rohmaterial schöne aber immer wieder gleiche Blumensträuße binden, vermag ein Ikebana-Meister aus einer Blume, einigen Gräsern und einer Wurzel ein einzigartiges Kunstwerk zu komponieren. Wie kommt das? Woher kommt der spezifische Sinn der Japaner für Schönheit und Design? Dieser Frage geht Michael Dunn, ein profunder Kenner japanischer Kunst und Kultur, der 35 Jahre in Japan gelebt hat, auf den Grund. Und zwar nicht bei so vergänglichen Produkten wie Sushi und Ikebana, sondern unter Berücksichtigung von Architektur, Gartengestaltung, Möbeln, Lackarbeiten, Schwertern, vor allem aber von Textilien und Keramik. Teeschalen aus dem 16. Jahrhundert etwa oder die Kostüme für das No-Theater aus dem 17. und 18. Jahrhundert, zeigen eine Gestaltung, die ein an modernem Design geschultes Auge unmittelbar anspricht und begeistert. Asymmetrie, unregelmäßige Formen, natürliche Farben, klare Linien und starke graphische Effekte, also alles, was heute guten Geschmack attestiert, hat Japan schon vor hunderten von Jahren vorweggenommen. Es ist offensichtlich, dass japanische Kunsthandwerker – eine Differenzierung zwischen Handwerk und Kunst hat es im klassischen Japan nie gegeben – eine ungewöhnliche Sensibilität für das Grund- oder Rohmaterial und was man daraus machen kann, besaßen. In seinem engagiert und sehr persönlich geschriebenen, einleitenden Essay führt der Autor diesen einzigartigen japanischen Sinn für Design auf eine Kombination verschiedener Einflüsse zurück: Die Schönheit und der Reichtum der japanischen Landschaft von den sibirischen Wäldern auf der Insel Hokkaido bis zur subtropischen Vegetation auf Okinawa, die ästhetischen Prinzipien des Zen als der puristischen, japanischen Form des Buddhismus und vor allem der Einfluss der großen Meister der Teezeremonie seit dem 16. Jahrhunderts hätten den besonderen Sinn für Schönheit und Design im alten Japan geschaffen. Mit der Aufstellung dieser These aber lässt es der Autor nicht bewenden. Seine Erklärung und Auseinandersetzung mit der kulturellen Kraft des Zen und des Inhalts und der Bedeutung der Teezeremonie machen es glaubhaft, dass dort die Wurzeln der japanischen Ästhetik liegen. Es sind die an diesen kontemplativen Beschäftigungen geschulten geistigen Kräfte, die es dem japanischen Kunsthandwerker ermöglichen, in den natürlichen Materialien des Landes, in Seide, Leder oder Haifischhaut, in Holz, Bambus und Schilf oder gar in Steinen, Erz und Tonerde, die in ihnen verborgene Schönheit zu entdecken. Das Buch ist voll von bisher meist unveröffentlichten Beispielen aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Die knapp 300 hervorragenden Abbildungen zeigen aber auch Architektur, Gartenkunst und Raumgestaltung und vermitteln damit einen umfassenden und profunden Einblick in traditionelle japanische Kunst. Und wie sieht es heute damit aus? Hier ist Michael Dunns Kommentar gespalten. Er beklagt das fast vollständige Verschwinden des traditionellen japanischen Lebens unter einer modernen Banalität, die man Fortschritt nennt, den Ersatz traditioneller Werkstoffe durch Plastik und die Verbannung der Reste japanischer Kultur in Museen und Freilichtdörfer, wo sie von Touristengruppen fast wie etwas Exotisches bestaunt werden. Die andere Seite ist eine Rückbesinnung auf traditionelle Handwerkstechniken, wie sie etwa in der Zahl von geschätzten 50.000 Keramikstudios im heutigen Japan zum Ausdruck kommt. Was dort oder in Studios für Lackarbeiten oder Seidenweberei heute entsteht, ist noch immer Ausdruck für den hoch entwickelten Sinn Japans für Schönheit, doch ist es heute eine Kunst für Wenige, für eine kleine Elite, die sich diese Schönheit leisten kann. Michael Dunn bringt es auf den Punkt: Das Leben eines einfachen japanischen Bauern vor dem zweiten Weltkrieg, umgeben von wenigen sorgsam gestalteten Gebrauchsgegenständen und Werkzeugen aus natürlichen Materialien, kann sich im modernen Japan niemand mehr leisten. (Vertrieb über Antique Collectors Club, UK)

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