Im Licht des Großen Buddha – Schätze des Todaiji-Tempels, Nara

Autor/en: Adele Schlombs
Verlag: Museum für Ostasiatische Kunst
Erschienen: Köln 1999
Seiten: 320
Ausgabe: broschiert
Preis: DM 49.– im Museum
ISBN: 3-00-004721-2
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Jedenfalls in der Nara-Zeit (710 bis 794) lag der Endpunkt der Seidenstraße nicht in China sondern in Japan. Davon zeugen bis heute die im Shosoin, dem berühmten kaiserlichen Schatzhaus verwahrten Gegenstände, kaiserliches Haushaltsgerät, Schränke, Tische, Teppiche, Textilien und Gewänder von erlesener Schönheit, Kultgegenstände, Musikinstrumente, Dokumente und Objekte aus China. Es ist aber nicht nur diese materielle Kultur, die den Weg nach Westen weist sondern vor allem das spirituelle Erbe, wie es die buddhistischen Schätze des Todaiji-Tempels, des wohl berühmtesten japanischen Staatstempels, repräsentieren. Der Todaiji-Tempel profitierte wie kein anderer von den engen Kontakten, die das japanische Kaiserhaus mit dem Tang-zeitlichen China pflegte. Hier in Nara nahm man mit großer Weltoffenheit den durch sassanidische und zentralasiatische Einflüsse geprägten sogenannten internationalen Stil der Tang-Zeit auf und lebte, wie in China, den Buddhismus als Staatsreligion. Der Todaiji-Tempel spiegelt so den geistlichen und weltlichen Charakter des Buddhismus auf dem Höhepunkt seiner Macht und stellt das dar, was man am ehesten als ein nationales Heiligtum bezeichnen kann. Im Jahre 743 ordnet Kaiser Shomu den Guß einer riesigen Bronze-Statue des Buddha Vairocana an. Diese Gründung des Todaiji an der Spitze eines Netzes von Staatstempeln in allen Provinzen war der Versuch, die Vision eines buddhistischen Staatswesens zu verwirklichen. Mit dem im Todaiji verehrten Buddha Vairocana im Zentrum und den in den Staatstempeln der Provinzen verehrten Figuren des Buddha Shakyamuni und der Bodhisattvas sollte die Welt des Lotosblütenschatzes auf japanischem Boden realisiert werden. Als Verkörperung des Buddha Vairocana und des buddhistischen Gesetzes stand der Kaiser im Mittelpunkt, während die Minister und Beamten als seine tätigen Manifestationen durch die Shakyamuni Buddhas und Bodhisattvas repräsentiert wurden. In diese Welt führt der Katalog der im Herbst 1999 im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln so ungewöhnlich erfolgreichen Ausstellung. Die 110 vorgestellten Objekte, viele davon registrierte Nationalschätze des japanischen Volkes, stammen aus der Epoche der Gründung und Blüte des Tempels von der Nara-Zeit bis zur Kamakura-Zeit (1185 bis 1333). Sie decken den Zeitraum ab, in dem sich in Japan, ausgehend von dem weltoffenen, internationalen, von der chinesischen Tang-Zeit geprägten Stil, allmählich ein eigenständiger japanischer Stil herausbildet, der für die nachfolgenden Jahrhunderte, ja bis in die Edo-Zeit, bestimmend bleibt. Malerei auf Hängerollen, Kult- und Zeremonialgegenstände, Textilfragmente, Sutren, vor allem aber einzigartige Skulpturen aus Bronze und Holz vermitteln einen anschaulichen Eindruck vom Können der anonymen Künstler jener Zeit. Wenn man weiß, daß viele dieser Kunstwerke Japan noch nie verlassen haben, daß sie auch für ein japanisches Publikum unzugänglich unter kaiserlichem Verschluß verwahrt und als sakrale Gegenstände nicht ausgestellt sondern nur überliefert und bewahrt werden sollen, weiß man dieses Katalogbuch umso mehr zu schätzen. Neben dem Katalogteil mit ausführlichen Beschreibungen aller Objekte finden wir Essays, die den Todaiji-Tempel und seine Schätze in einen historischen, politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Zusammenhang stellen. Doch zurück zum Großen Buddha, der Statue des Buddha Vairocana, deren Guß Kaiser Shomu im Jahre 743 anordnete. Bis heute ist es ein nicht gelöstes Rätsel, wie es wirtschaftlich, organisatorisch und technisch möglich war, im 8. Jahrhundert eine Bronzeplastik von 16 Meter Höhe zu gießen. Während die Überlegungen über den Einsatz topographischer Gegebenheiten für den Guß der Statue Spekulation bleiben, ist die Weihe der Statue, die sogenannte Augenöffnungszeremonie, genau überliefert. Es war am Geburstag des historischen Buddha Shakyamuni im vierten Monat des Jahres 752. Anläßlich dieser Zeremonie wurde die Halle des Großen Buddha festlich geschmückt und es wurden große Bühnen errichtet, auf denen Musiker für die musikalische Untermalung der rituellen Maskentänze sorgten. Aus einer alten Chronik geht hervor, daß diese Augenöffnungszeremonie, zu der zehntausend Mönche eingeladen waren, alle bisherigen Maßstäbe übertraf. Anstelle des abgedankten Kaisers Shomu vollzog der indische Mönch Bodhisena das Ritual, indem er mit Pinsel und Tusche die Pupillen in die Augen der Statue malte. An seinem Pinsel war eine lange Schnur befestigt, die der Ex-Kaiser sowie Adelige mit ihren Händen ergriffen, um auf diese Weise die Augenöffnung mitzuvollziehen. Der Pinsel, die Tusche und die Schnur werden noch heute im kaiserlichen Schatzhaus Shosoin aufbewahrt und sind Zeugnis der beispiellosen Kontinuität japanischer Tradition. In Text und Bild ein ungemein wichtiges Dokument früher japanischer Kunst. (- mb -)

Print Friendly, PDF & Email