Faszination Vietnam – Götter Helden Ahnen

Autor/en: Miriam Lambrecht, Christian Schicklgruber (Hrsg)
Verlag: Stadtgemeinde Leoben und Kunsthistorisches Museum Wien
Erschienen: Leoben und Wien 2004
Seiten: 278
Ausgabe: illustrierte Broschur
Preis: 29.– EUR (broschiert), 34.– EUR (gebunden)
ISBN: (broschiert) 90-5349-492-8
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2004

Besprechung:
Denkt man an Vietnam stellt sich unbewußt die Assoziation von Krieg ein, das Wissen um eine schmachvolle Niederlage der USA, Bilder des Grauens und des unendlichen Leids der zivilen Bevölkerung. Doch nichts wird der langen Geschichte Vietnams weniger gerecht wie diese Assoziation. Tatsächlich hat Vietnam nur wenige Kriege führen müssen und diese nur gegen Feinde von außen, gegen China, gegen die Mongolen, die Champa, Franzosen und Amerikaner. Zwischen den vielen ethnischen Gruppen – man zählt nicht weniger als 54 – und den verschiedenen Religionen (Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus und zahlreiche naturreligiös geprägte Gruppen) hat es in Vietnam nie gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben. So konnte sich, beginnend mit der berühmten bronzezeitlichen Dong-Son-Kultur in fast 3000 Jahren ein reiches historisches, kulturelles und künstlerisches Erbe entwickeln, das es zu entdecken gilt. Dennoch spielt die kommunistische sozialistische Republik Vietnam im aktuellen Ferntourismus nur eine sehr untergeordnete Rolle. Sehr zu Unrecht, wie eine Ausstellung in der Stadthalle Leoben (bis zum 1 November 2004) und das dazu erschienene Katalogbuch vor Augen führen. Aus 13 nationalen Museen Vietnams, vor allem natürlich aus dem Nationalmuseum der Geschichte Vietnams in Hanoi, und aus 6 bedeutenden europäischen Museen, wurde hier eine Ausstellung und ein Buch komponiert, wie es sie bisher nicht gab. Hier hat natürlich das Buch im Vordergrund zu stehen, das mit seinen zehn fundierten Beiträgen internationaler und vietnamesischer Autoren auch dann noch ein wichtiges und in dieser Form einmaliges Handbuch zu Vietnam, seiner Kunst, seiner Kultur und seiner gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Situation darstellt, wenn die Ausstellung längst ihre Pforten geschlossen hat. Neben den vorgestellten Kunstwerken – hervorzuheben sind etwa die Keramik und Fayence aus dem 15. und 16. Jahrhundert, Skulpturen und Architekturdetails aus dem ersten Jahrtausend, viel Volkskunst und natürlich die Bronzetrommeln der Dong-Son-Zeit, deren berühmteste, die Ngoc Lu II, als Symbol vietnamesischer Identität gilt – zeigen aktuelle Fotos und die begleitenden Texte ein Vietnam, das neugierig macht. Das bunte orientalische Kolorit exotischer Großstädte auf dem Weg zur Globalität, die traditionell im Mekongdelta oder im Bergland in Reisterrassen betriebene Landwirtschaft, das Nebeneinander unterschiedlichster Ethnien, die, etwa im Dekor ihrer Textilien, ihre Identität bewahrt haben, und vor allem das einzigartige Wiederentstehen religiöser Traditionen in einer postkolonialen sozialistischen Gesellschaft, ist faszinierend und beindruckend und macht, wie gesagt, neugierig. Die von der kommunistischen Regierung garantierte Religionsfreiheit erscheint als eine wesentliche Ursache für den Fortbestand materieller und geistiger Traditionen und für das Gefühl nationaler Identität in einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft. Sie könnte und sollte Vorbild für den großen nördlichen Nachbarn sein. Zwei lesenswerte Beiträge arbeiten die jüngere Geschichte des Landes auf und zeigen, daß die heute gegebene Situation – Unabhängigkeit und nationale Einheit – nur um den Preis eines langen und heroischen Kampfes und die Spaltung des Landes zwischen 1946 und 1975 erreicht werden konnte. Eines der Exponate, ein „Transportfahrrad des Ho Chi Minh-Pfades“, illustriert den Selbstbehauptungswillen eines Volkes gegen eine fremde, materiell überlegene Macht besser, als es Worte vermögen und es zeigt, daß Amerika keine Chance hatte. Für jeden, der je die Absicht hat, dieses interessante Land durch einen Besuch kennen zu lernen, ist dieses Buch ein unentbehrliches Vorbereitungsmittel.

Print Friendly, PDF & Email