Angkor – Göttliches Erbe Kambodschas

Autor/en: Wibke Lobo (Hrsg)
Verlag: Prestel Verlag u. Kunst- u. Ausstellungshalle der BRD
Erschienen: München und Bonn 2006
Seiten: 336
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: € 49.95 (Museumsausgabe: € 28.–)
ISBN: 3-7913-3967-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2007

Besprechung:
Angkor, die geheimnisvolle Kultur der Khmer und Kambodschas berühmte Tempelanlagen, sind ein besonders faszinierendes Kulturerbe der Menschheit. Ein Jahrhunderte währender Dornröschenschlaf, die späte Wiederentdeckung und Kambodschas politisches Schicksal im 20. Jahrhundert haben dafür gesorgt, dass Angkor vom Schleier des Geheimnisses umgeben blieb. Umso wichtiger sind Bücher zum Thema. Da gab es den wunderschönen Bildband von Suzanne Held, vom Hirmer Verlag im Frühjahr 2006 neu aufgelegt, dessen Besprechung nun im Archiv unserer Buchbesprechungen steht. Dort ebenfalls zu finden ist die Rezension von David Snellgroves großer Kulturgeschichte der Khmer, 2004 in Bangkok erschienen. Die geheimnisvolle Hauptstadt des Khmerreiches und das Entstehen und Vergehen einer Hochkultur wurden in diesen beiden empfehlenswerten Bänden in großartigen Bildern und mit wissenschaftlicher Akribie dargestellt. Natürlich wurde in diesen Publikationen auch die skulpturale Kunst der Khmer, vor allem soweit sie in Form von Reliefs in die Architektur integriert ist, gezeigt, beschrieben und gewürdigt, aber die einzigartige und unvergleichliche Ästhetik vollplastischer Khmer-Skulptur war dann doch nur eines von vielen behandelten Themen. So ist die derzeit in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (bis 9. April 2007 und danach im Rietberg-Museum in Zürich, 19.08. bis 02.12.2007) gezeigte Ausstellung der Kunst der Khmer und das dazu erschienene Katalog-Buch eine willkommene und wichtige Ergänzung. Beide sind darüber hinaus so etwas wie eine großartige und unbedingt empfehlenswerte Premiere, denn Khmer-Skulpturen sind in deutschen und Schweizer Museen kaum vertreten und deutschsprachige Literatur zum Thema ist so gut wie nicht existent. Knapp 150 Exponate, darunter auch Kult-, Ritual- und einige Profangegenstände, eine Anzahl narrativer Temperamalereien aus dem frühen 20. Jahrhundert, vor allem aber vollplastische Bildwerke aus der Blütezeit der Khmerkunst vom 9. bis zum frühen 13. Jahrhundert sind zu sehen. Sie kommen überwiegend aus dem Nationalmuseum in Phnom Penh, aus verschiedenen kambodschanischen Provinzmuseen und aus dem Musée Guimet für asiatische Kunst in Paris. Diese Bronze- und mehr noch die Sandsteinplastiken aus der Frühzeit der Khmer gehören zum eindrucksvollsten, was asiatische Kunst zu bieten hat. Ihre einzigartige Ästhetik, ihre in der Schlichtheit vollendete Harmonie, die Ausstrahlung von unendlicher Ruhe und Gelassenheit – das alles unterscheidet sie ganz wesentlich von den Kunstwerken jeder anderen indischen oder südostasiatischen Zivilisation. Es versteht sich, dass im Katalogbuch alle Exponate – und natürlich Vergleichsstücke aus aller Welt – farbig und mit ausführlichen Beschreibungenund Literaturhinweisen abgebildet sind. Die über zwei Dutzend Essays namhafter Autoren aus Europa, USA und Asien behandeln Geschichte, Religion und Kultur der Khmer, vor allem aber deren alte Hauptstadt Angkor, die Bedeutung und Funktion dieser Stadt und ihre Anlage, Architektur und Kunst. Angkor, das war nicht, wie es heute scheint, eine Ansammlung verstreut in der Landschaft liegender und von künstlichen Seen umgebener, monumentaler Tempelanlagen, sondern es war in der Blütezeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert eine dicht besiedelte Metropole, die vermutlich größer war als jede europäische Stadt jener Zeit, ein blühendes Zentrum eines der damals mächtigsten und größten Völker Asiens. Handel und Landwirtschaft florierten, ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem ermöglichte drei Reisernten im Jahr und die gottgleichen Könige förderten die Künste und waren Auftraggeber immer wieder neuer Tempel. Der vielleicht machtvollste dieser Könige, jedenfalls aber deren bedeutendster Baumeister war Jayavarman VII (1181-1218), der mit Angkor Thom eine für die damalige Zeit einzigartige städtebauliche Vision verwirklichte. Angkor Thom bedeckte eine Fläche von 9 Quadratkilometern, war von einer Mauer von 7 Meter Höhe und 12 Kilometer Länge umgeben und war die Verkörperung der idealen Stadt ohne Beispiel und Vorbild im südostasiatischen Kulturkreis. Im Zentrum der Stadt erhob sich der Bayon, der Tempel, dessen ausgefallene Architektur bis heute die größten Rätsel aufgibt. Was auch immer die viergesichtigen Türme des Bayon für eine Bedeutung haben mögen, diese aufragenden überdimensionalen Gesichter und die dicht gedrängte Masse der vielen Turmheiligtümer erfüllen den Bayon wie kein anderes Bauwerk in der Geschichte der Sakralarchitektur mit der ehrfuchtsgebietenden Botschaft von der Macht der Könige und Götter. Doch diese währte nach dem Tode von Jayavarman nicht mehr lange. Angkor geriet unter die Herrschaft fremder Völker, die Macht verfiel und spätestens im 16. Jahrhundert eroberte der Urwald die Region. Es war eine vollständige Eroberung und im 19. Jahrhundert wusste niemand mehr davon, dass der seit Urzeiten von Menschen unbewohnt geglaubte kambodschanische Urwald ein architektonisches Erbe von unvergleichlicher Schönheit barg. Die Wiederentdeckung durch den Franzosen Henri Mouhot und dessen Berichte prägten dann das Bild eines Forschers seiner Zeit, der zwischen Lianen und einem wilden, feindseligen Urwald die verfallenen Monumente entdeckt: rätselhafte und prunkvolle Zeugen einer untergegangenen Welt von unerwarteter Vollkommenheit. Die Entdeckungsgeschichte von Angkor, die Erkenntnisse neuester Grabungen und moderner Luftbildarchäologie, ein neuer Ansatz zur Lösung der Rätsel das Bayon, die Entschlüsselung des kosmologischen Prinzips der kambodschanischen Tempelberge sind nur einige der von den Essays behandelten Theman. Sie reichen von der Vorgeschichte Kambodschas, von den Königreichen Funan und Zhenla als den Vorläufern des Angkor-Reiches bis in die jüngste Vergangenheit und stellen das künstlerische Vermächtnis Kambodschas in den zugehörigen religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext. Angkor ist ein aktuelles, umfassendes und sehr empfehlenswertes Buch zu einem der aufregendsten Themen alter asiatischer Kulturen.

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