Blue and White – Chinese Porcelain Around the World

Autor/en: John Carswell
Verlag: British Maseum Press
Erschienen: London 2000
Seiten: 208
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 40.– engl.Pfund
ISBN: 0-7141-1491-X
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Das Porzellan mit dem unverwechelbaren blauen Unterglasur-Dekor aus Jingdezhen im Süden Chinas schrieb Geschichte und Geschichten. Es erzählt vom Handel zwischen Ost und West, von Schiffstragödien und Eroberungszügen, von Eßgewohnheiten und Sammlerleidenschaft, von chinesischen Kaisern, islamischen Fürsten und europäischen Königen, von den Höfen der Schahs und Sultane im Orient. Eine dieser Geschichten beginnt mit dem Bau neuer Wohnungen durch den syrischen Präsidenten Hafez al-Assad im Jahre 1960. Die kleinen Appartements waren bestimmt für Handwerker, Bauern und Gärtner aus Douma, einer kleinen Vorstadt von Damaskus, die seit jeher in unscheinbaren Lehmziegelhäusern gelebt hatten. Der Umzug in neuzeitlichen Komfort brachte ein Problem: Es gab keinen Platz mehr für das Familienporzellan. Experten schätzen, daß im Zuge dieser Umsiedelung etwa 600 Stücke wertvollen und seltenen Blauweiß-Porzellans aus der Yuan- und der Ming-Dynastie in Damaskus auf den Markt kamen. Wie kamen diese Schätze vor Jahrhunderten nach Syrien? Eine andere Geschichte um Blauweiß ist die der chinesischen Schiffsexpeditionen in den Westen. Unter den frühen Ming-Kaisern Yongle (1403 – 1426) und Xuande (1426 – 1435) und unter dem Befehl des islamischen Admirals Zheng He segelten nicht weniger als sieben Flotten nach Süden und Westen. Die größte dieser Expeditionen bestand aus knapp 30.000 Seeleuten auf über dreihundert Schiffen. Zheng He erreichte die südostasiatischen Inselreiche, segelte durch die Straße von Malakka, trieb Handel mit Ceylon und Indien, und Teile der Flotte gelangten bis nach Hormuz am Persischen Golf und nach Jiddah im Roten Meer. Selbst die Melediven und die ostafrikanische Küste, Malindi und Mogadishu wurden erreicht. Eines der wichtigsten Handelsgüter war Blauweiß. Nur wenig erhaltene Exemplare aber hunderttausende von Scherben, geborgen von Archäologen auf den Abfallhalden der Jahrhunderte geben davon Zeugnis. Alle diese Geschichten und viele viele mehr erzählt John Carswell in seiner spannenden Kulturgeschichte des Blauweiß. Es gibt wohl kaum einen Handelsartikel, der über Jahrhunderte so begehrt war, der weltweit so viele Spuren hinterließ und der beredter die Geschichte der Beziehungen zwischen Ost und West erzählen könnte. Seine Bedeutung faßte Sir Mortimer Wheeler in einem einprägsamen Satz zusammen: „Porzellan ist zwar leicht zu zerbrechen aber schwer zu zerstören“. Auch wenn es überkrustet mit Muscheln und Korallen nach Jahrhunderten vom Meeresboden geborgen wird oder wenn es der Sand freigibt, der die tangutische Stadt Kharakhoto zudeckte, wenn es zu der der schätzungsweise einer halben Million Porzellan-Scherben von Fostat gehört oder zu den unermeßlichen Porzellan-Schätzen des Topkapi Seray und des Schreins von Ardebil: Die Perfektion der Malerei und die Brillanz der Farben blieben stets erhalten. Carswell erzählt aber nicht nur Geschichten, sondern auch die chronologische Geschichte des Blauweiß von seinen Anfängen bis heute. Es waren die Mongolen, die hier die entscheidenden Anstöße gaben. Mit der Übernahme der Macht in China im Jahre 1279, mit dem Beginn der Yuan-Dynastie, änderten sich die wirtschaftlichen und religiösen Verhältnisse im Reich der Mitte. Weltoffenheit und religiöse Toleranz der mongolischen Herrscher befruchteten Handel und Handwerk. Islamische Kaufleute brachten neue Waren und neue Technologien, und vermutlich waren es persische Händler, die das Kobaltblau nach Jingdezhen brachten und damit eine Revolution in der Porzellanherstellung auslösten. Im frühen 14. Jahrhundert vollzog sich der Übergang vom zarten Song-Porzellan zu den großen Formen der Yuan-Dynastie, von der handwerklichen zur industriellen Fertigung, von den feinen Farbglasuren zum kräftigen Blauweiß-Dekor. Gleichsam aus dem Nichts entstand eine vollkommen neue Kunstform. Das Zusammenspiel heller und dunkler Flächen, der subtile Umgang mit den Farben blau und weiß, die Erkenntnis, daß die Wahrnehmung von Farben durch andere Farben und Flächen beeinflußbar ist, das Zusammenspiel von Kontrasten, Abstufungen und Nuancen war eine epochale Erfindung ohne Beispiel. Nach nur wenigen Jahrzehnten war die Entwicklung abgeschlossen und das Blauweiß begann auf dem See- und Landweg seinen Siegeszug um die Welt, der während der Ming-Dynastie anhielt und im 17. Jahrhundert mit der Chinoiserie selbst die europäische Stilentwicklung entscheidend beeinflußte. Blue & White erzählt auch die Geschichte der Imitation und Rezeption von Blauweiß in anderen Ländern, die Geschichte großer Sammlungen und die Geschichte der Unterwasserarchäologie im Spannungfeld zwischen Wissenschaft und Schatzsucherei. Blue & White ist opulent illustriert und viele der einzigartigen Stücke sind hier erstmalig veröffentlicht, so etwa ein noch nicht lange zurückliegender, sensationeller Fund von Yuan-Porzellan im Roten Meer. Vielleicht war es auf dem Weg nach Damaskus, womit die eingangs gestellte Frage beantwortet wäre. (- mb -)

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