Recarving Chinas Past – Art, Archaeology and Architecture of the ‚Wu Family Shrines‘

Autor/en: Naomi Noble Richard
Verlag: Yale University Press
Erschienen: New Haven und London 2005
Seiten: 620
Ausgabe: hard- and softbound
Preis: US-$ 75.–/45.–
ISBN: 0-300-10797-8 (hard), 943012-43-0 (soft)
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2005

Besprechung:
Es ist zweifellos die Archäologie, die in der chinesischen Kunst- und Kulturgeschichte in den vergangenen Jahrzehnten für Sensationen und Schlagzeilen gesorgt hat. Fast im Jahresrhythmus ist von aufregenden Ausgrabungen und Entdeckungen berichtet worden. Die unterirdische Tonarmee des Kaisers Qin Shi Huang, 1974 von Bauern bei der Errichtung eines neuen Brunnens entdeckt, gilt als einer der großartigsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts und bildete den Auftakt zu einer beispiellosen Serie von Ausgrabungen. Die Mumien von Urumqi, in prachtvolle Gewänder gekleidete Nomadenfürsten, die in der Wüste Taklamakan gefunden wurden, geheimnisvolle, überlebensgroße Bronzegestalten aus der Shang-Dynastie, ausgegraben in Sanxingdiu in der Provinz Sichuan, das aus Jadeplättchen bestehende prinzliche Totengewand aus einem Grab in der Provinz Hebei oder die in Shanpalu unweit Khotan gefundenen gewirkten Gewandbänder mit der farbenprächtigen Darstellung von Fabelwesen – diese Entdeckungen und viele andere mehr haben das Wissen um die jahrtausende alte chinesische Kultur unendlich bereichert und dafür gesorgt, dass manches Kapitel chinesischer Kunstgeschichte, etwa die Geschichte der Seidenweberei, vollkommen neu geschrieben werden musste. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig spektakulär, wenn sich eine Ausstellung (bis Juni 2005) und das begleitende Katalogbuch des Museums von Princeton/USA einer Ausgrabungsstätte widmet, die schon seit einem knappen Jahrtausend bekannt ist. Der „Wu Family Shrine“, die Grabstätte der Familie Wu, die in der Spätzeit der Han-Dynastie (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) gelebt hat, war schon unter den Gelehrten und Antiquitätenliebhabern der Song-Dynastie (969-1279) ein Objekt der Verehrung und Bewunderung. Sie geriet zwar in den darauf folgenden Dynastien wieder weitgehend in Vergessenheit, doch die Abreibungen der die Grabstätten überreich verzierenden Steinreliefs in chinesischen Kunstsammlungen blieben eine stete Quelle für Studien von Kunst und Kultur der Han-Dynastie. Die Wiederentdeckung durch den Chinesen Huang Yi im Jahre 1786 sorgte für eine Wiederbelebung dieser spezifisch chinesischen Form früher Reproduktionsgraphik. Eine Serie dieser Steinabreibungen im Princeton Museum, wohl um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, war Anlass zu deren wissenschaftlicher Aufarbeitung, zur Ausstellung und zu dem gewichtigen Katalogbuch. Alles rankt sich um diese ungemein aussagekräftigen und dekorativen, in schwarz/weiß und in variierenden Grautönen gehaltenen Graphiken, die von legendären Königen erzählen, von historischen und mythologischen Ereignissen, von alltäglichen Szenen und von Festen, von der Verehrung der Ahnen und der Liebe zu den Kindern. Steinabreibungen waren und sind in China – ebenso wie die Bildreliefs die ihnen zugrunde liegen – eine besondere Kunstform, und jede einzelne dieser Abreibungen trägt individuelle Züge und ist individueller Ausdruck von Kreativität und handwerklicher Fähigkeit nicht nur des Steinschneiders, sondern auch des Künstlers, der die Abreibung gemacht hat. Die Ausgrabungsgeschichte der Begräbnisstätte, vor allem deren Architektur und Ausstattung, neueste Erkenntnisse über Mitglieder der Familie Wu, die tatsächlich nach der Zeitenwende in der Han-Dynastie nachweisbar ist und von der Namen und genaue Lebenszeiten bekannt sind, sowie Art und Bedeutung von Begräbnisritualen jener Zeit werden eingehend beschrieben und in Essays namhafter Wissenschaftler vertieft. Zu diesen Begräbnisritualen und den dahinter stehenden Vorstellungen über das Leben nach dem Tode gehören in erster Linie die Grabbeigaben, die so genannten „prächtigen Gegenstände“. Der Brauch jener Zeit, den Verstorbenen all das Wesentliche mit ins Grab zu geben, was sie im diesseitigen wie im jenseitigen Leben benötigen, hat der Archäologie immer wieder großartige Funde beschert. Von diesen prächtigen Gegenständen wird eine Auswahl von 64 herausragenden Objekten aus bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen, vorwiegend aus den USA, in hervorragenden, ganzseitigen Abbildungen und ausführlichen Beschreibungen gezeigt. Eine teilvergoldete Schwertträgerlampe aus Bronze aus dem Princeton-Museum, die Tonfigur einer Schleiertänzerin aus einer Privatsammlung, Architekturmodelle, Bronzespiegel, Wagenbeschläge, Tierfiguren und viele andere mehr, alle sind sie vollendete, hochrangige Kunstwerke, die sich durch vollendete Beherrschung von Form und Material auszeichnen und einen der Klarheit und Einfachheit verhafteten, zeitlosen Stil repräsentieren, wie ihn auch die berühmten Steinreliefs zeigen. Das Buch gibt damit einen vollständigen und tiefen Einblick in die Zeit der Han-Dynastie, eine Zeit, die die politischen, religiösen und sozialen Grundlagen der nachfolgenden zweitausendjährigen Geschichte Chinas geprägt und die Kunst und Kultur des Reichs der Mitte wesentlich bestimmt hat. Wer immer sich ernsthaft mit der Zeit der Han-Dynastie und dem heutigen Kenntnisstand befassen möchte, wird an diesem Buch nicht vorbeigehen können.

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