Ming Furniture – In the Light of Chinese Architecture

Autor/en: Sarah Handler
Verlag: Ten Speed Press
Erschienen: Berkeley 2004
Seiten: 234
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 50.–
ISBN: 1-58008-559-8
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2005

Besprechung:
Unter den vielen ästhetischen Kostbarkeiten, die uns vier Jahrtausende chinesischer Kunst und chinesischen Kunsthandwerks hinterlassen haben, zählen die klassischen chinesischen Hartholzmöbel aus der späten Ming- und den ersten Jahrzehnten der Qing-Dynastie, zu den schönsten und erstaunlichsten Objekten. Wenn je Möbeln der Rang von herausragenden Kunstwerken zugesprochen werden kann, dann diesen ästhetisch und handwerklich so vollendeten, ungemein materialgerechten, schlicht-eleganten Gebrauchsgegenständen. Rasch stellt sich dann die Frage, warum sich die chinesische Möbelkunst nur für eine relativ kurze Epoche von vielleicht einhundert Jahren zu diesem nie zuvor und auch danach nie wieder erreichten Höhenflug aufgeschwungen hat? In der Besprechung des Kataloges klassischer chinesischer Möbel der Sammlung von Ignatio Vok („Pure Form“ im Archiv unter Ostasien) wurde eine Antwort versucht, wurden Vergleiche gezogen mit Dichtkunst und Malerei und mit der Blüte anderer chinesischer Kunsthandwerke jener Zeit, dem Dekor von Porzellan, von Lack und dem Muster von Teppichen. Dabei blieb ein nahe liegender Aspekt, die Architektur, vollkommen unbeachtet. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn von chinesischer Architektur aus jener Zeit ist nur wenig bekannt und noch weniger erhalten. Gebäude erwiesen sich in der Regel als weit weniger beständig als das in ihnen verwahrte Inventar. Wurden Porzellan und Rollbilder, Schmuck, Jadeobjekte, Schriften und Möbel sorgfältig verwahrt, vererbt und in gefährlichen Zeiten verborgen und versteckt, verfuhr man mit den Häusern nicht so sorgsam. Sie wurden nach den wechselnden Bedürfnissen ihrer Bewohner umgebaut, renoviert und verändert und irgendwann abgerissen oder gewaltsam zerstört. Originale Architektur aus dem siebzehnten Jahrhundert, sieht man von einigen herausragenden Objekten wie Tempeln, Palästen, etwa dem Kaiserpalast in Peking, der „Verbotenen Stadt“ einmal ab, ist in China kaum zu finden. So ist es kein leichtes aber ein reizvolles und wichtiges Unterfangen, Ming-Möbel in den Kontext der sie umgebenden Architektur zu stellen. Das Buch von Sarah Handler, sie war Forschungsbeauftragte des einzigen je existierenden und leider schon 1997 aufgelösten Museums für klassische chinesische Möbel in der Stadt Renaissance in Kalifornien, löst diese Aufgabe perfekt. Vor unseren Augen entsteht das chinesische Wohnhaus der Mingzeit, eine hölzerne Rahmenkonstruktion aus tragenden Säulen mit Querhölzern, auf denen sich das mit einer oft komplizierten Auslegerkonstruktion aufgebaute, auskragende Dach erhebt. Darstellungen aus chinesischen Rollbildern der Zeit und vor allem Fotos rekonstruierter Innenräume aus amerikanischen Museen bilden anschauliche Beispiele. Grundraster ist der von vier Säulen gebildete Raum. Die Anzahl der Säulen, die stets sichtbares Gestaltungselement bleiben, bestimmt die Größe des Hauses und der Räume. Fenster und Türen aus Holz, Öffnungen und Durchblicke in Hof und Garten sind häufig mit einem durchbrochenen Gitterwerk verziert. Kleine Holzteile, gerade oder gebogen, oft auch aus einem Stück herausgearbeitet, formen ein geometrisches Muster. Auch bei den Möbeln der Mingzeit, bei den großen Baldachin-Betten, bei Stellschirmen, Kabinettschränken oder den Kangs, bei Seitenwangen großer Tische, gehört dieses Gitterwerk zu den sonst nur sparsam eingesetzten Dekorelementen. Die Beschreibung des Ming-Hauses gibt auch ein Bild vom Leben einer chinesischen Familie jener Zeit. In der zentralen Halle versammelte sich die Familie zu zeremoniellen und festlichen Anlässen und hier wurden auch offizielle Besucher empfangen. Das Schlafzimmer mit dem großen Baldachin-Bett war das Reich der Frau, wo sie sich den größten Teil des Tages aufhielt. Das eigentliche Herz des Ming-Hauses aber war das Studio, das private Reich des Hausherrn, ein Zeichen akademischer Kultiviertheit und liberalen Lebens. Hier ging der Gelehrte oder Literat seinen Passionen nach, hier wurde gelesen, gemalt, geschrieben und musiziert oder man widmete sich mit Freunden dem Betrachten alter und neuer Kunst. Wichtigstes Möbel des Studios war ein großer Tisch, der sogenannte „painting table“. Im übrigen war das Studio sparsam aber edel möbliert und hier fand man auch die so beliebten kleinen Einrichtungsgegenstände wie Pinselbecher, Kästen und andere Behältnisse für Rollbilder, Malutensilien und mancherlei Antiquitäten. Das Bild, das so entsteht, ist gewiss nicht das des Durchschnittschinesen der Ming-Zeit, sondern das einer kleinen Oberschicht. Diese aber war es, die die Kultur geprägt hat und deren elitärer Geschmack in Verbindung mit der handwerklicher Perfektion anonymer Schreiner und dem edelsten Material diese Möbelkunstwerke entstehen ließ. Es versteht sich, dass ausgesuchte Möbel, Stühle, Tische, Betten und Schränke, meist aus dem unvergleichlich schönen Huanghuali dieses Buch illustrieren. Diese Möbel folgen denselben Konstruktionsprinzipien wie die Architektur, sind Architektur in kleinerem Maßstab und fügen sich ideal in das Wohnhaus jener Zeit. Im Licht der chinesischen Architektur lernt man die Blüte chinesischer Möbelkunst in der Ming-Zeit besser verstehen und erhält eine weitere Antwort auf die eingangs gestellte Frage.

Print Friendly, PDF & Email