China

Autor/en: Yann Layma
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2003
Seiten: 424
Ausgabe: Gebunden mit Schutzumschlag
Preis: EUR 49,90
ISBN: 3-89660-186-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2004

Besprechung:
Ganz ähnlich wie Alexandra David-Neel hat sich Yann Layma, ein französischer Schmetter-lingsforscher und Fotograf seinen Jugendtraum im fernen Asien erfüllt. Auch er träumte schon als Jugendlicher von verschlossenen, unbekannten Welten weit im Osten und davon, in diese fremden Kulturen einzutauchen und sie für sich zu erkunden. Alexandra David-Neel träumte diesen Traum allerdings bereits Ende des neunzehnten Jahrhunderts und es ist eine der großen, faszinierenden Geschichten des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie als gefeierte Opernsängerin und Komponistin im Alter von 43 Jahren ihren Ehemann verließ, um als Forchungsreisende Indien, Nepal, Sikkim und Tibet und später auch China, Japan und Korea zu bereien. Ihre Tagebücher und Briefe sind auch heute noch einzigartige Dokumente über Le-ben und Kultur in diesen dem Occident damals so fernen Ländern. Als Yann Layma 80 Jahre später seinen Traum träumte, war die Welt sehr viel kleiner geworden, doch China, das Ziel seiner Träume, war womöglich noch unerreichbarer als zur Zeit von Alexandra David-Neel. Seit 1949 war das Land für fremde Besucher hermetisch verschlossen und außer nebelhaften Gerüchten über einen Großen Sprung und eine Kulturrevolution wußte die Welt nur aus den wohldosierten Worten und Informationen des Großen Vorsitzenden, was in diesem Land vor-ging. 1976 starb Mao und 1979 öffnete das Land seine Grenzen einen kleinen Spalt weit und stellte die ersten Visa für Einzelreisende aus. Yann Layma nutzte die Chance und hat in den folgenden 25 Jahren bis heute den Weg Chinas mit dem Fotoapparat verfolgt. Was dabei entstanden ist, ist eine einzigartige Bilddokumentation über den Aufbruch eines Landes aus einer dunklen Zeit der Nüchternheit in eine lebendige und prosperierende Zukunft und eine reiche, wieder wirksam gewordene und immer präsenter werdende Vergangenheit. Yann Layma zeigt uns eine bunte und vielgestaltige Welt, wie sie sich Maos Rote Garden, die alles getan hatten, die alten Bräuche und Gedanken mit Hammer und Sichel auszurotten, niemals hätten träumen lassen. Es ist wohl der Farbensinn des Schmetterlingssammlers und die Geduld des Insekten-forschers, zusammen mit einer Portion Besessenheit und der Liebe zu den Menschen, die Y-ann Layma befähigten, das vielfältige Antlitz des modernen China einzufangen. Wir sehen nicht nur die himmelragenden Wolkenkratzer der Millionenmetropole Shenzheng, vor 20 Jahren noch ein Städtchen mit 20.000 Einwohnern, oder die futuristische Architektur von Pudong, dem Finanzzentrum von Shanghai, das sich anschickt, der Wallstreet den Rang abzulau-fen. Wir sehen auch das alte, während der Kulturrevolution verpönte und verbotene China, den greisen Vogelliebhaber, der seinen Vogel zum Singen in den Park trägt, die alte Frau beim Bandagieren ihrer verkrüppelten Füße, Maler beim Anfertigen von Ahnenportraits und den von der Parteiführung vormals der Hexerei bezichtigten Schamanen bei der Arbeit. Seit der Tang-Dynastie wurden in China nicht mehr so viele Klöster gebaut wie in den letzten zwanzig Jahren und die daoistischen Zentren im Wudang Gebirge beeindrucken ebenso wie buddhistische Tempel und Schulen in Sichuan. Daoistische Mönche und Meister der Kamp-feskunst üben sich wieder in der uralten Kunst von Angriff und Verteidigung, buddhistische Lehrer fertigen Kalligraphien und die Lehren des Konfuzius sind voll rehabilitiert. Straßen-musikanten und Wahrsager sind ebenso in das Bild der Städte zurückgekehrt wie Zeitungs-händler, Gemüseverkäufer und kleine Garküchen. Zu dem Portrait Chinas gehört aber nicht nur die Wiederentdeckung einer 4000 Jahre alten Tradition, sondern auch die größte Baustelle der Welt beim Drei-Schluchten-Straudamm, gewaltige Autobahnprojekte, riesige Kraftwerke und die erste Magnetschwebebahn der Welt, nicht nur die Peking-Oper und traditionelles Theater auf dem Land, sondern auch Shopping in einer modernen Mall und Fastfood im drehbaren Hochhausrestaurant. Ein Land entdeckt seine Vergangenheit und zugleich die Lust an der Veränderung, am Neuen. Yann Laymas Fotografien begegnen einer Zivilisation von meh-reren tausend Jahren mit derselben Aufmerksamkeit wie den Menschen von heute, die sie beleben, wieder neu erfinden und in ein weiteres Jahrtausend transponieren. Dieses Portrait Chinas wäre aber nicht vollständig ohne die zahlreichen Minderheiten, die an den Grenzen aber auch inmitten des riesigen Landes leben, ohne die Reis anbauenden Dong in Yünnan, die viehzüchtenden tibetischen Khampas in Sichuan, kasachische Reiter bei der Jagd mit dem Adler in Xinjiang, ohne die runden Wohnfestungen der Hakka oder die bunten Feste der Hani. Fantastisch sind die Bilder von den Reisterassenlandschaften bei Yuanyang im Süden Chinas, von irisch anmutenden Steinhäusern auf einer Insel in der Meerenge von Taiwan, wo seit dem 17. Jahrhundert katholische Fischer leben oder von mongolischen Frauen, die Sanddünen in der Wüste Gobi bepflanzen, um die fortschreitende Versteppung aufzuhalten. Das eindrucks-volle Portrait Chinas wird durch diese bunten und vielfältigen Minderheiten ganz wesentlich mitgeprägt. Yann Layma gelingt es mit seinen Fotos, auch dank des großen Formates und der meist doppelseitigen Wiedergabe, uns mitten hinein in diese bunte, lebendige Welt zu verset-zen. Und so, mitten unter den Chinesen, verstehen wir Yann Layma und seine Feststellung, daß es mindestens eineinhalb Milliarden gute Gründe gibt, China zu lieben. Bleibt noch zu sagen, daß zwischen die Bildsequenzen kleine Essays chinesischer und europäischer Autoren eingestreut sind, die uns teils poetisch, teils sachlich mit chinesischer Geschichte und Philo-sophie, mit Schrift und Kalligrafie, mit Kunst und Religion, mit dem reichen Schatz chinesi-scher Erfindungen vertraut machen. Nicht nur von Format und Gewicht, auch inhaltlich ein großes Buch über China.

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