Japans Schönheit – Japans Seele

Autor/en: Kunst- u. Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (Hrsg)
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2003
Seiten: 406
Ausgabe: broschiert
Preis: EUR 39.90
ISBN: 3-7774-9850-5
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat die Kunst Japans entscheidenden Einfluss auf den Aufbruch moderner westlicher Kunst ins 20. Jahrhundert genommen. Die Graphik Toulouse Lautrecs oder Gemälde von van Gogh, Meilensteine der europäischen modernen Kunst, sind ohne das japanische Vorbild nicht denkbar, ebenso wenig wie die Entwicklung von Architektur und Design. Man sollte daher meinen, dass japanische Kunst und Ästhetik dem Westen bekannt und vertraut sind, dass sie kunsthistorisch seit langem präsent und bearbeitet sind und dass Ausstellungen das ihre getan haben, sie populär zu machen. Betrachtet man das genauer wird man jedoch feststellen, dass es beinahe ausschließlich die populäre Kunst der späten Edo-Zeit war, die das Interesse Europas in Anspruch genommen hat und die es heute noch tut. Ganz vorne stehen hier die Ukiyo-e-Farbholzschnitte, das Kabuki-Theater, prachtvolle Kimonos und perfekte Lackarbeiten. Diese Kunst der späten Edo-Zeit war es, die nach der Öffnung Japans um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf den großen Weltausstellungen jener Zeit präsentiert und als ästhetische Sensation empfunden wurde. Gewiss, die Edo-Zeit (1615-1868), eine Epoche von 250 Jahren Frieden und Prosperität, eine Zeit nahezu vollkommener Abschottung von äußeren Einflüssen, hat eine sehr eigenständige und ausgeprägte Formensprache in Kunst und Handwerk entstehen lassen, die die ihr zuteil gewordene Beachtung durchaus verdient. Und doch verstellt diese Ästhetik einer Spätzeit den Blick auf eine Epoche der japanischen Geschichte, die für die Entwicklung der japanischen Kunst entscheidend war. Es ist daher an der Zeit, sich auf die bedeutende kreative Gestaltungskraft des japanischen Mittelalters zu besinnen, auf die zentral wichtige Periode vom Übergang des Altertums zur frühen Neuzeit, auf die Zeit also, die in der Kunstgeschichte Japans als klassische Zeit gilt, in der sich die spezifisch japanische Ästhetik entwickelt hat. Die Ausstellung in Bonn (bis Oktober 2003) und der hierzu erschienene Katalog widmen sich diesem Zeitraum vom 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert, von der ausgehenden Muromachi-Periode (1392-1573) über die Momoyama-Periode (1573-1615) bis zur frühen Edo-Zeit. Vorgestellt in Wort und Bild werden 117 Exponate aus dem Tokyo National Museum, zum großen Teil als Nationalschätze oder wichtige Kulturgüter klassifizierte Kunstwerke, die Japan nur selten verlassen und die in Europa zum großen Teil noch nie zu sehen waren. Die begleitenden Essays machen deutlich, warum diese Zeit für die Entwicklung der japanischen Kunst so wichtig war. Das japanische Mittelalter war geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen mit Mächten von außen und Kräften im Inneren. Mit dem benachbarten chinesischen Kaiserreich bestanden nicht nur fruchtbare Handelsbeziehungen, sondern die militärische Auseinandersetzung mit der mongolischen Yuan-Dynastie führte in Japan zur Ausprägung eines militärisch geprägten Feudalismus, zu einem Dualismus zwischen Kaisertum und Schwertadel, der bis weit in die Edo-Zeit hineinreichte. In diesen Kampf aller gegen alle, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kulminierte, sorgten starke europäische Einflüsse durch portugiesische und spanische Missionare und Händler für zusätzliche Unruhe. Alte Strukturen zerbrachen und setzten neue gesellschaftliche Kräfte frei, die sich über alle alten Konventionen hinweg- und durchsetzten. Das traditionelle Kaisertum stand im Gegensatz zu den „Bushi“, den mittelalterlichen Rittern Japans, den späteren Samurai. Im spirituellen Bereich bildete sich eine asketische mönchische Klosterkultur heraus während in den Städten Bürger und Kaufleute in Luxus und neuem Reichtum schwelgten. Ein Gegeneinander von Schlichtheit und Prunk prägt diese Zeit und ihre Kunst. Hierzu gehören die auf das wesentliche reduzierten Malereien und Kalligraphien des Zen-Buddhismus ebenso wie die opulenten Wandschirme mit narrativen Darstellungen auf goldenem Grund, die Gerätschaften und die Ästhetik der Teezeremonie ebenso wie die prachtvollen Kostüme und vornehmen Masken des No-Theaters. Die Schmiede-, Waffen- und Rüstungstechnik erreicht ebenso wie die Gelehren- und Dichtkunst höchstes Niveau. Damit sind die Bereiche angesprochen, die in dieser klassischen Periode der japanischen Kunst Japans Schönheit und Japans Seele repräsentieren. Beeindruckend sind hier vor allem die Exponate der Tee-Zeremonie. Die Ästhetik der für diese Zeremonie verwendeten Utensilien und Rituale zielte auf eine natürliche, geradezu rustikale Einfachheit, die bewusst auf materielle Werte verzichtete. Es ist eine modern anmutende Formensprache, die in einem starken Kontrast zur fast schon barocken Prachtentfaltung von Adel und Bürgertum stehen, ein spiritueller Gegenentwurf zu Opulenz und Prunk. Doch beides ist wichtig. Es sind die Wurzeln, aus denen sich die Ästhetik entwickelt, die heute als klassisch gilt. Historisch endet diese politisch und kunsthistorisch bedeutende Zeit mit der Abschließung des Landes. Etwa Mitte des 17. Jahrhundert zieht sich Japan aus der Weltpolitik zurück. Es beginnt eine Zeit der vermeintlichen Rückbesinnung auf traditionelle Werte. Tatsächlich entstehen aus den gegensätzlichen Kräften der vorangegangenen stürmischen Perioden in der frühen Edo-Zeit Höhepunkte japanischer Kunst und japanischen Kunsthandwerks. Den Kuratoren von Ausstellung und Katalog, dem Tokyo National Museum, das diese Schätze zur Ausstellung und Abbildung freigab, und den Autoren der begleitenden Essays ist es zu danken, dass mit Japans Schönheit Japans Seele eine deutschsprachige Publikation vorliegt, die einen bisher nicht gekannten Zugang zur klassischen Kunst Japans ermöglicht.

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