Living with Ming – The Lu Ming Shi Collection

Autor/en: Grace Wu Bruce
Verlag: keine Angabe
Erschienen: Hong Kong und London 2000
Seiten: 216
Ausgabe: Leinenband in illustriertem Schuber
ISBN: 962-8089-05-6
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Es ist schwer zu entscheiden, wem für dieses außergewöhnlich schöne Buch der Lorbeer gebührt? Soll man ihm Jean-Paul Desroches zusprechen, dem Konservator am Pariser Musée Guimet für sein Vorwort, das die Möbelkunst der späten Mingzeit in die Geschichte Chinas einbettet? Oder Philippe De Backer für seinen Essay über die Leidenschaft des Sammelns, der zugleich eine Bestandsaufnahme unseres heutigen Wissens über Ming-Möbel ist. Oder schließlich Grace Wu Bruce, Expertin und engagierte Händlerin, Initiatorin dieses Buchprojekts, der die exakten, kenntnisreichen Beschreibungen nebst Literaturhinweisen der 71 Möbel und Objekte zu danken sind? Keiner dieser drei Autoren aber hätte Anlaß zur Klage, wenn man den Lorbeer den Möbeln selbst zuerkennt, einem repräsentativen Querschnitt durch das Beste, was anonyme Schreiner im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert für ihre gelehrten und noblen Auftraggeber geschaffen haben. Hocker, Stühle und Tische aus Zitan und Huanghuali, Pinselbecher und Schriftrollenbehälter, Faltstühle, Klappsessel und in der Höhe variierbare Tische, Möbel äußerster Schlichtheit neben solchen mit edlem Schnitzwerk, Schränke, Kabinette und Regale, Zeugnisse einer handwerklichen Perfektion, die in der späten Ming-Zeit ihren unwiederholbaren Höhepunkt erreicht hat. Es ist aber noch etwas ganz anderes, was den Wert und Reiz dieses Buches ausmacht. Living with Ming – The Lu Ming Shi Collection – der Titel deutet es schon an: Eine Sammlung ist weit mehr als die Summe der ihn ihr vereinigten Objekte, sie ist ein Spiegel der Seele des Sammlers, ein Weg zu einer Persönlichkeit, ein Portrait eines Menschen. Zwar bleibt hier der Sammler Lu Ming Shi anonym, und wir erfahren nichts über Alter, Herkunft, Beruf, über seinen Wohnort, sein Leben und seine Gedanken. Wir finden aber neben dem Katalog der Möbel und Objekte Aufnahmen von seiner Wohnung, seinem Haus und erfahren viel über die Sorgfalt und die Liebe im Umgang mit der Sammlung, über ihre Kombination mit anderer Kunst und Kunsthandwerk, über ihre Einbettung in ein zeitgenössisches, westliches Ambiente. Es entsteht damit so etwas wie ein Portrait des Sammlers, schemenhaft und undeutlich zwar, doch mit klaren Aussagen über sein Verhältnis zu Schönheit, Handwerk und Ästhetik. Auch die Möbel sind nicht länger bloße Relikte aus einer Jahrhunderte zurückliegenden Zeit, sondern sie erhalten neues Leben und werden zu Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Leben mit Ming ist ein spannender Streifzug durch ein Haus, das durch sparsame Hinweise sein Alter preisgibt. Weiß gestrichene Kasettentüren und Holzvertäfelungen, klassische Beschläge an Fenstern und Türen, ein Blick nach draußen auf hohe Bäume und eine hölzerne Dachkonstruktion, Heizkörperverkleidungen, die chinesische Motive aufnehmen und ein edles Tafelparkett, geben den Möbeln einen würdigen Rahmen. Eine Sammlung chinesischen Seladons, Skulpturen aus der Han- und Tang-Dynastie, Statuen der Khmer, moderne Plastik und zeitgenössische chinesische Malerei neben sparsamen Beispielen klassischer europäischer Kunst bilden das künstlerische Umfeld. Schlichte Tischlampen, zurückhaltende Bezugsstoffe und Vorhänge, ein paar Aschenbecher, ein Telefon, Schreibgerät, verhindern den Eindruck des musealen und betonen die Lebendigkeit, Aktualität und Zeitlosigkeit des Mobiliars. So ist nun klar, wem der Lorbeer gebührt – dem Sammler, der nicht nur eine großartige Kollektion bedeutender Möbel zusammengetragen hat, sondern der ihnen durch die Integration in sein Leben und Dasein die Bedeutung zurückgibt, die sie zur Zeit ihrer Entstehung hatten. Weit mehr als durch eine museale Präsentation fühlen wir uns in die Zeit zurückversetzt als nicht nur die Möbelkunst sondern auch Poesie und Malerei, selbst die Herstellung und der Dekor von Porzellan, eine Perfektion aber auch einen geistigen Gehalt erreichten, wie nie zuvor und auch nicht danach in der Geschichte Chinas. Das Verständnis von Mingmöbeln ist ein Schlüssel für eine der faszinierendsten Epochen Chinas, eine Zeit des Umbruchs, zwischen Ming und Qing, als eine kultivierte, verfeinerte Gelehrten-Elite ästhetische Höchstleistungen in allen künstlerischen Medien in Auftrag gab. Ming-Möbel sind hierfür ein herausragendes Beispiel: Ihre Schlichtheit im Äußeren, die Klarheit der Linien und die Purität ihrer Proportionen versteken die extreme Komplexität ihrer Verbindungen im Inneren. Dieser offensichtliche Gegensatz ist das Ergebnis steten Strebens nach Perfektion, nach ewigen Werten, nach Unsterblichkeit. Living with Ming ist eine Hommage an die anonymen Gelehrten und Handwerker, die als Auftraggeber und Künstler zusammen zeitlose Kunstwerke schufen. (- mb -)

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